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Gewebe auf dem Biochip
Forscherteam züchtet erstmals intakte Blutgefäße

Die Organ-on-a-Chip-Technologie gilt als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien in der Medizin. Ein Forscherteam in Wien hat erstmals Blutgefäße auf einem Biochip gezüchtet. Das Verfahren soll Vorteile gegenüber der konventionellen Wirkstoffforschung und klinischen Studien bieten.

Von Irmgard Wutscher | 29.01.2019
    Ein Mitarbeiter des Pharmakonzerns Johnson & Johnson zeigt einen Biochip, der zum Einsatz in der Organ-On-Chips-Technologie entwickelt wurde | Johnson & Johnson via AP
    Organ-on-a-chip: Besser als aus der Petrischale (picture alliance / Johnson and Johnson)
    Auf einem etwa daumengroßen, durchsichtigen Chip sitzen vier rote Kreise etwa in der Größe einer Zwei-Cent-Münze. Es sind Systeme von Blutgefäßen, die die Doktorandin Barbara Bachmann auf dem Chip wachsen ließ. Ausgangspunkt war jeweils eine Art künstliches Blutgerinnsel aus einem Hydrogel.
    "Also wenn eine Wunde sich schließt, dann bildet sich da so ein kleiner Knubbel. Und daraus besteht das Hydrogel. In dem Hydrogel sind zwei verschiedene Arten von Zellen: auf der einen Seite Stammzellen aus Fettgewebe, auf der anderen Seite Endothel-Zellen. Das sind die Zellen, die die Innenseiten von Gefäßen auskleiden. Was dann passiert, ist der gleiche Prozess wie bei einem Embryo, wenn die Blutgefäße entstehen: Das heißt, die beiden Zellarten arbeiten zusammen und es entstehen wirklich ganz kleine, feine Blutgefäße, wie sie entstehen würden in einem kleinen Gewebe."
    Fünf bis sieben Tage dauert es, bis so ein kreisförmiges Blutgefäßsystem gewachsen ist. Im Prinzip ginge das auch in einer Petrischale, aber die Gewebezucht auf dem Chip bietet Vorteile: Er hat Ein- und Ausgänge, über die Barbara Bachmann Nährstoffe oder Medikamente in die Gefäße hineinschleusen kann. So kann sie das Gewebewachstum auf dem Chip genau steuern und beobachten.
    "Wir machen mit dem Mikroskop Fotos von diesen Blutgefäßen und werten dann aus, wie dick die sind, wie lang die sind, wie oft die verzweigt sind. Das ist je nachdem anders, was die für Nährstoffe bekommen oder nicht bekommen."
    Einsatzgebiet in der Tumorzellenforschung
    Mal sind die Forscher nett zu den Blutgefäßen und versorgen sie mit lebenswichtigen Nährstoffen. Mal spielen sie den wachsenden Strukturen übel mit und traktieren sie mit Tumorzellen oder mit Substanzen, die Entzündungen auslösen. Anders als im Tierversuch muss dabei nie ein Lebewesen sterben.
    "Wir können Medikamente testen, ob die das Gefäß durchlässig machen, bei Entzündungen zum Beispiel. Wir können zum Beispiel auch Krebszellen dazugeben und schauen in welchen Gefäßen die Krebszellen eben hängen bleiben, Metastasen bilden - das sind eigentlich die Hauptanwendungen."
    Vor allem Pharmafirmen investieren derzeit in 'Organ-on-a-Chip'-Technologien, sagt Peter Ertl, der Leiter der Zellchip-Gruppe an der TU Wien. Ihre Hoffnung: Früher zu erkennen, ob Wirkstoffkandidaten etwas taugen, noch bevor sie viel Geld für klinische Studien ausgeben müssen.
    "Weil man ja weiß, dass neun von zehn Medikamenten durch die klinischen Trials nicht kommen. Wir wissen auch, dass es immer schwerer und ethisch unverantwortlicher wird, Tierversuche im großen Maßstab durchzuführen. Und wir wissen, dass es da eine Übergangsproblematik gibt, von den ersten drug targets - also eigentlich Medikamente die vielversprechend ausschauen, und die dann wirklich zugelassen werden können. Um diesen Entwicklungsprozess zu verkürzen, billiger zu machen, braucht man neue Technologien. Und die 'Organ-on-a-Chip'-Technologie schaut so aus, als hätten sie die Möglichkeiten, gerade bei komplexen Zellsystemen einen Vorteil zu bringen."
    Der ganze Mensch auf einem Chip
    Die Gefäße auf dem Chip sind also ein Modell, anhand dessen Forscher Krankheits- und Heilungsverläufe beobachten können - an Mini-Gehirnen, Lebern, Herzmuskeln und anderen Organoiden, die bereits auf Organ-Chips wachsen. In naher Zukunft könnte sogar ein ganzer 'Human on a Chip' realisiert werden - also Zellsysteme aus dutzenden verschiedenen Organen, die verbunden sind. Und mit denen man noch viel mehr Nebenwirkungen neuer Medikamente vor den ersten Klinischen Studien erkennen könnte.