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Ghana
Kirchen- und Moscheegemeinden warnen vor der Flucht

In Ghana herrschen Armut und Unterbeschäftigung. Viele Menschen leben von weniger als einem Dollar täglich. Eine Chance, der Armut zu entkommen, sehen viele nur in der Flucht nach Europa. Eine kleine Organisation, gegründet von einem Ex-Migranten, versucht gegenzusteuern – unterstützt von den in Ghana sehr einflussreichen religiösen Gemeinschaften.

Von Thomas Kruchem |
    Jugendliche in Accra, Ghana, spielen Fußball
    Jugendliche in Ghanas Hauptstadt Accra: Viele junge Menschen sehen in dem Land keine Perspektive für sich. (dpa/picture alliance/epa Nic Bothma)
    Tamale, eine Großstadt im armen Norden Ghanas. Rashid al Hassan, ein Taxifahrer, lebt an der Ausfallstraße gen Süden. Ein orange-blau bemalter Betonverschlag, ein Bett, Küchenutensilien.
    2009 hatte Rashid gerade geheiratet; ein Kind war unterwegs – und er mal wieder arbeitslos. Da bat Rashid seine Mutter und einen Onkel, in ihn zu investieren. In Europa werde er viel Geld verdienen und ihnen dann helfen. Tatsächlich schaffte es Rashid bis nach Libyen.
    "Ein Jahr arbeitete ich in der Stadt Tripoli. Dann hatte ich die tausend Dollar beisammen für die Schlauchbootreise nach Italien. Noch im Hafen jedoch stoppte uns die Polizei und brachte uns ins Gefängnis."
    Tausende Ghanaer, Millionen Afrikaner machen sich Jahr für Jahr auf die gefährliche Reise durch Niger und Libyen Richtung Europa – getrieben von Armut, Arbeits- und Chancenlosigkeit. Was muss geschehen, damit sie stattdessen ihre Energie in die Entwicklung ihrer Länder investieren? Samuel Zan Akologo, in Tamale lebender Generalsekretär der katholischen Kirche in Ghana, macht die Regierung verantwortlich. Sie bemühe sich kaum, Jobs zu schaffen und unterstütze nur allzu bereitwillig ein Bild von Europa als Paradies für jeden, der arbeiten wolle.
    "Erzählungen von Rückkehrern üben eine faszinierende Wirkung aus auf die Hiergebliebenen. Fast nie berichten diese Rückkehrer von Mühsal und Demütigungen, die sie erlitten haben. Sie berichten nur von ihren grandiosen Erfolgen, kleiden sich teuer, protzen mit importierten Gebrauchtwagen oder damit, dass sie dem Vater ein Haus und ein Tomatengeschäft eingerichtet haben. Jeder, der das hört, will dann natürlich auch nach Europa gehen."
    Straßentheater als Instrument der Aufklärung
    Der 35-jährige Aminu Munkaila zählt zu denen, die es versuchten. Vor zehn Jahren ertrank er beinahe im Mittelmeer; dann wurde er aus Italien deportiert. Aminu zählt zur Mehrheit der Muslime in Nordghana. Eine christliche Organisation jedoch finanzierte ihm nach seiner Rückkehr aus Europa ein Ingenieurstudium. Und er wollte, sagt er, etwas zurückgeben. Deshalb gründete Aminu Munkaila die "Afrikanische Organisation gegen illegale Migration", kurz AFDOM: Ein kleines Team versucht, junge Ghanaer abzuhalten von lebensgefährlicher Flucht und illegaler Migration nach Europa – in enger Kooperation mit einflussreichen religiösen Gemeinschaften der Region; mit Muslimen, Protestanten und Katholiken.
    "Ab und zu lädt mich der Erzbischof in die Kirche ein; und ich informiere die Gemeinde über die Gefahren illegaler Migration – Jugendliche, ihre Eltern und Großeltern. All diese Menschen verbreiten dann, was sie von mir hören. Und das Gleiche tun muslimische Gläubige, wenn ich in einer Moschee spreche. Außerdem veranstalten wir regelmäßig Workshops für religiöse Führer und Lehrer, bei denen wir sie für das Thema irregulärer Migration sensibilisieren."
    Ein weiteres Instrument der Aufklärung: Straßentheater. Eine grell geschminkte AFDOM-Theatertruppe inszeniert ein Drama über illegale Migration: Eine Familie treibt ihre drei Söhne, die keine Ausbildung haben, ins Verderben. Auf dem Weg nach Europa kommen sie elend in der Wüste um. Eine andere Familie ermöglicht ihrem Sohn eine gediegene technische Ausbildung; und der Sohn findet schließlich einen Job in England. – Solche legale Migration nach Europa sei etwas Gutes, betont später Hussein Zakaria, ein muslimischer Würdenträger, der AFDOM nach Kräften unterstützt:
    "Nach der Lehre des Islam ist es völlig legitim, dass ein Mensch die Welt bereist. Aus dem Koran wissen wir, dass Allah gesagt hat: 'Das Land gehört mir; und du bist frei, es zu bereisen.' Auch in anderer Hinsicht unterstützt der Koran die Migration: Er ermutigt, an vielen Stellen, uns Menschen ausdrücklich, zu reisen, um zu lernen. Andererseits jedoch soll sich der Mensch nicht der eigenen Zerstörung aussetzen. Der Koran verbietet, Situationen herbeizuführen, in denen man sein Leben verlieren oder sich verletzen kann. Muslime, die von Ghana oder sonst wo in Afrika große Reisen unternehmen, sind also angehalten, vorab die Konsequenzen abzuwägen."
    Hussein Zakaria leitet den sunnitischen Orden der Tijabiayya in Tamale und ist zugleich Vorsitzender eines Komitees für interreligiösen Dialog in der Nord-Region Ghanas: Regelmäßige Treffen von Vertretern aller Religionsgemeinschaften sorgen dafür, dass religiöse Konflikte nur selten vorkommen in der Region.
    Ausbildungsprogramme für junge Leute
    Es gibt, neben zahllosen Moscheen und Madrassas, auch etliche christliche Kirchen in Tamale: Adventistische, protestantische, katholische Kirchen. Der Oberhirte der Katholiken, Erzbischof Philip Naameh, gilt als praktisch denkender Mensch. Herzlich begrüßte er Aminu, mit dem er seit langem befreundet ist, und kommt gleich auf sein Lieblingsthema zu sprechen: Aufklärung über die Gefahren reiche nicht, um Menschen von illegaler Migration abzuhalten, sagt der Erzbischof. Die Menschen bräuchten Perspektiven. Berufliche Perspektiven aber könne in Nordghana vor allem die Landwirtschaft vermitteln. Denn das landwirtschaftliche Potenzial sei gewaltig: Bauern könnten auf tellerflachen Feldern Mais, Reis, Soja und Erdnüsse in großem Stil anbauen; sie könnten Vieh und Hühner halten. Tatsächlich betreiben bis heute fast alle Bauern Nord-Ghanas ökologisch verheerenden Brandrodungsfeldbau; ihre Felder sind handtuchgroß, weil sie mehr nicht bearbeiten können; sie essen fast alles, was sie anbauen; sie leben Jahr für Jahr unter dem Damoklesschwert einer Missernte oder des Verlustes ihrer Tiere durch Krankheiten. Geld für eine ordentliche Schulbildung ihrer Kinder haben die wenigsten Bauern.
    "Ich besuche regelmäßig kleine Dörfer in meiner Erzdiözese und sehe, wie hart die Bauern dort arbeiten. Zugleich aber sehe ich, wie schwer erreichbar viele dieser Dörfer sind. Hier muss unbedingt unsere Regierung etwas tun: Sie muss gute Straßen bauen auch in jene Gegenden, wo die Menschen nur Landwirtschaft betreiben. Bis heute zahlen ja Händler, die abgelegene Dörfer besuchen, sehr niedrige Preise für die Produkte der Bauern. Das Transportrisiko sei zu hoch, sagen die Händler und beuten die Bauern aus."
    Gemeinsam mit der Erzdiözese und dem deutschen katholischen Hilfswerk "Misereor" entwickelt die Organisation AFDOM derzeit ein Programm, das 700 junge Leute zu professionellen Landwirten ausbilden soll – junge Leute, die sonst vielleicht nach Europa fliehen würden.
    "Das Programm soll junge Leute für eine kommerziell betriebene Landwirtschaft zu qualifizieren und ihnen Zugang zu allen notwendigen Ressourcen zu verschaffen. Nur so können die Bauern größere Flächen bewirtschaften und verdienen Geld für die Schulgebühren und Schulbücher ihrer Kinder, um denen eine bessere Zukunft zu ermöglichen."