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Gewalt gegen Lehrer
"Der Lehrer wurde mit der Situation alleingelassen"

Viele Lehrer bekommen Gewalt an Schulen zu spüren, das zeigte eine Studie, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) vor einem Jahr veröffentlichte. Es sei ein Erfolg, dass das Thema inzwischen in vielen Landesministerien diskutiert und nach Lösungen gesucht werde, sagte VBE-Chef Udo Beckmann im Dlf.

Udo Beckmann im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Der Bundesvorsitzende des Lehrer-Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann
    Der Bundesvorsitzende des Lehrer-Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann (picture-alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Manfred Götzke: Dass solche Dinge alles andere als krasse Einzelfälle sind, das hat vor einem Jahr eine Umfrage des Lehrerverbandes VBE gezeigt. Demnach wurde jeder fünfte Lehrer schon mal gemobbt, bespuckt oder geschlagen. An Grundschulen werden sogar 33 Prozent der Lehrer von ihren Jungschülern angegriffen. Diese Studie, die hat vor einem Jahr für ziemlich viel Aufsehen gesorgt, aber hat sich auch für die Lehrer etwas verändert, verbessert – das möchte ich jetzt mit Udo Beckmann besprechen, er ist der Vorsitzende des VBE. Ich grüße Sie!
    Udo Beckmann: Ich grüße Sie auch!
    Götzke: Herr Beckmann, bis Sie diese Studie gemacht haben vor einem Jahr, war das Thema Gewalt gegen Lehrer fast ein Tabu. Haben sich danach mehr Betroffene auch bei Ihnen gemeldet?
    Beckmann: Ja, einmal das, und vor allen Dingen haben wir viel positive Resonanz aus der Lehrerschaft bekommen, dass wir dieses Thema überhaupt einmal öffentlich angepackt haben, weil bis dahin ja es mehr oder weniger immer das Privatproblem des einzelnen Lehrers war, wie er mit solchen Situationen umging und sich der Dienstherr nicht vor die Lehrer gestellt hat.
    "Der Dienstherr hat es nicht als seine Aufgabe gesehen"
    Götzke: Dass man also vorher gesagt hat, der Lehrer ist schuld, weil er pädagogisch nicht fähig ist, solche Situationen zu meistern, oder wie wurde damit umgegangen?
    Beckmann: Der Dienstherr hat es nicht als seine Aufgabe gesehen, den Lehrer oder die Lehrerin dabei zu unterstützen, sondern hat gesagt, vielleicht haben Sie ja Privatrechtsschutz, mit dem Sie das klären können, oder es kamen auch Argumente, denken Sie an die Schule, wie sieht das nach außen aus, wenn so etwas nach außen getragen wird. Es gab also ganz unterschiedliche Argumente, aber immer lief es darauf hinaus, dass der Lehrer mit der Situation alleingelassen wurde, und das war ja auch das, was viele Lehrerinnen und Lehrer über lange Zeit hin geärgert hat, und wir haben gemerkt, im Rahmen unserer Rechtsberatung der Mitglieder, dass das Thema zunehmend anstieg, zunehmend größere Bedeutung bekam, und deswegen haben wir diese Studie gemacht, zumal die Ministerien ja keine Erhebung solcher Fälle vorgenommen haben.
    Götzke: Hat sich das denn jetzt tatsächlich verändert ein Jahr später, also kümmern sich die Ministerien jetzt besser um ihre Mitarbeiter, um die Lehrkräfte?
    Beckmann: Gut, wir haben ja eine sehr breit angelegte öffentliche, aber auch politische Initiative ergriffen. Wir haben alle einzelnen Schulministerien in den Ländern angeschrieben, der Bundesvorsitzende gemeinsam mit den Landesvorsitzenden, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Wir haben eine Broschüre aufgelegt, in dem wir Hinweise geben, was aus unserer Sicht getan werden sollte, was wichtig wäre, um dieses Thema so zu bearbeiten, dass Lehrkräfte sich auch sicher fühlen können. Wir haben jetzt zahlreiche Rückmeldungen bekommen. Neun von sechzehn Ländern haben sich inzwischen bei uns gemeldet, und entscheidend ist ein Punkt, dass wir erreicht haben, dass das Thema in den Ministerien diskutiert wird und dass die Länder versuchen, Lösungen zu finden, wie man anders damit umgeht als bisher, und das ist schon ein großer Erfolg für uns.
    "Es gibt sehr unterschiedliche Dinge, die man tun kann"
    Götzke: Wir haben ja gerade zwei Beispiele von Gewalt gegen Lehrkräfte gehört. Wie sollten sich denn Lehrer Ihrer Meinung nach in solchen Situationen verhalten? Also ich meine, Gegengewalt verbietet sich natürlich, aber selbst Anzeige erstatten läuft ja bei einem siebenjährigen Schüler auch irgendwie ins Leere. Was kann man da überhaupt tun?
    Beckmann: Es gibt sehr unterschiedliche Dinge, die man tun kann, die ja auch sehr abhängig sind vom Alter der Schülerinnen oder der Schüler. Das haben Sie ja gerade deutlich gemacht, ist es ein Siebenjähriger, dann hat man ja keine Möglichkeit der Strafanzeige, aber dann ist es eben wichtig, dass man trotzdem dieses Thema anspricht, dass man gemeinsam mit dem Schulleiter, mit den Eltern, mit der Schulaufsicht, eventuell mit der Jugendhilfe guckt, welche Lösungen man in diesem Fall haben kann, welche Voraussetzungen bei dem Kind gegeben sind, was gibt es für familiäre Ursachen, was gibt es für einen Hintergrund, sodass man es ganzheitlich angeht, damit sich die Gewaltbereitschaft bei diesem Kind nicht weiter verstärkt.
    Götzke: Der Bundestag hat ja im April härtere Strafen bei Gewalt zum Beispiel gegen Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungskräfte verabschiedet. Würden Sie sich sowas auch für Lehrkräfte wünschen?
    Beckmann: Selbstverständlich. Damals gab es eine Initiative, nachdem unsere Daten veröffentlicht wurden, waren ja auch von der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die eine Initiative im Bundesrat eingebracht hat, wo es darum ging, dass man eine Verschärfung von Strafmaßnahmen eben nicht nur auf Sanitäter, Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr beschränkt, sondern dass man gesagt hat, wir müssen das Thema grundsätzlich angehen. Wir müssen auch gucken, dass Lehrer mit einbezogen sind. Leider ist diese Initiative dann nicht vom Bundesjustizminister aufgegriffen worden, sondern wir haben hier, was Sie gerade zitiert haben, wieder eine Einschränkung auf Sanitäter, Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr, und das reicht uns natürlich nicht.
    Götzke: Sagt der Vorsitzende des Lehrerverbandes VBE Udo Beckmann. Er fordert, dass die Politik das Thema Gewalt gegen Lehrer ernster nehmen sollte. Vielen Dank!
    Beckmann: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.