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Getanzter Zeitgeist

Markennamen füllen den Bühnenraum. Spiegelverkehrt, auf dem Kopf, umgekippt ziehen sie über die leuchtend blaue Projektionsleinwand. Davor in einer Art halb durchsichtiger Umkleidekabine windet sich ein Marken - Anzugsträger.

Christina-Maria Purkert berichtet |
    Hinter der Projektion laufen zwei Kopien des Anzugträgers aufeinander zu: eine davon trägt Freizeitkleidung. Beim Aufeinandertreffen verschmelzen sie zu einer Figur. Ein Sprecher aus dem Off zitiert aus dem Roman "Fight Club", darunter auch das zentrale Problem der von Konsum und Karriere geplagten Hauptfigur Tyler.

    Die Dinge, die du besitzt, besitzen am Ende dich. Erst wenn du alles verloren hast, hast die Freiheit, alles zu tun, was du willst.

    Diese Exposition schafft unter Aufbietung aller bühnentechnischen Mittel, den Einstieg in Kultroman und -film für das Theater angemessen umzusetzen. Doch die Aufführung hält dies nicht anderthalb Stunden lang durch. Aus einem einfachen Grund. Es wird auch viel getanzt. Und zwar genau so wie der Choreograph Mario Schröder seinen Bewegungsstil beschreibt. Sehr aktiv, expressiv, fast akrobatisch. Das macht sich ganz gut für Kampfszenen zwischen Männern, taugt aber überhaupt nicht für die Umsetzung von rätselhalften Figuren wie der Frau Marla. Die Tänzerin Risa Tateishi zeigt sich äußerst gelenkig. Doch wenn sie in ihrem roten Minikleidchen mit schwarzen Netzstrümpfen mit einer kalte Zigarette hantiert, dann erinnert das an die einst bei Kindern so beliebten Schokoladenzigaretten, mit denen man so tun konnte als wäre man erwachsen - ohne die geringste Ahnung zu haben, was in der imitierten Geste steckt.

    An dieser Blässe des Gefühls krankt auch die Choreographie für das Ensemble, das alle relevanten Romangruppen übernimmt: Die Bürokollegen, die Selbsthilfegruppe, den Fight Club und die Armee Projekt Chaos. Das Aktive, fast Akrobatische bleibt in der Choreographie des Geschwisterpaares Mario und Silvana Schröder insgesamt stärker als das Expressive. Letzteres beschränkt sich zu oft auf überdeutliche Signalgesten mit wenig individueller Ausprägung. Nur die Männer erhalten in den Szenen zum Fight Club Gelegenheit, ihre eigenen aggressiven Energien aufscheinen zu lassen. Sie packen Zuschauer in der ersten Reihe beim Handgelenk mit fast glaubhafter Aufforderung zum Kampf. Und sie liefern dann furiose Zweierkämpfe, die leider von Requisitendetails und Regieeinfällen in ihrer Wirkung schlicht aufgeweicht werden. Wo bleibt der Schmerz beim Sturz auf ein Matratzenlager und wo der Schauder, wenn die Hemden vor dem Kampf wie Putzlappen in einen Eimer mit roter Farbe getaucht werden?

    Es ist schade, dass das Choreographenduo nicht auf ruhige Momente vertraut, eben nicht die körperliche Dimension bis an die Schmerzgrenze ausreizt, sondern auf Aktion und Effekte setzt. Dazu gehört auch, das die Musikcollage, die zur guten Hälften aus der Produktion der Einstürzenden Neubauten stammt, immer eindeutige Stimmungen setzt, die noch von plakativer Lichtgestaltung - nachtblau, dunkelrot, hartweiss - übermässig verdeutlicht wird.

    Fight Club aber handelt nicht von schlichten Thesen der Konsumkritik und Erklärung von gesellschaftlichen Gewaltphänomenen aus diesem Ansatz. Es behandelt Gewaltphantasien und Wohlstandsneurosen und läßt die Grenze zwischen Realität und Vorstellung in der Schwebe.

    Das Niveau von Roman und Film in diesem Spiel mit der Realität erreicht die Dortmunder Bühnenfassung nicht. Auch hat sie meiner Meinung nach nicht die behauptete Aktualität: Der Reiz von männlichen Gewaltphantasien hat seit den Anschlägen vom 11. September und im Angesicht eines drohenden Irakkrieges stark nachgelassen. Er erscheint mir als ein Thema der Boom Jahre der New Economy. Eines aber will ich Mario Schröder noch zu gute halten: er bemüht sich mit Tanz Geschichten zu erzählen, die Tradition des Handlungsballettes ins 21. Jahrhundert weiterzuführen. Und er tut dies bei aller Kritik besser als viele andere, die das auch versucht haben.

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