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Gewalt gegen Journalisten
„Müssen sich nicht wundern, wenn es was auf die Fresse gibt“

Viele Journalistinnen und Journalisten fühlen sich laut einer Umfrage der Universität Bielefeld bedroht. Dieser Eindruck geht vor allem auf Attacken im Netz und im realen Leben zurück. Betroffene berichten von einer gesunkenen Hemmschwelle für Gewalt gegen Medienschaffende.

Von Robert B. Fishman | 06.05.2020
Ein Teilnehmer einer Kundgebung von Pegida auf dem Altmarkt in Dresden hält seine Hand vor die Kamera des Fotografen.
Besonders auf Demonstrationen fühlen sich viele Journalistinnen bedroht (picture alliance/dpa/Matthias Rietschel)
"Feindbild Journalist - Bedrohung als Normalzustand" – so nennt sich eine im März veröffentlichte Dokumentation, herausgegeben vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit. In Deutschland waren demnach seit 2015 119 Medienschaffende gewaltsamen Angriffen ausgesetzt. Etwa drei Viertel davon kamen aus dem "rechten Lager".
Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Uni Bielefeld kommt nun zu einem ähnlichen Ergebnis: Viele Journalistinnen und Journalisten fühlen sich bedroht. Als Grundlage für diese Erkenntnis dienten dem IKG Online-Fragebögen, die 322 Medienschaffende bis Ende 2019 ausgefüllt haben.
"Es ist beängstigend und deprimierend, so angegriffen und bedroht zu werden. Dies führt zu einer dauerhaft erhöhten psychischen Anspannung bei der Verrichtung der Arbeit. Auf Dauer macht dieser Zustand etwas mit einem. Das eigene Weltbild verformt sich negativ", berichtet Yann Rees, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKG, der die Fragebögen mit ausgewertet hat.
Bedrohung vor allem von rechts
Fast zwei Drittel der Befragten berichten demzufolge von psychischen Belastungen durch Hasskampagnen im Netz und von Angriffen in der realen Welt. In mehr als 80 Prozent der Fälle machen die Befragten für die Attacken Rechte und Rechtsextreme wie die "Identitären", Pegida und die AfD verantwortlich.
Die Reporterin Sophia Maier hat unter anderem für Stern TV von den rechten Ausschreitungen in Chemnitz 2018 berichtet und dort auch körperliche Gewalt erlebt.
"Es ist normal, dass man sowas hört wie Lügenpresse, aber auch ‚hau ab Du dumme Fotze‘ und so weiter. Man hat schon das Gefühl, dass man immer in so einer leichten Bedrohungslage ist, sobald man auf die Menschen dort zugeht oder allein dort arbeitet."
"Grenzen des Sagbaren verschoben"
In den letzten Jahren sei die Hemmschwelle für Gewalt an Journalistinnen und Journalisten gesunken. "Ich glaube, dass es heute viel mehr gesellschaftlich akzeptiert ist, laut Lügenpresse zu rufen, Journalisten zu unterstellen, sie würden lügen, wären staatlich gelenkt, würden Fake News verbreiten und so weiter. Und ich glaube, dass es gesellschaftlich inzwischen fast normal ist, diese Dinge zu behaupten. Das ist das Fundament für die tatsächlichen Bedrohungen gegenüber Journalisten, die daraus resultieren, dass sich eben die Grenzen des Sagbaren im öffentlichen Diskurs verschoben haben."
Ein Eindruck, den der Dortmunder Fotograf Robert Rutkowski bestätigt. Er fotografiert seit mehr als fünf Jahren auf rechten Demos im Ruhrgebiet. Seine Wohnung hat er wegen der vielen Attacken inzwischen speziell gesichert.
"Ich kam mir vor wie ein Spielball"
"In Herne, da waren auch die Steeler Jungs damals. Da kamen die hinterher zu mir und haben sich praktisch neben mich gestellt und Selfies mit mir gemacht. Ich kam mir vor wie so ein Spielball. Die Polizei stand auch daneben, haben nichts getan. Obwohl Polizei da rum steht, gehen die einfach auf einen drauf und greifen dich an. Die fühlen sich so im Recht, dass sie gar nicht mehr merken, dass sie ständig Grenzen überschreiten, einfach weil es für sie keine Grenzen sind."
Ob in der Umfrage des IKG oder im persönlichen Gespräch: Die bedrohten Journalistinnen und Journalisten wünschen sich mehr Rückhalt von Polizei, von Behörden und aus der Zivilgesellschaft.
"Ein Anfang ist ja gerade gemacht worden von meinem Verband, den Freischreibern. Die haben ein Manifest veröffentlicht. Das haben ja auch sehr viele gezeichnet. Solidarisches Umfeld bedeutet, egal was mir passiert, da sind im Hintergrund irgendwelche Leute, auf die kann ich zugehen, wenn ich rechtliche Probleme habe. Die würden helfen, wenn tatsächlich was passiert und man im Krankenhaus liegt."

"Sehr große Defizite in einigen Bundesländern"
Auch Reporter ohne Grenzen fordert mehr Unterstützung für bedrohte Journalistinnen und Journalisten. Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation:
"Generell ist es aus Sicht von Reporter ohne Grenzen wichtig, dass im Rahmen der Ausbildung von Polizistinnen und Polizisten in allen Bundesländern systematisch Wissen über die Rechte von Journalisten im Rahmen von Berichterstattungen gestärkt wird, aber auch die Pflichten von Polizei, die Rechte von Journalistinnen und Journalisten zu schützen. Denn wir beobachten tatsächlich dort sehr große Defizite in einigen Bundesländern."
Fotograf Rutkowski hat die Beamten oft als wenig hilfreich erlebt. "Die Gesetze, die wir haben, reichen aus. Die müssen nur angewendet werden. Da stand jemand vom Staatsschutz neben mir und sagte zu mir - und ich bin gerade angegangen worden von Rechten, Herr Rutkowski, so wie Sie gegen Nazis oder gegen Rechte agieren, müssen Sie sich nicht wundern, wenn es was auf die Fresse gibt."