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Gewaltverbrechen in virtuellen Räumen

Informatik. - Die römische Kriminalpolizei setzt bei der Ermittlung auf die dreidimensionale Rekonstruktion des Tatherganges im Computer. Mit Rechnerunterstützung können so Zeugenaussagen auf ihre Plausibilität überprüft hin werden. Auch vor Gericht kann das Simulationssystem zur Veranschaulichung eingesetzt werden.

Von Thomas Migge | 17.08.2005
    Was bei einem Verbrechen geschah, wollen italienische Polizisten mit Computersimulationen nachstellen.
    Was bei einem Verbrechen geschah, wollen italienische Polizisten mit Computersimulationen nachstellen. (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    Der Raum ist stockfinster. Per Knopfdruck erhellen sich drei zwei mal drei Meter große Monitore und ein Schaltpult. Die Wände des Raums sind schwarz gestrichen. Polizeikommissar Roberto Camana und drei seiner Kollegen schauen auf die Monitore. Sie sehen einen auf einem Bett ausgestreckten jungen Mann. An seiner Schläfe ist deutlich eine Schusswunde zu erkennen. Das Fenster des Raumes mit Bett ist weit geöffnet. Konnte der Täter aus dem Fenster fliehen? Das ist eine der Fragen, die sich die Beamten der römischen Kriminalpolizei stellen. Comissario Roberto Camana hofft mit Hilfe des weltweit ersten Systems zur virtuellen Rekonstruktion eines Tatvorfalls auf diese und andere Fragen Antworten zu finden:

    " Wir befinden uns hier im so genannten Theater der immersiven Realität. Damit tauchen wir in eine künstliche Welt ein. Wir können damit Tatvorgänge minutiös genau nachstellen und dreidimensional auf diese Videomonitore spielen. Auf diese Weise kommen wir einer Tatdynamik auf die Spur. "

    Das "Virtual-Reality-System" zur Nachstellung von Verbrechen ist eine italienische Erfindung. Aussagen von Augenzeugen, Projektilpfade und andere Informationen, die den Tatort betreffen, werden in 3D visualisiert und anschließend analysiert. Die auf diese Weise erzeugte Realitätsnähe erlaubt es der römischen Polizei, der Lösung besonders strittiger Delikte einen Schritt näher zu kommen. Roberto Camana:

    "Meine Kollegen und ich stellen mit diesem System ein bestimmtes Geschehen aus der Sicht verschiedener Augenzeugen nach. So lässt sich die Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage besser beurteilen. Extrem wichtig wird das virtuelle System wenn es um die Bestimmung raumzeitlicher Zusammenhänge geht. Zum Beispiel der Flugbahnen von Geschossen. Wir können haargenau die jeweilige Realität nachbilden. "

    Das "Theater der immersiven Realität" ist ein Visualisierungssystem, dass mit einer "Reality-Graphik" sowie sechs Prozessoren ausgestattet ist. Die von Computerspezialisten der Kriminalpolizei aufgrund der Zeugenaussagen und anderer Ermittlungsergebnisse rekonstruierte Realität wird auf drei Projektoren projiziert. Die auf diese Weise produzierten hoch aufgelösten Bilder sind so großflächig und detailliert, dass die Beamten der Kriminalpolizei im Verhältnis eins zu eins in die virtuelle Realität eintauchen können. Mit Hilfe von 3D-Brillen wird dieses Nachvollziehen eines Tathergangs noch eindringlicher, weiß der Kriminalbeamte Camana aus eigener Erfahrung:

    "Der Vorteil des von uns entwickelten Systems liegt darin, dass wir bereits bestehende Techniken zur virtuellen Rekonstruktion von Räumlichkeiten und Vorgängen ausgebaut haben, um es unseren Beamten zu erlauben, in eine nachgestellte Realität einzutauchen. Sie können quasi am Tatort mit dabei sein und jenen Moment virtuell miterleben, in dem es zu einem Verbrechen kam. Fast wie in einem Kinofilm. "

    Das Rekonstruktionssystem erlaubt es den Kriminalbeamten nach Belieben in die virtuelle Realität einzugreifen: Objekte können zum Bespiel verstellt, Türen und Fenster geöffnet oder geschlossen werden. Auf diese Weise lassen sich präzise Plausibilitäts- und Genauigkeitstests der vorliegenden Zeugenaussagen durchführen. Die Dauer der Umsetzung des vorhandenen Untersuchungsmaterials - wozu Zeugenaussagen, Bild- und Tonmaterial gehören - nimmt nicht mehr als einen Tag in Anspruch. Roberto Camana:

    "Unsere Idee ist es auch, Zeugen und Untersuchungsrichter mit der nachgestellten Tatszene zu konfrontieren und, ja, warum nicht, ganz Prozesssitzungen hier bei uns abzuhalten, denn für einen Richter mit einem besonders kniffligen Fall wäre es sicherlich von großem Interesse und von großer Hilfe eine Tat virtuell nach zu erleben. "