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Gewitterwolke mit Gammastrahlen

Einer gängigen Hypothese zufolge entstehen Gammastrahlenausbrüche, wenn einem massereichen Stern der Brennstoff ausgeht und er unter seinem eigenen Gewicht zusammenstürzt. Inzwischen ist jedoch klar: Gammastrahlenausbrüche sind kein reines Weltraumphänomen. Es gibt sie auch auf der Erde.

Von Dagmar Röhrlich |
    1991 setzte das Space Shuttle Atlantis das Compton Gamma Ray Observatory aus. Kaum hatten die Messungen begonnen, bemerkte Gerald Fishman vom Nasa Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, etwas Ungewöhnliches: Das Weltraumteleskop fing helle, nicht einmal eine Millisekunde dauernde Gammstrahlenblitze auf. Nicht aus den Tiefen des Alls, sondern direkt von der Erde:

    "Als wir die terrestrischen Gammastrahlenblitze entdeckten, glaubten wir, dass sie sehr hoch oben in der Atmosphäre entstünden. Inzwischen wissen wir aufgrund von Messungen anderer Satelliten und von Bodenstationen, dass sie sich im unteren Bereich der Atmosphäre bilden und zwar bei Gewittern."

    Joseph Dwyer vom Florida Tech Institute in Melbourne, Florida. Wie genau sich diese irdischen Gammastrahlenblitze entwickelten, sei offen, erklärt der Astrophysiker: Allerdings hätten er und sein Team nun ein vielversprechendes Erklärungsmodell:

    "Es funktioniert so: Bei einem Gewitter beschleunigen starke elektrische Felder Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit. Treffen diese Elektronen auf die Atomkerne in den Luftmolekülen, wird Gammastrahlung frei - allerdings zu wenig, um die Ausbrüche zu erklären. Es entstehen jedoch auch Positronen, die Antimaterie-Gegenstücke zu den Elektronen. Und die lösen einen positiven Rückkopplungseffekt aus: Explosionsartig entstehen immer mehr schnelle Elektronen, die immer mehr Gammastrahlen und Positronen erzeugen."

    Das Ergebnis ist ein terrestrischer Gammastrahlenblitz. Der entlädt das elektrische Feld des Gewitters schneller als ein Blitz in weniger als einer Tausendstel Sekunde.

    "Damit in einem Gewitter ein normaler Blitz entsteht, lädt sich nur eine recht begrenzte Region auf. Für einen Gammastrahlenblitz muss sie recht groß sein. Es könnte so ablaufen, dass zunächst eine schnelle Gewitter-Phase mit vielen Blitzen abläuft. Dann verlangsamt sich das Geschehen, so dass sich in diesem Gewitter über ein größeres Volumen hinweg ein starkes Feld aufbaut, das sich schließlich über den Gammastrahlenblitz entlädt."

    Von der Erde aus ist so ein Ausbruch wenig beeindruckend, denn die Gammastrahlung erreicht den Boden nicht, und am Himmel erzeugt sie höchstens einen violetten Schimmer. Aber diese Ausbrüche entstehen in der Flughöhe von Passagiermaschinen. Deshalb berechnete Joseph Dwyer aufgrund seiner Hypothese, ob die freigesetzte Strahlung für Passagiere oder Personal gefährlich wird. Bislang streuen die Abschätzungen der Dosis weit, reichen von gering bis gefährlich hoch:

    "Piloten versuchen so gut es geht Gewitter zu vermeiden, aber manchmal befindet sich ein Flugzeug eben zur falschen Zeit am falschen Ort. Falls es von einem Gammastrahlenblitz getroffen wird, wäre die Dosis unseren Modellrechnungen zufolge moderat: In den mittleren Höhen des Gewitters, wo die Werte am höchsten sind, entspräche sie etwa der eines Ganzkörper-CT-Scans."

    Am oberen Rand des Gewitters sei die Dosis seinen Berechnungen zufolge um den Faktor zehn niedriger, so Joseph Dwyer. Man dürfe so etwas nicht vernachlässigen, es gebe jedoch keinen Anlass zur Furcht. So urteilt auch Marco Tavani von der Università di Roma "Tor Vergata". Seine Forschergruppe beschäftigt sich mit der Frage, ob diese Ausbrüche den Flugzeugen selbst gefährlich werden:

    "Zwar ist es höchst unwahrscheinlich, dass man bei einem Flug in eines dieser besonderen Gewitter gerät. Befindet sich jedoch ein Flugzeug in der Nähe eines Ausbruchs, trifft die Gammastrahlung auf das Material der Maschine, wodurch für Sekundenbruchteile Massen von Neutronen entstehen. Die stören die Elektronik, ebenso wie übrigens die Gammastrahlung selbst. Das kann für ein Flugzeug gefährlich werden. Obwohl sie wirklich selten sind, sollten terrestrische Gammastrahlenblitze deshalb mit Sensoren überwacht werden: sowohl vom Boden aus, als auch von Bord von Flugzeugen und Satelliten."

    Dann könnte man im Interesse der Flugsicherheit gefährliche Gewitter verfolgen, denn sie können durchaus mehrere Gammastrahlenblitze produzieren.