Eine Wohnung im Stadtzentrum von Kairo am 15. Oktober. Rund drei Dutzend Partygäste verfolgen live die Begegnung zwischen Ghana und Ägypten. Ein Beamer projiziert das Spiel an die Wand, auf den Tischen stehen Bierflaschen und Softdrinks. Die beiden Mannschaften kämpfen um das Ticket zur WM 2014 in Brasilien. Es ist das Hinspiel. Der Ägypter, der seine Freunde hier zur Party eingeladen hat, trägt den Künstlernamen JF Andeel:
"Ägypten ist berühmt dafür, dass es gegen starke Teams gewinnt, wenn es um nichts geht. Aber bei wichtigen Spielen verliert es haushoch gegen schwache Mannschaften. Das Spiel hier ist das erste große nach der Entmachtung Mursis durch das Militär. Die Leute spekulieren darüber, wie sich ein Sieg auf die Politik auswirken wird. Manche sind sich sicher, dass General Al-Sisi den Schiedsrichter bestochen hat, damit Ägypten gewinnt."
Aber Ägypten hat nicht nur nicht gewonnen, sondern haushoch verloren, 1:6, darunter ein Eigentor. Manche im Land vergleichen die Schmach sogar mit der Niederlage im Sechstagekrieg gegen Israel 1967.
JF Andeel ist ein populärer Karikaturist, ein Künstler, wie viele seiner Freunde. Sie besitzen genug ironische Distanz, um ihre Witze auch über die Niederlage zu machen und vor allem darüber, dass jetzt wohl die große Ursachenforschung in Ägypten losgeht. Und die hat bei vielen im Land mit Fußball wenig zu tun:
"Warum? Wie konnte das geschehen? Welche Botschaft sendet uns Gott mit dieser Niederlage? Das ist schon fast eine intellektuelle Erfahrung. Bei ägyptischen Fußballspielen geht es immer auch um fundamentale Lebensfragen."
Die Nationalmannschaft ist ein Symbol für Ägypten. Seit viereinhalb Monaten hat Armee-General Al-Sisi nun die Macht im Land, und plötzlich kommt es zu dieser Niederlage. Das kann doch eigentlich nur ein Signal, ein böses Omen sein, Gottes Strafe für den Sturz Mursis. Und beim Rückspiel am 19. November wird alles noch dramatischer:
"Es gibt einen Haufen Bezüge zum Datum. Der Tag ist nicht nur der zweite Jahrestag der Gewalt in der Mohammed-Mahmoud-Straße, sondern auch noch der Geburtstag von General Al-Sisi."
Bei den Zusammenstößen in der Mohammed-Mahmoud-Straße kamen 2011 rund 50 Menschen ums Leben. Sie hatten gegen das Militär protestiert. Für den zweiten Jahrestag, dem Tag des Rückspiels, wurde erneut zu Demonstrationen aufgerufen. Viele befürchten Gewalt.
Keiner kennt das explosive Gemisch von Fußballs und Politik im Nahen Osten besser als James Dorsey. Sein Blog mit dem Titel "Die turbulente Welt des nahöstlichen Fußballs" ist schon fast legendär, im Februar veröffentlicht er ein Buch mit demselben Titel.
"Die Nationalmannschaft wird durch die Opposition im Lande nicht als Nationalteam gesehen, sondern als Sisis Team. Die Ultras, die große Anzahl militanter, radikaler Fußballfans in Ägypten, die haben schon unter Mubarak gesagt, wir unterstützen das Nationalteam nicht. Es ist nicht unser Team, es ist Mubaraks Team."
Sisis Team, das Team des Generals, ist am 19. November praktisch chancenlos. Die Nationalmannschaft müsste bei dem Rückspiel mit fünf Toren Unterschied gewinnen. Nun unterstützen die meisten Ägypter das Militär, aber dass die Nationalmannschaft aus der WM-Qualifikation so krachend rausfliegt, ist zweifelsohne ein PR-Desaster für den General.
Zumal es Regimegegner auch unter prominenten Fußballballspielern gibt. Für den Spieler Abdel Zaher etwa könnte die Karriere im Land jetzt vorbei sein. Sein Kairoer Klub suspendierte ihn, weil jüngst bei einem Auslandsspiel eine Hand mit vier ausgestreckten Fingern triumphierend in die Höhe hielt – das Symbol der Mursi-Unterstützer. Politische Meinungsäußerungen während des Spiels seien verboten, hieß es.
"Es ist so, dass Spieler im allgemeinen eigentlich pro Regime sind. Wenn sie sich pro Regime ausdrücken, dann ist das kein Problem. Es gibt einen Spieler, der in den letzten Tagen ein T-Shirt getragen hat, das für General Al-Sisi warb, und ihm ist natürlich nichts passiert."
James Dorsey benennt jene beiden Dinge, die den Menschen in der arabischen Welt am wichtigsten sind:
"Religion und Fußball – der Mittlere Osten und Nordafrika und sicherlich Ägypten sind fußballverrückt."
Militärregime und Regierung in Ägypten haben jetzt erst mal auf Propagandamodus geschaltet.
Am Donnerstag empfingen mehrere Minister den WM-Pokal auf dem Flughafen. Er traf auf seiner Welttour mit einer FIFA-Sondermaschine in Kairo ein. Im Anschluss gab es einen Fototermin im Präsidentenpalast. Übergangspräsident Adly Mansour hält strahlend den Pokal in die Kamera. Nach Ansicht von JF Andeel ein völlig grotesker Moment:
"Da hält ein Präsident, der eigentlich kein richtiger Präsident ist, einen WM-Pokal in der Händen, den sein Land gar nicht mehr gewinnen kann – und feiert eine historische Niederlage."
"Ägypten ist berühmt dafür, dass es gegen starke Teams gewinnt, wenn es um nichts geht. Aber bei wichtigen Spielen verliert es haushoch gegen schwache Mannschaften. Das Spiel hier ist das erste große nach der Entmachtung Mursis durch das Militär. Die Leute spekulieren darüber, wie sich ein Sieg auf die Politik auswirken wird. Manche sind sich sicher, dass General Al-Sisi den Schiedsrichter bestochen hat, damit Ägypten gewinnt."
Aber Ägypten hat nicht nur nicht gewonnen, sondern haushoch verloren, 1:6, darunter ein Eigentor. Manche im Land vergleichen die Schmach sogar mit der Niederlage im Sechstagekrieg gegen Israel 1967.
JF Andeel ist ein populärer Karikaturist, ein Künstler, wie viele seiner Freunde. Sie besitzen genug ironische Distanz, um ihre Witze auch über die Niederlage zu machen und vor allem darüber, dass jetzt wohl die große Ursachenforschung in Ägypten losgeht. Und die hat bei vielen im Land mit Fußball wenig zu tun:
"Warum? Wie konnte das geschehen? Welche Botschaft sendet uns Gott mit dieser Niederlage? Das ist schon fast eine intellektuelle Erfahrung. Bei ägyptischen Fußballspielen geht es immer auch um fundamentale Lebensfragen."
Die Nationalmannschaft ist ein Symbol für Ägypten. Seit viereinhalb Monaten hat Armee-General Al-Sisi nun die Macht im Land, und plötzlich kommt es zu dieser Niederlage. Das kann doch eigentlich nur ein Signal, ein böses Omen sein, Gottes Strafe für den Sturz Mursis. Und beim Rückspiel am 19. November wird alles noch dramatischer:
"Es gibt einen Haufen Bezüge zum Datum. Der Tag ist nicht nur der zweite Jahrestag der Gewalt in der Mohammed-Mahmoud-Straße, sondern auch noch der Geburtstag von General Al-Sisi."
Bei den Zusammenstößen in der Mohammed-Mahmoud-Straße kamen 2011 rund 50 Menschen ums Leben. Sie hatten gegen das Militär protestiert. Für den zweiten Jahrestag, dem Tag des Rückspiels, wurde erneut zu Demonstrationen aufgerufen. Viele befürchten Gewalt.
Keiner kennt das explosive Gemisch von Fußballs und Politik im Nahen Osten besser als James Dorsey. Sein Blog mit dem Titel "Die turbulente Welt des nahöstlichen Fußballs" ist schon fast legendär, im Februar veröffentlicht er ein Buch mit demselben Titel.
"Die Nationalmannschaft wird durch die Opposition im Lande nicht als Nationalteam gesehen, sondern als Sisis Team. Die Ultras, die große Anzahl militanter, radikaler Fußballfans in Ägypten, die haben schon unter Mubarak gesagt, wir unterstützen das Nationalteam nicht. Es ist nicht unser Team, es ist Mubaraks Team."
Sisis Team, das Team des Generals, ist am 19. November praktisch chancenlos. Die Nationalmannschaft müsste bei dem Rückspiel mit fünf Toren Unterschied gewinnen. Nun unterstützen die meisten Ägypter das Militär, aber dass die Nationalmannschaft aus der WM-Qualifikation so krachend rausfliegt, ist zweifelsohne ein PR-Desaster für den General.
Zumal es Regimegegner auch unter prominenten Fußballballspielern gibt. Für den Spieler Abdel Zaher etwa könnte die Karriere im Land jetzt vorbei sein. Sein Kairoer Klub suspendierte ihn, weil jüngst bei einem Auslandsspiel eine Hand mit vier ausgestreckten Fingern triumphierend in die Höhe hielt – das Symbol der Mursi-Unterstützer. Politische Meinungsäußerungen während des Spiels seien verboten, hieß es.
"Es ist so, dass Spieler im allgemeinen eigentlich pro Regime sind. Wenn sie sich pro Regime ausdrücken, dann ist das kein Problem. Es gibt einen Spieler, der in den letzten Tagen ein T-Shirt getragen hat, das für General Al-Sisi warb, und ihm ist natürlich nichts passiert."
James Dorsey benennt jene beiden Dinge, die den Menschen in der arabischen Welt am wichtigsten sind:
"Religion und Fußball – der Mittlere Osten und Nordafrika und sicherlich Ägypten sind fußballverrückt."
Militärregime und Regierung in Ägypten haben jetzt erst mal auf Propagandamodus geschaltet.
Am Donnerstag empfingen mehrere Minister den WM-Pokal auf dem Flughafen. Er traf auf seiner Welttour mit einer FIFA-Sondermaschine in Kairo ein. Im Anschluss gab es einen Fototermin im Präsidentenpalast. Übergangspräsident Adly Mansour hält strahlend den Pokal in die Kamera. Nach Ansicht von JF Andeel ein völlig grotesker Moment:
"Da hält ein Präsident, der eigentlich kein richtiger Präsident ist, einen WM-Pokal in der Händen, den sein Land gar nicht mehr gewinnen kann – und feiert eine historische Niederlage."