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Gewalt begegnen

Viele Lehrer wissen mit gewalttätigen Schülern nicht umzugehen. 400 von ihnen haben nun die Möglichkeit, sich die fehlende psychologische Kompetenz anzueignen. In Form eines kostenlosen Zusatzkurses werden sie von Wissenschaftlern der Forschungsgruppe "Jugendliche Delinquenz" der FU Berlin gezielt ausgebildet.

Von André Hatting | 04.02.2008
    "Ja, na klar geht man auch auf Schulen und schlägt man sich dort mit anderen Jungs/Ja, und dann gehen wir hin und dann prügeln wir uns halt mit denen/Ja, na klar gab` s das mit Messer und solch anderen Sachen/Messer, Schreckschusswaffen, alles Schlagring, gabs alles mit drin/Dann bekommt man auch viele Probleme auch zu Hause, auch mit der Polizei - ja?!"

    Jugendliche aus Berlin Kreuzberg. Gewalt an Berliner Schulen ist meist männlich. Und viele der aggressiven Jungen stammen aus Migranten-Familien. Der optimale Lehrer der Zukunft wäre also ebenfalls männlich und ähnlich sozialisiert. Die Situation am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin sieht aber anders aus, sagt Dekan Gerd Hoff. 80 Prozent der Studierenden sind weiblich. Die wenigsten kommen aus Ausländerfamilien:

    "Das gesellschaftliche Bild dieser Berufe, ist so, dass in der Regel Menschen mit diesem Hintergrund, wenn sie dann meinen, sie haben entgegen den Annahmen es geschafft, sich im deutschen Schulsystem durchzusetzen und es geschafft, eine Hochschulreife zu erwerben - dann gehen die in die zukunftsträchtigen Berufe, also machen ein Jura oder Medizin oder Ökonomiestudium."

    Die Lehre, die an den knapp neunhundert Schulen Berlins unterrichten, haben noch ein ganz anderes Problem: Ihre Arbeit beschränkt sich längst nicht mehr darauf, den Schülerinnen und Schülern Geometrie und Rechtschreibung beizubringen, sagt Hans-Jürgen Pokall, Landessschulrat der Berliner Senatsverwaltung:

    "Wir haben heute zur Kenntnis zu nehmen und dies auch in entsprechender Weise aufzunehmen, dass in vielen Fällen Schule auch das ersetzt, was in früheren Zeiten Elternhäuser, Freizeitbildung, Kirchen, andere Jugendgruppen selbstverständlich ersetzt haben."

    Doch damit sind die meisten Lehrer völlig überfordert. Ein Problem, das bereits in der Ausbildung beginnt: Der werdende Englischlehrer studiert vor allem Anglistik. das Lehramt ist dabei nur eine Art Zusatzqualifikation mit ein bisschen Pädagogik, Didaktik und Psychologie, räumt Professor Gerd Hoff von der Freien Universität Berlin ein.

    "All die Chancen, zwischen Psychologie, zwischen Sozialpädagogik, zwischen verschiedenen didaktischen Kompetenzen und der Verrmittlung der allgemeingültigen Kulturinhalten der großen Unterrichtsfachdisziplinen irgendwie anzubieten, das ist uns bisher noch nicht gelungen. Da müssen wir, denke ich, noch eine ganze Menge nacharbeiten."

    Nacharbeiten können jetzt auch 400 Berliner Lehrer. Und zwar psychologische Kompetenz. Die Pädagogen bekommen kostenlose Zusatzkurse angeboten, in denen sie von Wissenschaftlern der Forschungsgruppe "Jugendliche Delinquenz" der FU Berlin gezielt im Umgang mit aggressiven Schülern ausgebildet werden. Die Wissenschaftler betreuen seit fünf Jahren in Kooperation mit den Berliner Jugendämtern straffällige Jugendliche. Der entscheidende Ansatz dabei ist, dass die Motive für straffälliges Verhalten verstanden werden. Die Psychologen unterscheiden dabei vor allem drei Typen von Gewalttätern: Erstens der Jugendliche, der sich prügelt, weil er sich leicht provoziert fühlt. Zweitens der Frusttäter: Er schlägt, um seine seit langem angestaute Wut los zu werden. Sein Opfer bestimmt er wahllos. Und drittens der Jugendliche, der gewalttätig wird, weil er sein Ziele nicht erreicht. Er schlägt seinen Mitschüler, nur um ihn zu zwingen, das neue Handy heraus zu geben. Rebecca Friedmann, Leiterin des Weiterbildungsprojektes:
    "Wenn man das unterscheiden kann, also die Motive gewalttätigen Handelns unterscheiden könnte, dann wüsste man auch, dass es unterschiedliche Strategien im Umgang geben muss. Wir wissen, der instrumentelle Täter, derjenige, der dem anderen das Handy wegnimmt, der gerne auch so eins hätte, und der, wenn er es nicht rausrückt, Gewalt anwendet, derjenige muss bestraft werden. Für den brauchen wir Sanktionen."

    Diesen Täter schrecke auch der umstrittene Wachschutz ab, der seit kurzem an Schulen im Berliner Bezirk Neukölln postiert ist. Aber die meisten gewalttätigen Schüler, so vermutet Friedmann, zählen zu Typ eins: Dem aggressiven, der sich leicht provoziert fühlt. Sanktionen beeindrucken ihn nicht. Er muss lernen, seine Gefühle zu beherrschen. Und der Lehrer muss lernen, ihm genau das beizubringen. Da kommt viel Arbeit auf die freiwilligen Teilnehmer des Pilotprojektes zu, das die Berliner Senatsverwaltung und der Europäischen Sozialfonds finanziert.