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Gewalt, Gene und Gehirn

Psychologie. - Im 19. Jahrhundert versuchte der italienische Arzt Cesare Lombroso, Gewaltverbrecher anhand der Schädelform zu erkennen. Zwar entpuppte sich dies als Irrweg, doch moderne genetische Methoden könnten eine Veranlagung zu impulsiver Aggression dennoch erhellen, berichten Forscher im US-Magazin PNAS. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth erläutert die Studie im Gespräch mit Arndt Reuning.

    Arndt Reuning: Ein Gen für das Enzym MAO-A hat bereits öfters für Schlagzeilen gesorgt - als so genanntes "Gewalt-Gen". Was ist denn da dran?

    Volker Wildermuth: "Das war 1993: Damals haben Forscher eine Familie in den Niederlanden beschrieben, in der aggressives Verhalten sozusagen nach den klassischen Mendelschen-Gesetzen vererbt wurde. Die Männer waren gewalttätig, und bei der Untersuchung ihres Erbguts fand sich eine Veränderung im MAO-A-Gen. Es ist eine sehr seltene Veränderung, die es wirklich nur bei dieser einen Familie gibt. Das gab damals einen Riesen-Aufschrei: die einen sagten: "Wunderbar, das ist der genetische Befund - es gibt ein Gewalt-Gen", die anderen kritisierten dies und meinten: "diese Männer sind gar nicht aggressiv, die sind besonders emotional, und deshalb auch manchmal emotional instabil und kommen eher mit dem Gesetz in Konflikt". Das war damals eine Riesen-Aufregung. Der Schluss, den man daraus zieht, den muss jeder sich selbst überlegen."

    Reuning: Die Veränderung in diesem Gen, diese Mutation, war ja ein Einzelfall. Aber Variationen dieses MAO-A-Gens gibt es ja auch bei uns in der normalen Bevölkerung.

    Wildermuth: "Ja, es gibt zwei Varianten, die recht häufig sind. Ein Drittel der Menschen trägt eine "faule" Variante, die nur wenig von dem Enzym bildet. Die anderen besitzen eine aktive Variante. Einen wirklichen Durchbruch hat diese Forschung gefunden, als man in Neuseeland sehr viele Menschen über Jahrzehnte verfolgt hat und feststellte, egal welche Variante dieses Gens man trägt, alle Leute kommen gleich häufig mit dem Gesetz in Konflikt - es macht keinen Unterschied. Aber wenn man als Kind ein Ereignis hatte, etwa körperlichen, sexuellen Missbrauch, traumatische Ereignisse wie Trennung der Eltern, und man trug die wenig aktive Form des MAO-A-Gens, dann war das Risiko deutlich höher, dass man wegen Gewalttaten mit dem Gesetz in Konflikt kam. Also irgendeine Beziehung scheint es da schon zu geben."

    Reuning: Das ist die genetische Seite. In der aktuellen Veröffentlichung im Fachblatt PNAS kommt jetzt zusätzlich noch das Gehirn ins Spiel. Was haben die Forscher da herausgefunden?

    Wildermuth: "Die Wissenschaftler haben 130 Freiwillige genommen, ganz normale Leute ohne polizeiliche Vergangenheit und ohne auffälliges Verhalten. Dabei war ein Drittel wieder Träger der schwachen MAO-A-Genvariante, während zwei Drittel die starke Form besaß. Dabei untersuchten die Forscher, was in den Gehirnen der Probanden passierte, wenn sie sich beispielsweise ängstliche oder erschreckte Gesichter ansahen. Sie stellten fest, dass die Personen mit der schwachen Variante des Gens dabei viel stärker reagierten. In einem anderen Experiment stellten sie fest, dass wenn die Personen bestimmte Verhaltensmuster unterbrechen und unterdrücken sollten, die Träger der schwachen Variante des Gens deutlich weniger Aktivität in den entsprechenden Gehirnzentren entwickelten."

    Reuning: Was leiten die Forscher aus diesen Beobachtungen ab?

    Wildermuth: "Die Wissenschaftler nehmen an, dass wenn man diese schwache Variante des Gens besitzt, dass dann das Gehirn schon vor der Geburt ein bisschen anders "verdrahtet" wird. Das fällt überhaupt nicht auf im normalen Leben, es sei denn, man hat ein schreckliches Erlebnis in der Kindheit. Dann gibt es da irgendwie tiefe seelische Narben, die Leute werden schlechter damit fertig. Das kann in der Folge dazu führen, dass sie eben bei Problemen mit Gewalt reagieren."

    Reuning: Wenn ein Mensch sozusagen ein "geborener" Verbrecher ist, dann muss er auch von der Justiz anders behandelt werden. Hat die Studie denn auch eine gesellschaftliche Relevanz?

    Wildermuth: "Also die Forscher betonen ganz deutlich, dass dies kein Gewalt-Gen ist. Das sei eine ganz normale Variante, die sehr viele Menschen besitzen. Niemand würde behaupten, dass ein Drittel der deutschen Männer Schlägertypen sei, die ständig in Konflikt mit dem Gesetz kämen. Es seien vielmehr subtile Veränderungen, und im Grunde wird es interessant, wenn man die Sache anders herum betrachtet: Diese Studie zeigt, warum manche Leute besser mit schrecklichen Erlebnissen fertig werden. Wenn man das versucht, weiter zu verstehen, dann kann man vielleicht auch Menschen helfen, die das Pech haben, die etwas schwächere Varianten des Gens zu tragen."