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Gesungenes Leiden

Im März steht die Passionszeit und damit das Gedenken an das Leiden Jesu Christi im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens. Nach Johann Sebastian Bach eine Johannes-Passion zu schreiben, ist ein Wagnis. Der schottische Komponist James MacMillan hat es gewagt und vor einem Jahr in London diese neue Johannes-Passion uraufgeführt. In Berlin wurde die halbszenische Fassung nun mit großem Applaus belohnt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Eine Passionsaufführung wie andere ist das nicht. Eine "katholische Johannespassion" nennt der schottische Komponist James MacMillan sein Werk. Eine "katholische" Passion? Was soll das sein, dient MacMillan als Basis doch auch nur das konfessionell nicht gerichtete Johannes-Evangelium?

    "Ich wollte damit nicht einen Unterschied zur Passionsgeschichte einer anderen Konfession bezeichnen, sagt MacMillan. Hinweisen wollte ich damit auf meine Erfahrung der katholischen Liturgie - wie die Passionen Bachs in der lutherischen Liturgie wurzeln.
    Ich kann die Choräle Luthers nicht benutzen, die gehören nicht zu mir. Zu mir gehören lateinische Motetten. Deshalb habe ich die katholische Karfreitagsliturgie einbezogen an bestimmten Punkten. Aber das macht keinen "katholischen" Geschmack."

    Auf der Bühne des Berliner Konzerthauses sieht man hinten auf der Orgelempore den Chor, davor das Orchester und eingebettet am Rand einen kleinen Extrachor. Vor dem Orchester links ein Erdhaufen, daneben Steine, Balken. Zu Beginn wird von dem in schwarzem Hemd und Hose bekleideten Solisten aus dem Erdhaufen ein nur mit Lendenschurz bedeckter Mann ausgegraben und vom sozusagen Lehm befreit.

    Jesus in zweierlei Gestalt meint das: als Gott und als sterblicher Mensch. Der Jesus-Mensch wird mit einem dicken Seil gefesselt, zu dem Haufen Steinen gezerrt zum Verhör, dann weiter zur Richtstätte mit den dicken Balken, von denen einen er sich als Kreuz an die Schultern heftet.

    Schließlich die Kreuzigung. Der Mensch Jesus wird an den Füßen aufgehängt, bis man ihn wieder abnimmt. Schlussstück dieses zehnteiligen Kreuzwegs ist ein rein instrumentaler Abschnitt - Darstellung des vergöttlichten, vergeistigten Christus.

    James MacMillan‘s Johannespassion wurde im vergangenen Jahr in London uraufgeführt. Jetzt haben sie der mit Auftrag gebende Berliner Rundfunkchor und das Rundfunksinfonieorchester unter Simon Halsey in Deutschland erstaufgeführt, ergänzt hier durch pantomimische Bilder in der Choreografie von Lars Scheibner.

    Den Begriff "katholisch" versteht MacMillan im griechischen Wortsinn als "allumfassend". Und sicher trifft das für seine musikalische Ästhetik. Mühelos verbindet MacMillan die Moderne mit der Tradition. Aggressive Bläserfanfaren stehen neben fein Ziseliertem. Die eingestreuten liturgischen Gesänge sind wie Ruhepunkte. Vor allem aber geht es MacMillan um Dramatik.

    Sehr anders als bei Bach ist auch MacMillans dramaturgisches Konzept. Einziger Solist ist bei ihm der seinem Kreuzestod entgegengehende Jesus. Die Rolle des Erzählers übernimmt der solistisch besetzte Extra-Chor. Alle übrigen Figuren der Karfreitagsgeschichte, inklusive Pilatus, werden vom großen Chor gesungen. Über weite Strecken ist das recht eindrucksvoll gelungen. Fraglich, ob als achte Station die inzwischen ja auch in der katholischen Theologie umstrittenen Vorwürfe Jesu an die Juden mitvertont werden mussten. Musikalisch ist das ohnehin der schwächste Teil.

    Alltagstauglich dürfte diese Passion kaum sein. Der Aufwand zumal in der applaudierten Berliner halbszenischen Fassung ist immens.