Archiv


Gesundheitsreform: Steinbrück erwartet Steuererhöhungen nach 2009

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat für die kommende Legislaturperiode Steuererhöhungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems nicht ausgeschlossen. Zwar plane die Koalition bis 2009 keine weiteren Belastungen der Bürger, sagte Steinbrück. Er gehe jedoch davon aus, dass dies längerfristig nicht haltbar sei.

Moderation: Jörg Münchenberg |
    Jörg Münchenberg: Herr Minister, heute geht die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland zu Ende. Es war, es ist ein rauschendes Fest, was so eigentlich die wenigsten erwartet haben - auch was den sportlichen Erfolg der deutschen Mannschaft angeht. Wenn heute abend dann der Weltmeister ermittelt ist, wenn die Fahnen wieder eingerollt werden, wird es dann mit der Euphorie bei den Bürgern vorbei sein, oder bleibt von der guten Stimmung vielleicht doch etwas im Land erhalten?

    Peer Steinbrück: Mit der Euphorie, ja, das ist natürlich nicht dauerhaft fortzusetzen. Aber von der guten Stimmung würde ich mir wünschen, dass vieles hängen bleibt – auch in unserer Einstellung zum Leben, in unserer Darstellung, in unserem Selbstbewusstsein. Nicht immer die negativen Seiten zu sehen, auch in der Selbstbetrachtung von Deutschland selber, vielleicht gelegentlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass das Wasserglas nicht immer halb leer ist sondern auch halb voll sein kann; dass das Leben bunt ist, dass es Bereicherung findet auch durch Menschen, auch durch Erfahrungen, die man vielleicht nicht kennen gelernt oder gemacht hat.

    Münchenberg: Nun sagen ja manche, es könnte jetzt auch die Katerstimmung kommen nach dem vielen Feiern, wenn man guckt, was in den letzten Wochen eigentlich passiert ist in der Politik: Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Pendlerpauschale, die Kürzung der Kindergeldbezugsdauer, höhere Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung. Also, wird es vielleicht da nicht auch ein böses Erwachen geben?

    Steinbrück: Kein böses Erwachen, sondern eine Bestätigung, dass die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Reihe von Veränderungen vollziehen muss. Das Merkwürdige ist ja, auf der abstrakten Ebene stimmen wir dem sofort zu. Wir wissen, dass die öffentlichen Haushalte in einer ziemlichen Anspannung sind. Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt verbessert werden muss. Wir wissen, dass wir Wachstum brauchen, all dies ist im Bewusstsein der Menschen. Das, was schwierig ist, das ist die Frage, welche Konsequenzen muss ich daraus ziehen? Bezogen auf die öffentlichen Haushalte heißt die Konsequenz, wir müssen konsolidieren, wir müssen einsparen und wir brauchen mehr Einnahmen. Bezogen auf die sozialen Sicherungssysteme wissen wir, wenn wir die so weiter laufen lassen wie bisher, dann sind sie eines Tages an der Wand, weil wir sie nicht mehr finanzieren können. Aber dies ist nicht leicht zu vermitteln. Und ich gebe gerne zu, dass Politik dabei natürlich auch fehlerhaft ist. Also, insofern liegt die Anweisung von Kritik in diesem Zusammenhang. Aber das, was mich doch beschäftigt, ist, dass wir in sehr vielen Kästchen immer versuchen, logisch zu argumentieren, aber verschiedene Kästchen nicht zusammenbringen und daraus ein Gesamtsystem machen. Will sagen: Auf der einen Seite sind wir dafür, dass der öffentliche Haushalt spart, in dem nächsten Kästchen sind wir aber dafür, dass es mehr öffentliche Leistungen geben soll. In wieder dem nächsten Kästchen wissen wir, dass wir die sozialen Sicherungssysteme neu finanzieren müssen, aber in dem übernächsten Kästchen sind wir nicht bereit, mehr Eigenvorsorge für Altenpflege und Gesundheit zu erbringen.

    Münchenberg: Lassen Sie uns diese Woche Revue passieren, wo die Große Koalition ja mehrfach versucht hat, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Es gab wichtige Entscheidungen, aber es gab auch die eine oder andere Überraschung. Ich nenne mal Beispiele: Auf der einen Seite hieß es bei der Gesundheitsreform, es soll steuerfinanziert werden. Da geisterte plötzlich eine Zahl von 40, 45 Milliarden rum, wenn im Gegensatz die Beiträge gesenkt werden würden. Nun heißt die Parole, keine Steuererhöhung mehr. Erklärtes Ziel der Großen Koalition war auch, die Lohnnebenkosten zu senken. Jetzt werden die Beiträge zur Krankenversicherung um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Also, nach einer klaren Zielsetzung klingt das ja alles nicht.

    Steinbrück: Ja, das Problem ist, wie kriege ich eine Struktur in diese Debatte hinein. Zunächst mal, bezogen auf die Steuerfinanzierung, sage ich, vom Grundsatz her sind wir in der Bundesrepublik Deutschland gut beraten, unser soziales Sicherungssystem schrittweise von einer Abgabenfinanzierung für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und ihre Arbeitgeber, also die Belastung des Produktionsfaktors Arbeit, umzuorientieren auf eine größere Steuerfinanzierung. Diejenigen, die uns das vorgemacht haben und die deshalb sehr viel besser laufen, sind die Skandinavier. Diese Systeme sind sehr robust. Das heißt, vom Grundsatz her sich dieser Frage zu stellen, halte ich nach wie vor für richtig. So, jetzt kriegen sie natürlich Aufgeregtheiten hinein in dem Augenblick, wo diese Zahl von 40 bis 45 Milliarden Euro plötzlich durch die Welt geisterte, auch aufgeplustert und aufgebauscht worden ist. Aber immerhin, in den Koalitionsverhandlungen vor 14 Tagen war ja der Auftrag an mich als Bundesfinanzminister, bestimmte Varianten mal durchzurechnen als Einstieg in eine solche Steuerfinanzierung, eine steuerfinanzierte Säule im Gesundheitssystem. Das habe ich gemacht und dabei stellen sich nachher weiterreichende Fragen. Durchaus problematisch, aber der Ansatz hier ist richtig. In der Koalitionsverhandlung ist man dann zu dem Ergebnis gekommen, dass man zusätzlich zu der Debatte über Mehrwertsteuererhöhung, auch die Streichung von bestimmten Steuerprivilegien, nun das Publikum nicht zusätzlich malträtieren will mit einer Steuererhöhungsdebatte. Und das Ergebnis ist gewesen, dass wir darauf in dieser Legislaturperiode verzichtet haben. Ich glaube, das Thema kommt erneut in der nächsten Legislaturperiode, und am kurzen Ende, um das abzuschließen, haben wir es mit Defiziten der Krankenkassen zu tun. Und wenn man Steuern nicht erhöhen will, wenn man Leistungen nicht kürzen will, dann bleiben nur noch – und ich betone – realistischerweise die Beiträge.

    Münchenberg: Nun sollen ja die Krankenkassenkosten für Kinder stückweise jetzt doch steuerfinanziert werden. Gleichzeitig sagt die Kanzlerin: Keine Steuererhöhungen. Würden Sie diese Aussage so unterschreiben?

    Steinbrück: Ja, jedenfalls für die Laufzeit dieser Legislaturperiode. Ich will mich ja nicht trennen von dem, was wir verabredet haben in der Koalitionsrunde. Nur, meine Nase, oder vielleicht etwas anmaßend mein Realitätssinn sagt mir, dass das in der nächsten Legislatur nicht so weiter geht. Denn dann geht es ja jährlich nicht um 1,5 oder um 3 Milliarden, sondern es geht um 4,5 – 6 – 7,5 – 9 Milliarden, die dann aus dem Haushalt finanziert werden müssten für die jetzt mitversicherten Kinder. Und dann landen wir automatisch und natürlich bei der Fragestellung: Wo sind denn die Einnahmen dafür?

    Münchenberg: Nun gibt es ja so eine Art Anschubfinanzierung. 4,5 Milliarden sind eingeplant bis 2009. Die tauchen aber in der mittelfristigen Finanzplanung noch gar nicht auf. Wo soll das Geld herkommen, angesichts der angespannten Haushaltslage?

    Steinbrück: Richtig. Es muss ein Finanztableau vorgelegt werden. Das gibt es bisher nicht. Das heißt, sie treffen einen Punkt, der in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielte, indem ich klar gemacht habe, dass eine solche Summe von 1,5 Milliarden in 2008 und drei Milliarden in 2009 nicht einfach aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden kann, sondern dieses Geld muss entweder über größere Effizienzgewinne im Gesundheitssystem erwirtschaftet werden, oder wir müssen auf der Einnahmenseite, ohne dass es Verschiebebahnhöfe gibt zu Lasten anderer sozialen Sicherungssysteme, zum Beispiel der Rente, und ohne Kürzung von Leistungen zu einer Refinanzierung kommt. Also, solange dies nicht gewährleistet ist, ist das Ding auch nicht so haushaltsreif, dass es in die mittelfristige Finanzplanung geht.

    Münchenberg: Sind Sie da als Finanzminister nicht in einer undankbaren Position? Die Koalition einigt sich zwar auf Zielwerte, aber man lädt dann den Mist vor Ihrer Tür ab und sagt: Herr Steinbrück, Sie müssen das irgendwie regeln.

    Steinbrück: Ja, auf dieses Rollenverhältnis habe ich in der Koalitionsrunde aufmerksam gemacht, dass sich das so nicht fortsetzen kann.

    Münchenberg: Nun sind wir schon beim Thema Sparen und kommen damit automatisch zum Haushalt 2007, der in dieser Woche auch vom Kabinett verabschiedet worden ist. Es ist der zweite, den sie als Bundesfinanzminister verantworten. Und er ist auch von zentraler Bedeutung für diese Koalition. Ich glaube, da besteht große Einigkeit. Dennoch sind die Verhandlungen relativ geräuschlos über die Bühne gegangen. Lag das nun an der Fußballweltmeisterschaft, an Ihrem Verhandlungsgeschick oder einfach am Zwang zum Kompromiss?

    Steinbrück: Am guten Wetter. Nein, unverdächtig, die positive Erfahrung ist, dass alle Kabinettmitglieder um die Ernsthaftigkeit dieses Themas, sprich der Haushaltskonsolidierung, wissen und dass deshalb auch schon der Prozess in den jeweiligen Ressorts sehr vernünftig gelaufen ist in der Abstimmung mit dem Finanzministerium. Sie führen mit einigen Chefgespräche in dem üblichen Procedere, und je geräuschloser das abläuft, desto besser. Man muss da auf der Bühne ja kein verwirrendes Bild abgeben. Ich bin ganz froh, dass die Zielsetzung eingehalten werden kann, so wie die Koalition sich das vorgenommen hat. Ich finde, das ist ein Beleg dafür, dass wir unseren haushaltspolitischen Kurs nicht nur angekündigt haben, und er ist ja nicht durchweg populär, sondern ihn auch wirklich durchziehen. Was wichtig ist, um langsam wieder zu stabileren öffentlichen Haushalten zu kommen. Und dies ist erforderlich, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Generationsgerechtigkeit.

    Münchenberg: Trotzdem ist es ja so, dass die Neuverschuldung relativ knapp unter den Investitionen liegt, 1,5 Milliarden. . .

    Steinbrück: . .. Immerhin.

    Münchenberg: Immerhin. Also die Vorgaben des Grundgesetzes werden eingehalten. Auch Maastricht wird wieder erfüllt. Ihr Amtsvorgänger Hans Eichel hat oft gesagt – ich weiß, das hört man jetzt nicht mehr so gerne –, der Haushalt sei auf Kante genäht. Welche Bewertung, welches Etikett würden Sie denn dem Haushalt 2007 geben?

    Steinbrück: Der ist solide. Skeptiker wird es immer geben, und die picken sich einzelne Positionen heraus und sagen, und das und das ist optimistisch. Tatsächlich sind wir im Augenblick in einem Lauf, der – wie ich glaube – berechtigte Annahmen darüber begründet, dass wir auf der sicheren Seite sind mit dem Haushalt 2007 und auch mit der mittelfristigen Finanzplanung. Das Wirtschaftswachstum entwickelt sich besser, als wir konservativ geschätzt haben. Die Inflationsrate ist erstaunlich stabil, trotz der Preisentwicklung. Die Ausgabequote des Bundeshaushaltes ist konstant. 11,4 Prozent ist der Anteil am Bruttosozialprodukt, vor acht Jahren waren wir fast ein Prozent höher. Die Ausgaben steigern sich mittelfristig nur um 0,7 Prozent. Die Einnahmen entwickeln sich erstaunlich gut, erfreulich gut. Das erste Halbjahr 2006 gibt dort begründete Annahmen, dass aus einem anspringenden Wirtschaftswachstum in der Tat auch für die öffentlichen Haushalte etwas herausspringt, was wichtig ist. Also, vor dem Hintergrund glaube ich auch, dass das Maastricht-Verschuldenskriterium am Ende dieses Jahres vielleicht schon eingehalten werden kann. Ich habe es nicht zweckoptimistisch angekündigt. Ich habe gesagt, es ist eventuell möglich. Und wir werden über die Klippe des Jahres 2007, sprich mit der Mehrwertsteuererhöhung, glaube ich, auch einigermaßen hinweg kommen. In Vergessenheit gerät, dass immerhin der eine Mehrwertsteuerpunkt ja dazu führt, dass die Arbeitslosenversicherungsabgaben sinken. Der wird durch einen zweiten ergänzt, das heißt, es ist eine Entlastung von 14,4 Milliarden Euro nächstes Jahr für Arbeitgeber und Arbeitnehmer - spielt selten eine Rolle in der öffentlichen Diskussion.

    Münchenberg: Lassen Sie uns trotzdem auf zwei Kritikpunkte zurückkommen. Da sind zum einen die Bundeszuschüsse für das Arbeitslosengeld II, die ja doch gestiegen sind im letzten Jahr und in diesem Jahr. Jetzt werden sie mit 21,4 Milliarden für 2007 veranschlagt. Ist das nicht zu ehrgeizig gerechnet? Der zweite Punkt, was die Steuereinnahmen angeht, da rechnet man mit Steuermehreinnahmen, obwohl in der Steuerschätzung im Mai nicht von geringeren, aber von nicht so großen Zuwächsen ausgegangen worden ist. Das sind ja schon zwei zentrale Kritikpunkte an diesem Haushalt 2007.

    Steinbrück: Ja, aber die stellen sich anders dar. Um mit Hartz IV, dem Arbeitslosengeld II, zu beginnen: Wir schätzen in diesem Jahr 26,5 Milliarden Euro. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht unterschätzt ist. Wir haben zwei Gesetze verabschiedet, die bestimmte dynamische Entwicklungen einholen und eingrenzen sollen. Sie wissen, das so genannte SGB II Fortentwicklungsgesetz und Optimierungsgesetz, die werden ziemlich klar belegbar im nächsten Jahr zu Einsparungen von 4 Milliarden führen. Dann sind sie auf 22,4 oder 22,5 Milliarden, 21,4 sind vorgesehen. Und wir haben ein Überlaufgefäß konstruiert, Herr Müntefering und ich, das bereits in diesem Jahr funktioniert, indem wir zu einem anderen Titel für Eingliederungsmaßnahmen in der Größenordnung von einer Milliarde einen Deckungsvermerk festgehalten haben. Das heißt, dort stünde im Zweifelsfall eine Milliarde zur Verfügung, um auch überführt zu werden mit Blick auf die ALG II-Zahlungen. So, was die Einnahmeentwicklung betrifft, der Steuerschätzerkreis macht seine Schätzung immer auf der Basis geltenden Rechtes. Das heißt, er greift nicht voraus, was auf der Wegstrecke bald an Maßnahmen vom Deutschen Bundestag an Rechtsform verabschiedet wird. Und was er nicht hat mit berechnen können ist das Steueränderungsgesetz 2007, das ja in Kraft tritt und erhebliche Einsparungen bringt für uns. Und darüber hinaus, was er auch nicht so berücksichtigt hat, ist in der Tat eine Einnahmeentwicklung, die sich im Mai und Juni fortgesetzt hat beim Bund zum Beispiel mit Steigerungsraten von acht oder neun Prozent bei den Einnahmen.

    Münchenberg: Normalerweise ist doch die Steuerschätzung Grundlage auch für die Haushaltsplanung. Insofern greift man doch mit der jetzigen Planung ein Stück weit darüber hinaus?

    Steinbrück: Nein, keineswegs, sondern der Bund ist selbstverständlich aufgerufen, das, was es als Rechtslage bereits gibt, verabschiedet, zum Beispiel das Steueränderungsgesetz, in seine Einnahmeschätzung und seine Einnahmekalkulation mit aufzunehmen. Und selbstverständlich ist er in der Lage, eine real stattfindende Einnahmeentwicklung aus einer besseren Konjunktur, aus sprudelnden Steuereinnahmen, auch zu projezieren auf die nächsten Jahre. Und exakt das findet jetzt statt, und zwar auch nicht zweckoptimistisch, sondern realistisch.

    Münchenberg: Wenn wir mal in die mittelfristige Zukunft schauen. Bis 2010 geht die mittelfristige Finanzplanung. Da liegt ja die Neuverschuldung noch relativ nah an den Investitionen. Heißt das im Umkehrschluss, trotz Erhöhung der Mehrwertsteuer bleibt der Staatshaushalt strukturell unterfinanziert?

    Steinbrück: Nein, nicht mehr strukturell unterfinanziert, aber wir sind über die Maßnahmen ein Stück voran gekommen bei der Konsolidierung. Aber wie schwer es fällt, wirklich auf eine Nettokreditaufnahme auf Null zu kommen, weist, da haben Sie völlig recht, diese mittelfristige Finanzplanung aus. Das ist eine Entwicklung, die ist hartes Brot und eine steinige Wegstrecke. Und ich nehme den Mund dabei nicht zu voll.

    Münchenberg: Herr Minister, die Unternehmenssteuerreform ist auch eines der zentralen Reformprojekte dieser Großen Koalition, um den Standort wieder attraktiver zu machen aus steuerlicher Sicht. Mit den bekannten Eckpunkten, also Absenkung der Steuerbelastung für Unternehmen von derzeit gut 39 Prozent auf unter 30 Prozent – wird dieses Ziel erreicht?

    Steinbrück: Ja, ich finde, das ist ein Eckpunktepapier, wo diejenigen, die davon betroffen sind, wie ich finde eigentlich auch einmal ein paar lobende Worte über die Bundesregierung verlieren dürfen. Denn das, was wir da machen, führt zu einer deutlichen Verbesserung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland auch im internationalen Vergleich. So, die Zielsetzung ist, um es klar zu sagen, wir müssen den Steuerstandort Deutschland attraktiver machen. Warum? Es geht um Jobs. Es geht um Unternehmen in Deutschland, die hier Gewinne machen sollen und die hier investieren sollen und die hier Jobs erhalten oder zusätzliche Jobs hinzufügen sollen. Und es geht darum, dass Verluste nicht aus dem Ausland, zum Beispiel von Töchtern deutscher Unternehmen, nach Deutschland gebracht werden, um hier steuermindernd und damit zur Beschädigung oder jedenfalls zur Beeinträchtigung unserer Steuerbasis geltend gemacht werden. Das ist die Grundlogik. Es geht darum, dass wir die kommunale Investitionskraft darüber nicht beschädigen wollen. Es geht darum allerdings auch, dass die damit verbundenen Einnahmeverluste nicht so aus dem Ruder laufen dürfen, dass exakt das beschädigt wird, was wir im ersten Teil des Interviews erörtert haben, nämlich die öffentliche Verschuldung und damit auch den Artikel 115 und die europäischen Verschuldensregeln. Das sind übrigens die nächsten Kästchen. Auf der einen Seite: Wir können vor zehn Minuten über den Schuldenstand im öffentlichen Haushalt reden, zehn Minuten später reden wir darüber, dass einige in Deutschland glauben, man könnte mal eben 30 bis 40 Milliarden Euro rüberschieben zur Entlastung der deutschen Unternehmen. Eine völlig unverbundene Debatte.

    Münchenberg: Sie haben vorhin gesagt, es geht um Jobs, damit die Unternehmen auch hier bleiben, damit sie hier investieren. Auf der anderen Seite gibt es ja gerade in der SPD ein gewisses Gerechtigkeitsproblem. Einerseits werden die Bürger immer stärker belastet, werden Subventionen gestrichen, steigt die Mehrwertsteuer. Gleichzeitig werden die Unternehmen entlastet. Können Sie diese Kritik oder das Gerechtigkeitsproblem zumindest nachvollziehen?

    Steinbrück: Die Kritik kann ich nachvollziehen, aber ich muss sie überwinden. Denn, wer sind die Unternehmen? Sind das die Aktionäre, ist es das Management, oder sind es nicht auch die Beschäftigten? Wenn ich mit jemandem rede, der beschäftigt ist in einer Kapitalgesellschaft, vielleicht 1000 Beschäftigte, es geht um seinen Job. Die Perspektive, ob er weiter beschäftigt wird, ob er eventuell neben sich einen neuen Kollegen findet, ja oder nein, ist davon abhängig, dass dieses Unternehmen investiert. Und es investiert dann, wenn es sagt, die daraus resultierenden Gewinne werden in Deutschland auch so besteuert, dass ich sage, es gibt keinen Magneten, es gibt keine Attraktivität, raus zu gehen zum Beispiel in ein benachbartes Land. Das heißt, es betrifft die Menschen selber hier.

    Münchenberg: Man hat sich jetzt in dieser Woche auf Eckpunkte geeinigt. Da soll die Körperschaftssteuer in eine föderale Unternehmensbesteuerung umgewandelt werden, die Gewerbesteuer soll eine kommunale Unternehmenssteuer werden. Also, das sind bislang nur so Begriffe, die da im Raum stehen, aber es fehlt noch ein Stück weit der Inhalt, was man sich drunter vorzustellen hat.

    Steinbrück: Das läuft auf eine einheitliche Bemessungsgrundlage für diese beiden Steuern hinaus, was ein bemerkenswerter Schritt ist. Es heißt, der Steuersatz soll auf einer einheitlichen gemeinsamen Bemessungsgrundlage aufstoßen. Das wird jetzt sehr steuertechnisch, womit ich die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht langweilen will, sondern ich will hinweisen: Die Gewerbesteuer, so wie wir sie im Augenblick in Deutschland haben, ist im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern etwas sehr exotisches, um nicht zu sagen einmalig, um es so auszudrücken. Und dies wirkt auf ausländische Investoren abstoßend. Auf der anderen Seite ist völlig glasklar, dass die Kommunen eine eigene wirtschaftskraftbezogene kommunale Einnahme behalten sollen, mit Hebesatzrecht. Das heißt, wir überführen diese Gewerbesteuer in eine so genannte kommunale Unternehmenssteuer. Und es könnte sogar sein, dass dies auch Sinn macht von der Begrifflichkeit, wenn wir an eine weitere Diskussion denken, die eventuell zu Ergänzungen führen könnte bei der alten Gewerbesteuer.

    Münchenberg: Das heißt, eine Abschaffung der Gewerbesteuer durch die Hintertüre wird es nicht geben?

    Steinbrück: Nein, auf keinen Fall. Und diejenigen, die sich mit der Materie beschäftigen, wissen das auch. Sondern es steht in dem Eckpunktepapier sehr deutlich drin, wie Sie wissen im ersten oder zweiten Absatz, dass es das System einer wirtschaftskraftbezogenen eigenen Einnahmequelle für die Kommunen mit Hebesatzrecht weiterhin geben soll. Und, wichtiger Zusatz, dass auch dies das bisherige stetige Einkommen für die Kommunen sichern soll. Das ist gemeinsame Überzeugung. Warum? Die Kommunen tätigen 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen. Das heißt, sie sind gerade auch in ihrem lokalen Radius für den Mittelstand als Auftraggeber, als Investoren von einer erheblichen Bedeutung.

    Münchenberg: Trotzdem noch eine Detailfrage, weil dies auch für sehr viel Unmut sorgt bei der Wirtschaft. Gewinnunabhängige Elemente sollen auch mit Steuer belegt werden, zum Beispiel Leasingraten, Zinsen, Pachten. Die Unternehmer argumentieren, selbst wenn es ihnen schlecht geht und sie keinen Gewinn machen, müssen sie trotzdem Steuern bezahlen. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

    Steinbrück: Ja, ich muss jetzt aufpassen, dass das kein Steuerseminar hier wird und wahnsinnig langweilig für all diejenigen, die uns zuhören. Die erste Bemerkung ist: die Besteuerung von sogenannten ertragsunabhängigen Elemente, also das sind Bestandteile, die auch besteuert werden unabhängig von der Gewinnsituation der Unternehmen, in Deutschland ist sehr, sehr gering. Das heißt, als erstes wäre ich für den Hinweis auch der Wirtschaftsverbände, auch einzelner Kritiker dankbar, wenn sie mal darauf hinweisen, dass die Lage in Deutschland eigentlich ganz günstig ist im internationalen Vergleich. Anderer Ausdruck dafür ist, dass die Substanzbesteuerung in Deutschland sehr, sehr gering. So, zweitens: Es gibt eine Reihe von Zielsetzungen, die wir erreichen wollen, die ohne Einführung von sogenannten Hinzurechnungselementen, also zum Beispiel die Einbeziehung von Fremdkapitalzinsen, nicht zu bewerkstelligen ist. Und im übrigen, über konkrete Prozentsätze wird da zu reden sein und über Freibeträge auch. Und über diese Stellschraube kann man das auch so machen, dass das erträglich wird und dass viele teilweise auch über sprühende kritische Stellungnahmen keinen realen Anhaltspunkt finden werden. Da sind mir die Aufgeregtheiten, manchmal vorauseilend, etwas zu hoch.

    Münchenberg: Herr Minister, noch ganz kurz zu einem letzten großen Reformprojekt. Die Föderalismusreform ist in dieser Woche auch verabschiedet worden. Es ist eine der großen, schwierigen Reformen. Fast keiner hat damit gerechnet, dass das gelingen könnte. Nun wurde aber nicht über Geld geredet, was ja gerade bei den föderalen Beziehungen doch eine sehr wichtige Rolle spielt. Hat man da nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht?

    Steinbrück: Nein, in keinem Fall, sondern es war jetzt erst mal wichtig und ich bitte, das Ergebnis dieser Föderalismusreform, nennen wir sie mal 1, der erste Konvoi, nicht zu unterschätzen. Dies führt zu einer deutlichen Vermeidung von Reibungsverlusten zwischen Bundesrat und Bundestag und Bundesregierung auf den unterschiedlichen Seiten. Und das ist von einer erheblichen Bedeutung. So, das zweite Thema, das Sie richtigerweise ansprechen, Bund-Länder-Finanzbeziehung, das ist ein dickes Werkstück, denn da geht normal formuliert ans Eingemachte, da spielt die Musik. Und da reden sie letztlich darüber, wie soll in der Perspektive der nächsten Jahrzehnte das Verhältnis zwischen Bund und Ländern sein und der Länder untereinander.

    Münchenberg: Und die Experten sagen ja, man müsste den Finanzausgleich begrenzen, es müsste eine eigene Steuerhoheit für die Länder geben. Ist denn so was politisch überhaupt vorstellbar in unserem föderalen Staatsgebilde?

    Steinbrück: Gut, mein Ansatz ist, wenn wir eine große Koalition sind, dann sollten wir auch nicht zu kurz springen, wann, wenn nicht jetzt, auch mit Blick auf die Bund-Länder-Finanzbeziehung, einen größeren Schritt machen. Denn in jeder anderen politischen Konstellation ist es ja schwieriger, vor dem Hintergrund von Zwei-Drittel-Mehrheiten, die sie im Bundestag und Bundesrat dafür brauchen. Insofern gehöre ich zu denjenigen, die sagen, wir sollten einige sehr grundsätzliche Themen erörtern. Dazu gehört das Thema einer größeren Steuerautonomie, dazu gehört das Thema: Finden wir neue Verschuldensregelungen, auch in einer größeren Kontrolle von Haushaltsnotlagen, in denen einzelne Länder sind? Kommen wir schrittweise auch zu einer Bundessteuerverwaltung um zum Beispiel die Steuerhinterziehung bei der Mehrwertsteuer zu bekämpfen, die uns jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag kostet, weil sie teilweise mit krimineller Energie betrieben wird. Das sind so Fragen, die in meine Augen auf die Tagesordnung gehören.

    Münchenberg: Herr Steinbrück, jetzt noch zum Abschluss: Sie haben gerade angesprochen, dass die Große Koalition ja auch parlamentarisch sehr viele Möglichkeiten hat, allein aufgrund der Mehrheitsverhältnisse. Nun waren ja auch die Erwartungen insgesamt sehr hoch, was die strukturellen Reformen angeht, was schnelle Reformen angeht. Nun regiert häufig der Kompromiss. Die Verhandlungen sind oft zäh und mühsam. Sind sie mit dem aktuellen Reformtempo eigentlich zufrieden?

    Steinbrück: Ich bin mit der Zeitökonomie nicht zufrieden. Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Aber ich bitte nicht zu unterschätzen, was in den ersten sieben bis acht Monaten nun wirklich auch alles gelungen ist, gemacht worden ist. Das ist ja nicht wenig. Ansonsten, ich bitte das Wort Kompromiss oder den politischen Kompromiss nicht zu diskreditieren. Er ist Bestandteil eines demokratischen Gemeinwesens.

    Münchenberg: Dauert es nicht trotzdem zu lange?

    Steinbrück: Ja, das habe ich versucht, schon zuzugeben. Wenn ich mir angucke, wie schnell in der Wirtschaft Entscheidungen getroffen werden müssen oder in den privaten Haushalten, dann würde ich die Kritik unterstützen nach dem Motto, diese Entscheidungsprozesse in der Politik dauern zu lange und sie sind auch nicht immer überschaubar.

    Münchenberg: Noch eine Frage, Herr Minister. Die Kanzlerin redet vom Sanierungsfall Deutschland. SPD-Fraktionschef Struck wünscht sich den früheren Kanzler Schröder zurück, indirekt zumindest. Kann man da sagen, angesichts der Nickligkeiten in den letzten Tagen und Wochen, kommt die Sommerpause jetzt gerade recht?

    Steinbrück: Ach was. Das wird alles zu einen Drama hochgebauscht, was es nicht ist. Mein Eindruck ist, dass auf der Führungsebene diese Koalition nach wie vor sehr geprägt ist von der gemeinsamen Überzeugung, dass eine große Koalition zum Erfolg geführt werden muss. Warum? Weil ein Scheitern sehr weitgehende Auswirkungen hätte. Noch einmal: Dass es darüber auch Reibungsverluste gibt, dass man sich gelegentlich auch sprachlich in Bildern verheddert, die anschließend dann aufgebauscht werden zu riesigen Auseinandersetzungen, das wird nie zu vermeiden sein. Und Ihre Branche lebt ja auch davon, sonst wäre es langweilig.