Donnerstag, 28. März 2024

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Gewaltprävention an Schulen
Mehr Fairness auf dem Schulhof fördern

In Berlin wird das Thema Gewalt unter Schülern von vielen Seiten angegangen. Es gibt Schulpsychologen und Fortbildungen für Lehrer. An einer Schule wird dem Fairplayer-Programm sogar ein ganzes Schuljahr gewidmet - mit Erfolg.

Von Anja Nehls | 08.09.2014
    Große Pause auf einem Schulhof im Berliner Süden. Die Schülerinnen und Schüler stehen in Grüppchen und reden. Ein paar Jungs aus der sechsten Klasse spielen Basketball, zwei Mädchen aus der achten kichern über ein Foto, ganz hinten in der Ecke wird heftig diskutiert, ein Junge wird angebrüllt. Die größeren Schüler lümmeln vor der Schule und rauchen. Über die Frage nach Gewalt an der Schule müssen sie ein bisschen nachdenken:
    "Mobbing - an jeder Schule wahrscheinlich. Auf jeden Fall – Cybermobbing ist ganz schlimm, weil sich im Internet keine Jungen und Mädchen dagegen wehren können und alle hacken dann auf einem rum. Aber das ist in jeder Schule so. Bei uns nicht wirklich, nur zwei Leute spielen immer so ching, chang , chong und dann schlagen sie sich, aber nicht ernste Sachen. Ich denke mal ab und zu, wenn man so kleine Streitigkeiten hat, dann schon. Also an unserer Schule nicht wirklich."
    Die Aussagen sind typisch. Gewalt sieht heute anders aus, als vor 20 Jahren, meint Michaela Nürnberg, Kunst- und Vertrauenslehrerein an einem Gymnasium in Brandenburg:
    "Zumindest bei uns ist das auch ganz entkörperlicht, also dieses Körperliche, was man auch kannte, schubsen, in die Büsche werfen, Rangeleien, das findet eigentlich kaum noch statt. Federmappe ausschütten, das ist so in der siebten Klasse oder auf der Klassenfahrt dem Kulturbeutel hinterherrennen. Ich kenne das auch noch aus meiner Schulzeit, kleine Mädchen in Papierkörbe stellen und dann auf den Lehrertisch - nee."
    Gewalt findet auf vielen Ebenen statt
    Gewalt findet heutzutage auf andere Ebene statt, meint Michaela Nürnberg:
    "Durch diese neuen Medien, Smartphones und Facebook gibt es einen anderen Umgang miteinander. Das hat sich verändert. Und sie äußern da viel schneller Dinge, die von Mensch zu Mensch, wenn man sich gegenüber sitzt oder steht, nicht tun würde. Es ist einfacher und ich habe sofort Verbündete. Ich habe sofort eine Gruppe, die sagt, das sehe ich ganz genauso wie du. Heute ist die Kommunikation ganz schnell. Ich stelle es rein und es liest sofort eine Gruppe und kann sich dazu positionieren, also Gewalt fängt bei Sprache an."
    Auch an den Berliner Schulen gibt es immer weniger Fälle von schwerer körperlicher Gewalt, dafür immer mehr Beleidigungen oder Drohungen. Hier hat sich die Zahl der Fälle fast verdoppelt. Das liegt aber auch daran, dass immer mehr Berliner Schulen solche Vorkommnisse freiwillig auch melden, sagt Beate Stoffers von der Berliner Schulverwaltung:
    "Die Berliner Schule zeigt durch das Meldeverhalten, dass sie nicht nur konfliktsensibler geworden ist, sondern dass sie auch ganz schnell reagiert und auch ganz deutlich zeigt, wann sie Unterstützungsbedarf hat."
    Berlin bietet viel Unterstützung zur Gewaltprävention
    Dafür gibt es in Berlin derzeit 81 Schulpsychologen, die im Notfall auch schnell für die die betroffene Schule da sein könnten, sagt die Schulverwaltung. Darüber hinaus gibt es Anti-Gewalt Training, die Ausbildung von Konfliktlotsen und Programme externer Träger wie das Fortbildungsprogramm Fairplayer, das an der Freien Universität Berlin entwickelt wurde. Lehrer und Schulsozialarbeiter lernen hier Methoden, wie sie mit ihren Schülern Gewaltprobleme angehen können, unabhängig, ob es sich um körperliche oder verbale Gewalt oder um Mobbing handelt. Stephan Warncke vom Fachbereich Erziehungswissenschaft ist einer der Entwickler des Programms:
    "Hier spielen wir ein Szenario an einer Bushaltestelle nach, wie es an jedem Schultag passieren könnte nach der Schule. Wir bringen Jugendliche in vordefinierte Rollen. Da gibt es die sogenannte Opferrolle, die Täterrolle, dann Unterstützer, Verteidiger, Wegschauer und dadurch kommen Jugendliche in Rollen, die sie vielleicht sonst in diesem Prozess noch gar nicht erlebt haben."
    Das Verhalten jedes Einzelnen wird dann genau ausgewertet und besprochen. Durch den Perspektivwechsel lernen die Jugendlichen, sich in andere hineinzuversetzen und Konflikte zu lösen. Fast immer läuft es ähnlich:
    "Meistens so ein leichtes Schubsen, dann die verbale Gewalt: Hey, was willst du denn überhaupt, hey, guck mal jetzt sitzt der oder die da schon wieder, hey, lustig, was hast du für komische Klamotten an. Alles Dinge, die Jugendliche schon erlebt haben, entweder selbst sogar oder als Beobachter."
    Ein komplettes Schuljahr Gewaltprävention im Unterricht
    Fast 300 Lehrer und Schulsozialarbeiter bundesweit haben das Fairplayer-Programm als Fortbildung absolviert und arbeiten jetzt nach diesen Ideen mit ihren Schülern. Michaela Nürnberg vom evangelischen Gymnasium in Wriezen widmet dem Programm in den siebten Klassen sogar ein ganzes Schuljahr - mit großem Erfolg:
    "Ich habe immer weniger zu tun. Sicher auch, weil wir eine Sozialpädagogin haben seit einem Jahr. Ich bin eben Vertrauenslehrerein an der Schule und hatte so viele Gespräche immer und Sorgen. Und die Schüler entwickeln sich aber so selbstständig dann, dass sie das untereinander auch klären können."