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Getreideproduktion in der Ukraine

Dass die Getreideproduktion in der Ukraine seit 1990 um mehr als die Hälfte gesunken ist, lässt sich nur teilweise auf ungünstige Witterungsbedingungen zurückführen. Große Probleme sind entstanden, weil der nationale Agrarmarkt unterentwickelt ist und die Agrarbetriebe nicht genügend Kapital haben, um ihren Maschinenpark zu erneuern.

Von Sergej Pomeranzew |
    Vor diesem Hintergrund scheint die Strukturreform des Agrarsektors, die Staatspräsident Leonid Kutschma Ende des vergangenen Jahres eingeleitet hat, ein längst überfälliger Schritt gewesen zu sein. Auf der Basis der alten gemeinschaftlichen Betriebe wurden in weniger als vier Monaten mehr als 11 000 neue Unternehmen gegründet. Rund 70 Prozent davon sind Wirtschaftsgesellschaften und landwirtschaftliche Genossenschaften; lediglich 6 Prozent arbeiten privatwirtschaftlich.

    Kritiker halten diese Reform für übereilt und sehen darin eine weitere Ursache für die schlechten Ernteerwartungen in diesem Jahr. Ihrer Ansicht nach bemühten sich die Beamten vorwiegend darum, die vom Staatsoberhaupt gesetzten kurzen Fristen einzuhalten. Für die finanzielle und materielle Absicherung der Frühjahrsbestellungen in den formal privaten Agrarbetrieben habe der Staat sich aber nur begrenzt verantwortlich gefühlt.



    Die Missernte des vergangenen Jahres hat zu Defiziten am Getreidemarkt geführt. Die Preise steigen, und folglich wurde auch das Brot teurer. Eine solche Situation dürfe sich nicht mehr wiederholen, fordert Präsident Kutschma. Daraufhin führte sein Kabinett ein zollbegünstigtes Getreidekontingent in Höhe von 1,5 Millionen Tonnen Brotgetreide ein. Zwar wurde daraufhin im Mai doppelt soviel Weizen importiert wie im Vormonat. Experten der Ukrainischen Agrarbörse schätzen aber, dass nur etwa 350 000 Tonnen Weizen eingeführt wurden; das Kontingent also bei weitem nicht ausgeschöpft ist.

    Unterdessen sind die Getreidepreise auf dem ukrainischen Markt beinahe auf Weltmarktniveau gestiegen. Das sei gerecht und gut für die Landwirte, meint man im Agrarministerium in Kiew. Die hohen Preise verhinderten außerdem, dass das Land übermäßig viel Getreide exportiere. Das Ministerium will dafür sorgen, dass die Preise ihr Niveau halten, wenn die neue Ernte die Märkte erreicht.

    Voriges Jahr hatten die meisten Landwirte ihr Getreide gleich nach der Ernte für wenig Geld verkauft, um Liquiditätslücken in ihren Betrieben zu schließen. Eine solche Situation müsse in dieser Saison unbedingt verhindert werden, meint Präsident Kutschma. Um Preisschwankungen vorzubeugen und den Markt generell zu stabilisieren, will das Land sogenannte "Pfandankäufe" mit Rückkaufrecht einführen. Das können die Produzenten in Anspruch nehmen, wenn sie sich später dafür entscheiden, Getreide am freien Markt zu eventuell besseren Preisen abzusetzen. Es soll dann zum gleichen Wert zurückgekauft werden, zuzüglich der entstandenen Lagerkosten.

    Vorerst sollen die "Pfandankäufe" mit Krediten finanziert werden; ab dem kommenden Jahr werden dafür Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Daneben gibt es weiter direkte staatliche Getreideankäufe, die unter anderem zum Ausgleich regionaler Überschüsse oder Defizite dienen sollen. Die Regierung plant, bis Anfang November ein Branchenprogramm vorzulegen, um die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen zu erleichtern. Dadurch, so das Ziel, würden die Einnahmen aus dem Getreideverkauf dessen Produzenten zugute kommen und auf diese Weise wirksame Impulse zur Steigerung der nationalen Getreideproduktion setzen.