Durak: Zunächst zum Gesundheitssystem bei Ihnen: Haben Sie in der Schweiz jetzt ein gesundes Gesundheitssystem mit Hilfe der Kopfpauschale?
Britt: Ja gut, ich denke, die Diskussionen in der Schweiz werden genauso heiß geführt wie in Deutschland, und wie überall haben wir Kostensteigerungen, die wir irgendwie abfangen müssen. Bei uns gehen sie natürlich direkt auf die Prämien, diese Kopfprämien, schlagen dort durch und erfreuen so natürlich jedes Jahr die Leute ein bisschen weniger. Auf der anderen Seite haben wir ein besonders gut akzeptiertes Gesundheitswesen, die Einheitsversicherung nach System, wie Frankreich, aber auch Deutschland hat ein ähnliches, diese Einheitsversicherung, die wurde mit 70 zu 30 Prozent dieses Frühjahr abgelehnt.
Durak: Sie haben ja seit einiger Zeit diese Kopfpauschale, seit wann?
Britt: Wir haben sie seit 1996 in der Form, in der sie heute praktiziert wird, allerdings hatten wir die Kopfprämie schon früher.
Durak: Haben Sie denn nun einen ausgeglichenen Haushalt, sagen wir im Gesundheitssystem, was die Einnahmen und die Ausgaben betrifft?
Britt: Ja, das muss nach Gesetz so sein, Einnahmen und Ausgaben müssen sich in einem Versicherungszyklus von zwei Jahren ausgleichen. Das ist allerdings auf der Basis des Versicherers, wir haben ja nach wie vor 94 Versicherer in der Schweiz. Aber jeder dieser 94 Versicherer muss einen ausgeglichenen Haushalt haben, und reguliert das natürlich mit Prämienanpassungen.
Durak: Aus Ihrem Haus ist bei uns zu lesen, dass es da durchaus eine Differenz gibt, was die Ausgaben angeht, das sind fast 15 Milliarden Euro, die negativ zu Buche schlagen.
Britt: Ja, das kommt drauf an, wie man es liest, wir haben ja ein Finanzierung, die zu Größenordnung ein Drittel Steuergeld besteht, einem Drittel Selbstzahler, also das sind Selbstbehalter, aber auch Privatversicherungen, und einem letzten Drittel Prämien finanziert. Und dieser Prämienfinanzierte Haushalt, der ist natürlich ausgeglichen. Wenn man das dann allerdings auf andere Größenordnungen bezieht, dann ist es natürlich schon so, dass die Zahlungen des Staates auch im Prämienfinanzierten Teil auch etwa einen Drittel ausmachen.
Durak: Herr Britt, halten Sie denn dieses System für sozial ausgewogen?
Britt: Ja, ich denke schon: Die Frage ist, wo man die Ausgewogenheit ansetzt. Es ist ja doch so, dass in einem Versicherungssystem die Gesunden für die Kranken bezahlen, das ist ganz normal. Die haben aber auch einen sozialen Ausgleich, bei uns sind immerhin bei 20 bis 30 Prozent aller Leute prämienverbilligt, das heißt, sie zahlen praktisch keine Prämien oder nur eine kleinen Anteil davon.
Durak: Wer zahlt denn dies?
Britt: Das sind steuerfinanzierte Gelder.
Durak: Ist das in allen Regionen gleich oder unterschiedlich?
Britt: Das ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich, weil die sozialen Zuschüsse, so heißen sie, glaube ich, bei Ihnen, die werden auf Kantonsebene festgehalten. Und das bedeutet natürlich auch, dass es Kantone gibt, wo durchaus bis zu einem Drittel aller Leute solche Sozialgelder erhalten, in anderen Kantonen allenfalls 20 Prozent.
Durak: Diese Kopfpauschale, die Sie ja selber auch als Kopfgeld bezeichnen, oder als Kopfprämie bezeichnen, Herr Britt, deckt die nur die Grundversorgung ab, oder etwas mehr?
Britt: Nein, diese Prämie deckt nur die Grundversorgung ab, die allerdings in der Schweiz bekanntlich relativ breit ist, der Unterschied zu Deutschland ist die weniger weit gehende Pflegeversicherung, vor allem das Fehlen der Zahnversicherung.
Durak: Und wir wissen ja, dass die Schweizer sich viel fleißiger und ordentlicher die Zähne putzen als die Deutschen, so dass sich da die Prophylaxe schon wirklich gut zu Buche schlägt und sich wahrscheinlich auch in niedrigeren Prämien niederschlagen würde.
Britt: Nun, hier muss man einmal festhalten, dass überhaupt in der Schweiz nicht bestritten ist, dass das selbst bezahlt wird. Das hat eine ganz hohe Akzeptanz und ich denke nicht, dass wir in nächster Zeit irgendeinen Druck aus der Bevölkerung hätten, wo es heißen würde, man müsste ja auch diese Zahnversicherung übernehmen in der Grundversicherung.
Durak: Halten Sie den Anteil des privaten Geldes, was jeder Bürger sozusagen aufbringen müsste zur Gesundheitsvorsorge, also für diese Prämien, für zu hoch, gemessen am sonstigen Einkommen, oder für angemessen, anbauenswert?
Britt: Nein, wir kommen natürlich an eine gewissen Grenze. Es ist eben so, wenn die Prämien selbst mit Raten von etwas zwischen fünf und zehn Prozent jährlich ansteigen, hingegen die Einkommen real nur etwas, ein, zwei oder drei Prozent ansteigen, dann ergibt das ein Schere, wo vor allem die Leute, die nicht in den Genuss der Verbilligung kommen, dann in finanzielle Schwierigkeiten kommen.
Durak: Welche Einkommensschichten sind denn das?
Britt: Das sind bei uns Einkommensschichten in der Region zwischen 50.000 und 100.000 Schweizer Franken, das wären etwa 30.000 bis 70.000 Euro.
Durak: Herr Britt, halten Sie Ihr Modell für durchaus nachahmenswert?
Britt: Ich persönlich bin überzeugt, dass keinen "gold standard" gibt, was Gesundheitssysteme anbelangt. Ich bin aber auch überzeigt, dass unser System, weil es halt diese hohe Akzeptanz hat in der Bevölkerung, auch noch länger diese Akzeptanz genießen wird. Und letztlich machen wir ja Politik für die Bürger und nicht gegen sie, und so lange, wie sie zufrieden sind, ist das in Ordnung. Also 70 zu 30 hätten ich diesen Frühling nicht erwartet, das Verhältnis zur Ablehnung der Einheitsversicherung, das zeigt, dass unser system viel breiter verankert ist, als wir selber glauben.
Durak: Und, Herr Britt, wenn Sie es dennoch ändern könnten, nach den jahrelangen Erfahrungen, zum besseren Hin, was würden Sie ändern?
Britt: Gut, wir sind ja momentan in einer Revision im Parlament, und dort wollen wir vor allem die Anreize ändern. Und zwar Anreize so, dass einerseits die Spitäler als Unternehmen geführt werden können. Die werden heute von den Kantonen geführt und sind entsprechend auch politisch geführt, das ist eigentlich ein Fehler in unserem System. Wir wollen aber auch das eigene Verhalten der Versicherten belohnen, noch besser belohnen. Wir haben ja ein System, das "manage care" fördern soll, wir wollen das noch etwas ausbauen, und schließlich wollen wir mit einem Vertragsprinzip auch die Leistungserbringer dazu bringen, dass sie ein guten Preis-Leistungs-Verhältnis haben.
Durak: All die Dinge, die auch bei uns besprochen werden, der Blick über den Gartenzaun oder über die Berge lohnt sich schon. Herr Britt, ein Wort aber noch zur Bürgerversicherung, sprich Altersvorsorge. Jeder bezahlt einen bestimmten Prozentsatz seines monatlichen Bruttos. Werden da Besserverdienende bevorzugt oder benachteiligt?
Britt: Meinen Sie in unserem System?
Durak: In Ihrem System.
Britt: In unserem System ist es ja so, dass etwa 70 bis 80 Prozent ohnehin der Private aufbringen muss. Der kann sich allerdings auch privat versichern lassen, und nur etwa zwanzig, dreißig Prozent der Pflege wird übernommen durch die Sozialversicherung. Wir haben dort ein echtes Problem, nämlich bei den schlechter Verdienenden treiben wir eigentlich die Leute fast in die Armut, bei den besser Verdienenden kann man sich im Alter relativ viel leisten. Ich denke, dass wir dort noch einiges ändern müssen, meine aber auch, man könnte die Pflege durchaus abkoppeln von der Krankenversicherung, denn das Älter werden ist ja per se noch keine Krankheit.
Durak: Es wird daran gearbeitet bei Ihnen?
Britt: Ja, wir sind daran, bis Ende des Jahres Lösungen vorzuschlagen, wir werden nächstes Jahr ins Parlament gehen.
Durak: Dann werden wir uns wahrscheinlich wieder bei Ihnen melden. Herzlichen Dank, Fritz Britt, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung. Herzlichen Dank, Herr Britt, für das Gespräch.
Britt: Besten Dank.
Link: Interview als RealAudio