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Geteiltes Kinoland

Mit den Bavariastudios galt München lange Zeit als Hochburg des deutschen Films, doch jetzt holt Berlin auf und macht München als Filmmetropole Konkurrenz. Nicht nur deutsche Regisseure sondern auch internationale Filmproduzenten zieht es in die einst geteilte Hauptstadt. Der Grund: günstige Produktionsbedingungen und kreativer Flair.

Von Rüdiger Suchsland |
    Netto hieß eines jener kleinen Berliner Filmwunder, ein für wenig Geld produzierter Straßenfilm, wie er zusammen mit einem Dutzend anderer neuerer Filme den jüngsten Aufschwung des Filmstandorts Berlin repräsentiert.

    Neben solchen typischen und unverwechselbaren Berlin-Filmen war die Hauptstadt zuletzt noch für ganz andere Filmgrößen gut: Tom Cruise drehte im Bendlerblock, Nicole Kidman in Babelsberg - Amerikas Superstars gaben sich im letzten Jahr in Berlin die Klinke in die Hand.

    Mag Berlin auch sonst vor allem als nationaler Kostgänger Schlagzeilen machen - zumindest als Filmstadt ist Berlin längst zum superhippen Glamourzentrum mutiert und erscheint auf Hollywoods Landkarte derzeit als der zentrale Anlaufpunkt in Europa, weit vor anderen europäischen Hauptstädten.

    Inzwischen dreht ein Michael Haneke seinen neuen Film statt in Paris in Berlin, es gibt mit der "Berliner Schule" eine Bewegung, die einige der spannendsten Filmemacher der Republik vereint, und trotz aller Hollywoodavancen hat Tom Tykwer gerade mit der Herbstfilm eine neue Produktionsfirma abseits der Partnerfirma X-Filme gegründet, um dort wirklich unabhängiges Autorenkino zu produzieren.

    Leidtragender all dessen ist vor allem München. Vor 1989 sonnte man sich in der bayerischen Landeshauptstadt gern in dem Ruf der "heimlichen Hauptstadt". In filmischer Hinsicht war man das in jedem Fall: In den Bavariastudios entstand das meiste, was auf Leinwand und Fernsehbildschirm Zuschauer lockte, von Edgar-Wallace-Krimis bis zu Wolfgang Petersens Das Boot, in den nahen Bergen drehte man Lederhosen-Sex und Schulmädchenreports, und auch die Größen des Neuen Deutschen Films, Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge und Werner Herzog arbeiteten von München aus.

    Aber das alles hat sich seit dem Mauerfall kontinuierlich geändert. München scheint nicht länger ein repräsentativer Schauplatz für das, was in Deutschland passiert:

    "Was ich München wirklich absprechen würde, ist dass es eine Großstadt ist, auch mit dem Tempo einer Großstadt","

    sagt etwa Kirsten Esch, Regisseurin und Produzentin aus München.

    ""Du siehst ja hier auf der Straße nichts. Hier ist ja das Gefühl, es sei das Paradies auf Erden. Das ist natürlich nicht so. Du wirst mit nichts konfrontiert. Es hat was Irreales."

    Auch ökonomisch hat Berlin den Münchnern an Attraktivität klar den Rang abgelaufen. Viele Filmemacher ziehen aus dem überteuerten München ins so günstige, wie wache Berlin. Und auch die Filmförderung des erst 2004 gegründeten Medienboards Berlin-Brandenburg liegt bereits über der der bayerischen Förderer.

    "Produktionsnachteile sind hier, dass Du natürlich dieselben Budgets kriegst, die hier aber wesentlich teurer zu produzieren sind. Das heißt Du hast im Prinzip weniger Geld zur Verfügung, wenn Du in München produzierst, als wenn Du in Berlin produzierst. Das ist der Nachteil in München. Schnittplätze sind teurer, Cutter sind teurer, Equipment ist teurer. Alles ist teurer hier."

    "Vom Gschafteln in München" schrieb der Kritiker Tobias Kniebe kürzlich in einem lesenswerten Artikel zur Lage des deutschen Films in der "Süddeutschen Zeitung", nannte den entscheidenden Einfluss des Bayerischen Fernsehens.

    Bei allem Lokalpatriotismus musste der Autor zugeben, dass es neben der übermächtigen Constantin-Film - die übrigens längst mehrheitlich amerikanischen Investoren gehört - und Ausnahmeerscheinungen wie Bully Herbig, über dessen künstlerische Bedeutung man gewiss auch geteilter Meinung sein kann, kaum jüngere Regisseure gibt, die in München heimisch werden.

    Die einzige Ausnahme ist Marcus H. Rosenmüller, der vor zwei Jahren mit der Retro-Komödie "Wer früher stirbt, ist länger tot" einen Achtungserfolg landete, und dem seitdem von den bayerischen Filmförderern das Geld geradezu hinterhergeworfen wird: Vier Filme hat er inzwischen gedreht, und ganz Übereifrige nehmen Rosenmüller schon zum Anlass, eine Renaissance des Heimatfilms - sozusagen als Gegenstück zur intellektuellen "Berliner Schule" auszurufen.

    Aber die Gleichung "München heißt Publikumserfolg, Berlin Filmkunst" wäre viel zu einfach. Denn auch ein Til Schweiger dreht Publikumsrenner wie "Keinohrhasen" am Prenzlauer Berg und nicht in Schwabing. Der Münchner Dominik Graf dreht gerade einen Gangster-Mehrteiler für das Fernsehen in Berlin. Und sogar das vermeintliche Münchner Komödien-Original Helmut Dietl, der einst mit "Monaco France" und "Kir Royal" einen Großteil des München-Images in der Republik prägte, dreht nun in der Hauptstadt.

    Bei der Ursachenforschung für die schleichende Krise des einst großen Kinostandorts München erinnern sich da kurz vor der Landtagswahl manche auch an die bekannt festgefahrenen politischen Strukturen:

    "Natürlich ist hier die CSU präsent und die prägt auch die Inhalte: Was ist gewollt, was nicht? Wie wild wollen wir leben? Wild wollen wir nicht leben."