Ein Antikriegsstück aus dem Jahr 1936 und es protestieren: ausschließlich Frauen. Tänzerinnen defilieren in komplizierten Körperverdrehungen am Publikum vorbei, einen Arm pressen sie an die eigene Hüfte, mit der Hand des anderen Arms tupfen sie sich auf die Schulter wie antike Statuen, deren entspannte Schönheit in einem Krampf erstarrt ist. Es sind witwenschwarze Märsche der Abwehr, des Schmerzes und der Wut.
"Chronicle" heißt das Ballett, mit dem Amerikas Tanzlegende Martha Graham Mitte der 30er Jahre ihre Antwort auf den aufkommenden Faschismus in Europa choreografierte. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin hatte sie mit Verweis auf ihre jüdischen Kompanie-Mitglieder und aus Abscheu gegen das Nazi-Regime abgelehnt. Statt chauvinistischem Siegestaumel zeigte sie weibliche Sorge, Ahnungen von der kommenden Tragödie. In der Aufführung der Martha Graham Dance Company ist es 70 Jahre nach Entstehung dieses Balletts vor allem das Wissen um diese politische Hellsichtigkeit, die fasziniert. Den grotesken Sprüngen und geballten Fäusten der Frauen, ihrer in durchgedrückten Wirbelsäulen eingepressten Aggressivität - sie verlangen heute noch respektvolle Neugierde. Dank seiner zeitenthobenen Stilisierung und Abstraktion hat das Ballett Klassikerstatus erreicht - und damit ebenso Würde wie Distanz. Erschüttert wird nach der Performance wohl niemand auf die dunkle Bühne starren, der Eindruck, gerade in einen Abschnitt im Tanzmuseum absolviert zu haben, bleibt, auch wenn die heutige Martha Graham Dance Company spürbar Polierarbeit leistete: Zeitgenössisch-athletische Tänzerkörper, neue Stoffe für die Kostüme und ein nach innen genommener Gestus, der nach dem authentischen Gefühl und nicht nach der Demonstration einer solchen Emotion sucht - die Kompanie kämpft um die Modernität ihrer Namensgeberin. Denn dass die 1991 verstorbene Graham ein Tanzgenie war, deren Werke es unbedingt verdienen, bewahrt zu werden, ist unumstritten. Dass eine solche Konservierung im Tanz nur durch Auftritte geschehen kann, wohl auch. Eben das ist die Mission, mit der die in New York beheimatete Kompanie nun durch die Welt reist, mit 10 bis 12 Stücken im Repertoire, von denen sie nun auf ihrer Deutschland-Tour drei präsentiert. Ein wenig überrascht angesichts dieses Anspruchs jedoch, dass selbst für ausgesprochene Graham-Tänzer viele ihrer kantigen Bewegungen noch fremd scheinen und so manche Pose unfreiwillig verkrampft, gelegentlich auch verwackelt daher kommt. Mäkel, die besonders im letzten Teil des Abends, im 1981 entstandenen "Acts of Light" sichtbar werden.
In hautengen Goldtrikots wird hier dem Tanz selbst gehuldigt. Ein Ballett, das voller Zitate und Referenzen auf Martha Grahams frühere Stücke steckt. Der dritte Teil wirkt wie Demonstrationen aus einer typischen Trainingsklasse der Choreografin - und was in Wahrheit eine großartige neue Tanztechnik aus Anspannung und Entspannung war, wirkt als Bühnen-Performance wie monumentaler Körperkult. Das Hauptproblem des Abends jedoch ist: Jede choreografische Nuance wird vom Hollywood-Soundtrack weggeschnulzt, die Kompositionen von Wallingford Riegger, Carl Nielsen und Carlos Surinach donnern über jegliche subtile Dezenz im Tanz hinweg. Diesem musikalischen Diktat kann sich eigentlich nur das zweite Stück des Abends "Embattled Garden" aus dem Jahr 1958 entziehen.
Sarkastisch erzählt Graham in diesem Quartett von den Liebeswirren im Garten Eden, lässt die beiden Männer muskelprotzig rivalisieren und die Geschlechter sich mit Flamencoposen umgarnen. Eitelkeit und Oberflächlichkeit, so Grahams böse Botschaft, haben die Menschen aus dem Paradies vertrieben. Im poppig-bunten Bühnenbild wirkt Grahams Ironie hier fast schon wie absichtsvolle Trash-Kunst. Das mag zwar Zeitgenossenschaft auf verkehrte Art und Weise sein, aber immerhin wird so der staubige Muff der Tanzhistorie munter aufgewirbelt, Der Zuschauer wird an diesem Abend nicht nach dem Geiste der Tanzlegende geformt, doch der Blick zurück in eines der bedeutsamsten Kapitel der Tanzes sorgt eben vor allem eine typische Geschichtsrezeption: für einen Gefühlsmix zwischen Ehrfurcht und Spott.
Martha Graham Dance Company zu Gast in Köln
Premiere: 25.07.06 um 20 Uhr
Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln
Tel.: 0221 / 280 280
Weitere Aufführungen: 26. und 27.07. um 20 Uhr, 28. und 29.07. um 21 Uhr und am 30.07. um 15 Uhr
"Chronicle" heißt das Ballett, mit dem Amerikas Tanzlegende Martha Graham Mitte der 30er Jahre ihre Antwort auf den aufkommenden Faschismus in Europa choreografierte. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin hatte sie mit Verweis auf ihre jüdischen Kompanie-Mitglieder und aus Abscheu gegen das Nazi-Regime abgelehnt. Statt chauvinistischem Siegestaumel zeigte sie weibliche Sorge, Ahnungen von der kommenden Tragödie. In der Aufführung der Martha Graham Dance Company ist es 70 Jahre nach Entstehung dieses Balletts vor allem das Wissen um diese politische Hellsichtigkeit, die fasziniert. Den grotesken Sprüngen und geballten Fäusten der Frauen, ihrer in durchgedrückten Wirbelsäulen eingepressten Aggressivität - sie verlangen heute noch respektvolle Neugierde. Dank seiner zeitenthobenen Stilisierung und Abstraktion hat das Ballett Klassikerstatus erreicht - und damit ebenso Würde wie Distanz. Erschüttert wird nach der Performance wohl niemand auf die dunkle Bühne starren, der Eindruck, gerade in einen Abschnitt im Tanzmuseum absolviert zu haben, bleibt, auch wenn die heutige Martha Graham Dance Company spürbar Polierarbeit leistete: Zeitgenössisch-athletische Tänzerkörper, neue Stoffe für die Kostüme und ein nach innen genommener Gestus, der nach dem authentischen Gefühl und nicht nach der Demonstration einer solchen Emotion sucht - die Kompanie kämpft um die Modernität ihrer Namensgeberin. Denn dass die 1991 verstorbene Graham ein Tanzgenie war, deren Werke es unbedingt verdienen, bewahrt zu werden, ist unumstritten. Dass eine solche Konservierung im Tanz nur durch Auftritte geschehen kann, wohl auch. Eben das ist die Mission, mit der die in New York beheimatete Kompanie nun durch die Welt reist, mit 10 bis 12 Stücken im Repertoire, von denen sie nun auf ihrer Deutschland-Tour drei präsentiert. Ein wenig überrascht angesichts dieses Anspruchs jedoch, dass selbst für ausgesprochene Graham-Tänzer viele ihrer kantigen Bewegungen noch fremd scheinen und so manche Pose unfreiwillig verkrampft, gelegentlich auch verwackelt daher kommt. Mäkel, die besonders im letzten Teil des Abends, im 1981 entstandenen "Acts of Light" sichtbar werden.
In hautengen Goldtrikots wird hier dem Tanz selbst gehuldigt. Ein Ballett, das voller Zitate und Referenzen auf Martha Grahams frühere Stücke steckt. Der dritte Teil wirkt wie Demonstrationen aus einer typischen Trainingsklasse der Choreografin - und was in Wahrheit eine großartige neue Tanztechnik aus Anspannung und Entspannung war, wirkt als Bühnen-Performance wie monumentaler Körperkult. Das Hauptproblem des Abends jedoch ist: Jede choreografische Nuance wird vom Hollywood-Soundtrack weggeschnulzt, die Kompositionen von Wallingford Riegger, Carl Nielsen und Carlos Surinach donnern über jegliche subtile Dezenz im Tanz hinweg. Diesem musikalischen Diktat kann sich eigentlich nur das zweite Stück des Abends "Embattled Garden" aus dem Jahr 1958 entziehen.
Sarkastisch erzählt Graham in diesem Quartett von den Liebeswirren im Garten Eden, lässt die beiden Männer muskelprotzig rivalisieren und die Geschlechter sich mit Flamencoposen umgarnen. Eitelkeit und Oberflächlichkeit, so Grahams böse Botschaft, haben die Menschen aus dem Paradies vertrieben. Im poppig-bunten Bühnenbild wirkt Grahams Ironie hier fast schon wie absichtsvolle Trash-Kunst. Das mag zwar Zeitgenossenschaft auf verkehrte Art und Weise sein, aber immerhin wird so der staubige Muff der Tanzhistorie munter aufgewirbelt, Der Zuschauer wird an diesem Abend nicht nach dem Geiste der Tanzlegende geformt, doch der Blick zurück in eines der bedeutsamsten Kapitel der Tanzes sorgt eben vor allem eine typische Geschichtsrezeption: für einen Gefühlsmix zwischen Ehrfurcht und Spott.
Martha Graham Dance Company zu Gast in Köln
Premiere: 25.07.06 um 20 Uhr
Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln
Tel.: 0221 / 280 280
Weitere Aufführungen: 26. und 27.07. um 20 Uhr, 28. und 29.07. um 21 Uhr und am 30.07. um 15 Uhr