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GEW zu HafenCity-Uni-Klage
"Hochschulbildung ist ein Grundrecht"

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft warnt davor, das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte über Gebühr einzuschränken. "Hochschulzulassung ist ein Grundrecht", sagte GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller im DLF, "und in dieses Grundrecht darf nur eingegriffen werden, wenn es dringende Gründe gibt." Hintergrund ist eine Verfassungsbeschwerde der Hamburger HafenCity-Uni gegen Kapazitätsverordnungen aus den 70er-Jahren.

Andreas Keller im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Begrüßung der Erstsemester an der Westfälische-Wilhelms-Universität in Münster. 5400 Studenten haben zum Wintersemester 2014/2015 ihr Studium aufgenommen
    Es fehlt an freien Studienplätzen. (imago / Rüdiger Wölk)
    Benedikt Schulz: Vor knapp 43 Jahren, im Juni 1972, da traf das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung, was die Zulassung zu Hochschulen angeht. Damals war kurz vorher der Numerus clausus eingeführt worden. Da hieß es, dass das Grundrecht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte nur dann eingeschränkt werden kann, wenn alle vorhandenen Ausbildungskapazitäten erschöpfend genutzt würden. Dieser alte Grundsatz ist die Grundlage, quasi die Mutter aller seitdem erfolgten Studienplatzklagen.
    Genau gegen diese alte Bestimmung will die Hamburger HafenCity-Universität nun vorgehen, ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Beschwerdeführer argumentieren, mit dieser alten Bestimmung werde massiv in die Grundrechte der Hochschule eingegriffen, weil die Gerichte die Kläger, nämlich diejenigen, die einen Platz haben wollen, einfach zur Uni durchwinken würde - das hat zumindest der Präsident der HafenCity-Uni so formuliert. Wie berechtigt ist diese Kritik der Hochschule und welche Folgen hätte ein Urteil für die deutsche Hochschullandschaft insgesamt? Darüber spreche ich mit Andreas Keller, Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und dort zuständig für den Bereich Hochschule. Ich grüße Sie!
    Andreas Keller: Ja, schönen guten Tag!
    Schulz: Die Hamburger Uni will, dass das Kapazitätsrecht geändert wird. Ist eine Reform dieser jahrzehntealten Regelung tatsächlich überfällig?
    Keller: Nun, zum einen kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die Hochschulen ein Problem damit haben, dass zu Recht immer mehr Studierende ein Studium aufnehmen möchten, aber auf der anderen Seite der Ausbau der Hochschulen dieser steigenden Nachfrage nicht Schritt hält und die Hochschulen sozusagen auf Dauer am Limit arbeiten müssen, mit übervollen Hörsälen und vor allem mit überlasteten Lehrenden.
    Auf der anderen Seite ist es nun allerdings so, dass wir, als die Idee auch zu dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1972 stehen, denn dieses Urteil hat deutlich gemacht, Hochschulbildung ist ein Grundrecht, das Recht auf Hochschulzulassung ist ein Grundrecht, und in dieses Grundrecht darf nur eingegriffen werden, wenn es dringende Gründe gibt, wenn also wirklich die Kapazitäten an einer Hochschule erschöpft sind.
    "Bund und Länder müssten [...] für ein besseres Betreuungsverhältnis sorgen."
    Schulz: Aber ob jetzt eine Klage erfolgreich ist, also eine Studienplatzklage, hängt ja in der Regel auch davon ab, wie viel Geld die Eltern investieren können, zum Beispiel in Anwälte. Es hat sich ja ein ganzer Geschäftszweig in den letzten Jahrzehnten um dieses Einklagen gebildet. Das ist doch auch nicht gerecht, oder?
    Keller: Nein, das Einklagen ist natürlich insofern nicht gerecht, als sich tatsächlich das nicht alle trauen. Aber auf der anderen Seite ist es nun mal so, dass es ein Grundrecht ist, das einklagbar ist, und wenn nun eine Hochschule nachweislich Studienplätze hat, sie aber nicht besetzt, dann ist es auch richtig, dass dies überprüft werden kann.
    Aber dahinter steckt natürlich in der Tat eine berechtigte Frage, nämlich dass wir seit 1972 einen Zustand haben, der vom Bundesverfassungsgericht damals als Ausnahmezustand bezeichnet wurde, nämlich, dass systematisch viel zu wenig Studienplätze vorhanden sind. Das ist eigentlich der Skandal. Das heißt, Bund und Länder müssten, indem sie den Hochschulpakt 2020 aufstocken, indem sie dort auch für ein besseres Betreuungsverhältnis sorgen, dann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir den Numerus clausus überwinden können, weil der Numerus clausus ja flächendeckend Studienberechtigte von der Aufnahme des Studiums abhält - der ist ja eigentlich das Problem. Und dieses Problem muss politisch gelöst werden.
    "Wir werden anhaltend stabil hohe Studienanfängerzahlen haben"
    Schulz: Glauben Sie denn, dass das in den nächsten Jahren perspektivisch möglich ist? Weil Sie sagen ja selbst, das Problem besteht ja genau genommen, oder dieser Ausnahmezustand, eigentlich schon seit über 40 Jahren.
    Keller: Ja, also wir setzen eigentlich ganz stark darauf, denn mittlerweile hat sich doch gezeigt, die Vorstellung, dass der Studierendenberg ein Berg ist, das heißt, die Studierendenzahlen aus demografischen Gründen in den nächsten Jahren jetzt wieder zurückgehen, die hat mittlerweile auch die Kultusministerkonferenz wieder aufgegeben. Es gibt keinen Berg, sondern eher ein Hochplateau. Wir werden also anhaltend stabil hohe Studienanfängerzahlen haben, und deswegen müssen Bund und Länder da nachsteuern.
    Und wir haben ja eine gute Voraussetzung dafür Ende letzten Jahres bekommen, nämlich dass das Kooperationsverbot für den Hochschulbereich gelockert wurde. Jetzt kann also auch der Bund, was er jahrzehntelang nicht konnte, wieder Folgendes tun: Er kann die Länder, die Hochschulen unterstützen dabei, Studienplätze zu schaffen, in der Fläche und auf Dauer die Hochschulen ausbauen und vor allem auch noch gleichzeitig was Zweites tun, nämlich die Betreuungsverhältnisse verbessern. Und das wäre dann auch die Voraussetzung dafür, dass das Kapazitätsrecht, wie es heute besteht, eine größere Akzeptanz hätte, wenn wir die Curricula-Normwerte im Bologna-Zeitalter dem gerecht werden lassen würden, dass die Studierenden natürlich eine viel bessere Betreuung brauchen, als es vielleicht noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war.
    GEW befürchtet Aufweichung eines Grundrechts
    Schulz: Nehmen wir mal an, dass dieser Beschwerde nun stattgegeben wird vonseiten des Bundesverfassungsgerichts. Welche Folgen würde das denn für das Zulassungsrecht haben, was glauben Sie, in der Zukunft?
    Keller: Na ja, die Folge wäre, wenn dieser Fall wirklich eintreten würde, dass ein wichtiger Grundsatz, der auch die Öffnung der Hochschulen letztlich in den letzten Jahrzehnten möglich gemacht hat, infrage gestellt wird. Also das würde sozusagen denjenigen auch Vorschub leisten, die im Kern darauf abzielen, dass sie nicht mehr so viele Studierende an den Hochschulen aufnehmen müssen, wie eigentlich es notwendig wäre, um die Hochschulen offen zu halten.
    Also besteht auch die Gefahr letztlich einer Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft. Es gibt dann vielleicht einige Hochschulen, die auf die Idee kommen, wir machen eine exzellente Forschung, werben dafür auch Drittmittel ein, wir brauchen aber dann auch nicht mehr so viele Studierende, die uns da dann vielleicht eher, ich überspitze das mal jetzt ein bisschen, lästig werden könnten. Und andere Hochschulen, die vielleicht in der Forschung nicht so erfolgreich sind, die sind dann stärker darauf angewiesen, weiterhin eine Massenhochschule zu bleiben.
    Das sind Gefahren, die damit verbunden sind in dem Moment, wo die Hochschulen sich entscheiden könnten, wie viele Studierende sie eigentlich aufnehmen wollen oder nicht, und nicht mehr dem Grundrecht Rechnung tragen müssen, dass, solange es Kapazitäten gibt, sie auch die Studierenden aufnehmen müssen.
    Schulz: Sagt Andreas Keller, Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ganz herzlichen Dank, Herr Keller!
    Keller: Ja, ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.