Doris Simon: Nur langsam beruhigt sich die Auseinandersetzung um Äußerungen einiger katholischer Bischöfe zu den Zuständen in den Palästinensergebieten. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Kardinal Lehmann hat inzwischen erklärt, er halte die Kritik der Bischöfe Hanke und Mixa für nicht angemessen. Sie hatten während einer Israelreise der Bischofskonferenz die Situation in Ramallah mit dem Warschauer Ghetto verglichen beziehungsweise sich an Rassismus erinnert gefühlt. Demagogie und Antisemitismus warf darauf hin der israelische Botschafter beiden vor. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte empört. Evelyn Hecht-Galinski arbeitet aktiv mit bei den Europäischen Juden für einen gerechten Frieden, die engagieren sich für einen Ausgleich mit den Palästinensern. Frau Hecht-Galinski ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Evelyn Hecht-Galinski: Guten Morgen Frau Simon!
Simon: Frau Hecht-Galinski, überrascht Sie die Schärfe der Auseinandersetzung?
Hecht-Galinski: Die überrascht mich und überrascht mich nicht, weil vom Zentralrat bin ich nichts anderes gewöhnt. Er hat sich wieder mal als Sprachrohr der israelischen Regierung betätigt und hat sich an die israelische Botschaft heran gehängt und bezeichnet Kritiker als Antisemiten, jüdische Kritiker als jüdische Antisemiten oder jüdische Selbsthasser oder Juden, die in der Identitätskrise stecken. Das bin ich gewöhnt, und ich auch keine Einzelmeinung mehr, wie das immer hingestellt wird vom Zentralrat. Ich bedauere es nur sehr, dass die, wie Sie schon vorher anmoderiert haben, dass die Bischöfe beziehungsweise Kardinal Lehmann schon wieder diese Äußerungen, diese sehr moderaten Äußerungen zum Teil zurückgenommen haben oder sich entschuldigt haben.
Simon: Moderat, finden Sie den Vergleich mit dem Warschauer Ghetto moderat?
Hecht-Galinski: Ich kann diese Vergleiche so nicht nachvollziehen, weil, wenn man morgens in Jad Vaschem war, diese Ausrottung des europäischen Judentums gesehen hat, die leider nicht mehr rückgängig zu machen ist, und dann in die besetzten Gebiete fährt, dieses Elend sieht, diese Mauer, die sich durch palästinensische Gebiete zieht, diese unrechtmäßige Besatzung, dann muss man von einem Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis sprechen, das die israelische Regierung in den besetzten Gebieten einrichtet.
Simon: Aber muss es immer gleich der Vergleich mit dem Holocaust sein?
Hecht-Galinski: Es ist nicht der Vergleich mit dem Holocaust. Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.
Simon: Was sagen Sie denn dazu, der Vergleich mit dem Holocaust war antisemitisch, demagogisch, so der Vorwurf zum Beispiel der israelischen Botschaft, auch des Zentralrates?
Hecht-Galinski: Ja, ich sagte ja schon, das ist die gängige Wortwahl, um Kritiker mundtot zu machen.
Simon: Könnte das nicht auch ein grober Klotz auf einem groben Keil sein?
Hecht-Galinski: Ich fand den groben Keil von den Bischöfen überhaupt nicht grob. Im Gegenteil: Ich fand ihn, wie gesagt, sehr moderat. Die Bischöfe haben endlich mal ein paar Worte ausgesprochen. Normalerweise hört man ja gar nichts mehr. Die deutsche Politik ist hinter den israelischen Medien verschwunden. Die deutsche mediale Berichterstattung zeigt das Elend auch nicht mehr genug, und deswegen muss ich sagen, bedauere ich es nochmal sehr, dass es jetzt schon wieder einen Rückzieher gegeben hat.
Simon: Der israelische Botschafter in Deutschland hat ja ausdrücklich gesagt, Kritik an Israel sei legitim, es käme auf die Wortwahl und die richtigen historischen Zusammenhänge an.
Hecht-Galinski: Ja, sicherlich. Das ist immer die gängige Meinung und die gängigen Aussprüche. Sobald aber Kritik geäußert wird, wird diese Kritik sofort mit Antisemitismusvorwürfen gleichgesetzt, und dadurch werden die Politiker auch mundtot gemacht. Sehen Sie, damals nach dem Streubombeneinsatz ist die Frau Wieczorek-Zeul angegriffen worden. Sie hören heute nichts mehr. Es ist alles verschwunden. Jedes kritische Wort wird sofort im Keim erstickt.
Simon: Ist das typisch aus Ihrer Sicht für Deutschland oder gilt das auch für anderer Länder?
Hecht-Galinski: Das gilt auch für andere Länder. Überall wo, ich muss es leider sagen, wie Tony Judt das auch schon festgestellt hat, die jüdisch-israelische Lobby mit ihrem Netzwerken am Arbeiten ist, das zieht sich heute über die ganze Welt, und dank Amerika ist die Macht so groß geworden, dass wir als europäische Juden für einen gerechten Frieden zwar eine Minderheit sind, aber immer stärker werden in der ganzen Welt. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe mir das Lebensmotto meines Vaters zu Eigen gemacht: Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.
Simon: Ihr Vater, das muss man vielleicht noch mal erwähnen, war Heinz Galinski, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Und wenn Sie von Ihrer Organisation Europäische Juden für einen gerechten Frieden sprechen, und Sie sagen schon, Sie sind in der Minderheit, wie fühlen Sie sich denn innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland?
Hecht-Galinski: Ich fühle mich in der Hinsicht nicht mehr dazugehörig zu der normalen Mehrheit, weil diese Mehrheit also absolut nur die israelische Politik unterstützt, und ich bin deutsche Jüdin und möchte nicht missbraucht werden für - das habe ich schon mal gesagt - eine israelische Politik, die auf keinem Boden des Rechts und auf keinem demokratischen Verständnis mehr steht.
Simon: Ihre Kritiker werfen Ihnen Selbsthass vor.
Hecht-Galinski: Ja, ich sage ja gerade, das ist ein gängiger Begriff in jüdischen Beschimpfungen. Da kann ich also wirklich nur müde darüber lächeln.
Simon: Was für Auswirkungen wird denn die scharfe Kritik jetzt an der Kritik der Bischöfe sowohl aus Deutschland vom Zentralrat als auch aus Israel haben? Im April reist ja eine hochkarätige Delegation der Evangelischen Kirche Deutschland nach Israel.
Hecht-Galinski: Ja, das wird wohl die Auswirkung haben, dass die Evangelische Kirche sich gar nicht mehr zu Wort melden wird beziehungsweise eine Tourismusreise unternehmen wird und die schönen israelischen Gebiete sieht und wahrscheinlich nichts mehr sagen wird. Und ich finde sogar, es besteht eine Fürsorgepflicht für die Christen, die sich so einsetzen, die unter schwersten Bedingungen nach Israel fahren, um dann in die besetzten Gebiete zu kommen, was ja eigentlich verboten ist, um den Palästinensern dort zu helfen oder den zwei Prozent noch verbliebenen Christen, und die zwei Prozent von 20 Prozent ehemalig verbliebenen Christen, die sind nicht wegen der Moslems gegangen, im Gegenteil, die hoffen sehr, dass die Christen noch bleiben, sondern die sind wegen der israelischen Schikanen gegangen.
Simon: Das heißt, Sie gehen letztlich davon aus, dass die ganze Auseinandersetzung jetzt Israel und allen Menschen, die dort leben, eher schadet als nutzt?
Hecht-Galinski: Ja, selbstverständlich. Im Endeffekt wird diese ganze israelische Politik auch dem Staat Israel nur schaden, auch wenn das heute noch nicht so gesehen wird von vielen Leuten. Aber es kann nur in ein absolutes Unglück führen, was dort passiert, weil man kann nicht ewig ein ganzes Volk unterdrücken und sich wirklich - ich muss diese Vergleiche wagen -, wir haben ja gerade erlebt, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und was heute passiert. Das kann man nicht einfach beschönigen, und man muss schon gewisse Vergleiche ziehen, leider muss man sagen, auch wenn das in Deutschland nicht politisch korrekt ist.
Simon: Und da gibt es keine Tabus für Sie?
Hecht-Galinski: Es gibt in der Hinsicht keine Tabus. Wissen Sie, wenn jüdische Siedler Gegner als Nazis bezeichnen, sich also auch mit dem Holocaust bedienen, dann kann ich sagen, es gibt, wenn Sie israelische Medien lesen, es gibt überhaupt gar kein Tabuthema mehr. Das wird zwar immer so dargestellt, aber gerade Deutschland hat die Verpflichtung, nicht in dieser Freundschaftsfalle zu enden und zu landen, sondern den Mund aufzumachen. Und das vermisse ich völlig, weil die deutsche Politik beziehungsweise die Regierung, egal welche Partei, sich immer voll auf die israelische Seite stellt, kritiklos.
Simon: Die Debatte um bischöfliche Ghettoworte, das war Evelyn Hecht-Galinski, Mitglied der Europäischen Juden für einen gerechten Frieden.
Evelyn Hecht-Galinski: Guten Morgen Frau Simon!
Simon: Frau Hecht-Galinski, überrascht Sie die Schärfe der Auseinandersetzung?
Hecht-Galinski: Die überrascht mich und überrascht mich nicht, weil vom Zentralrat bin ich nichts anderes gewöhnt. Er hat sich wieder mal als Sprachrohr der israelischen Regierung betätigt und hat sich an die israelische Botschaft heran gehängt und bezeichnet Kritiker als Antisemiten, jüdische Kritiker als jüdische Antisemiten oder jüdische Selbsthasser oder Juden, die in der Identitätskrise stecken. Das bin ich gewöhnt, und ich auch keine Einzelmeinung mehr, wie das immer hingestellt wird vom Zentralrat. Ich bedauere es nur sehr, dass die, wie Sie schon vorher anmoderiert haben, dass die Bischöfe beziehungsweise Kardinal Lehmann schon wieder diese Äußerungen, diese sehr moderaten Äußerungen zum Teil zurückgenommen haben oder sich entschuldigt haben.
Simon: Moderat, finden Sie den Vergleich mit dem Warschauer Ghetto moderat?
Hecht-Galinski: Ich kann diese Vergleiche so nicht nachvollziehen, weil, wenn man morgens in Jad Vaschem war, diese Ausrottung des europäischen Judentums gesehen hat, die leider nicht mehr rückgängig zu machen ist, und dann in die besetzten Gebiete fährt, dieses Elend sieht, diese Mauer, die sich durch palästinensische Gebiete zieht, diese unrechtmäßige Besatzung, dann muss man von einem Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis sprechen, das die israelische Regierung in den besetzten Gebieten einrichtet.
Simon: Aber muss es immer gleich der Vergleich mit dem Holocaust sein?
Hecht-Galinski: Es ist nicht der Vergleich mit dem Holocaust. Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.
Simon: Was sagen Sie denn dazu, der Vergleich mit dem Holocaust war antisemitisch, demagogisch, so der Vorwurf zum Beispiel der israelischen Botschaft, auch des Zentralrates?
Hecht-Galinski: Ja, ich sagte ja schon, das ist die gängige Wortwahl, um Kritiker mundtot zu machen.
Simon: Könnte das nicht auch ein grober Klotz auf einem groben Keil sein?
Hecht-Galinski: Ich fand den groben Keil von den Bischöfen überhaupt nicht grob. Im Gegenteil: Ich fand ihn, wie gesagt, sehr moderat. Die Bischöfe haben endlich mal ein paar Worte ausgesprochen. Normalerweise hört man ja gar nichts mehr. Die deutsche Politik ist hinter den israelischen Medien verschwunden. Die deutsche mediale Berichterstattung zeigt das Elend auch nicht mehr genug, und deswegen muss ich sagen, bedauere ich es nochmal sehr, dass es jetzt schon wieder einen Rückzieher gegeben hat.
Simon: Der israelische Botschafter in Deutschland hat ja ausdrücklich gesagt, Kritik an Israel sei legitim, es käme auf die Wortwahl und die richtigen historischen Zusammenhänge an.
Hecht-Galinski: Ja, sicherlich. Das ist immer die gängige Meinung und die gängigen Aussprüche. Sobald aber Kritik geäußert wird, wird diese Kritik sofort mit Antisemitismusvorwürfen gleichgesetzt, und dadurch werden die Politiker auch mundtot gemacht. Sehen Sie, damals nach dem Streubombeneinsatz ist die Frau Wieczorek-Zeul angegriffen worden. Sie hören heute nichts mehr. Es ist alles verschwunden. Jedes kritische Wort wird sofort im Keim erstickt.
Simon: Ist das typisch aus Ihrer Sicht für Deutschland oder gilt das auch für anderer Länder?
Hecht-Galinski: Das gilt auch für andere Länder. Überall wo, ich muss es leider sagen, wie Tony Judt das auch schon festgestellt hat, die jüdisch-israelische Lobby mit ihrem Netzwerken am Arbeiten ist, das zieht sich heute über die ganze Welt, und dank Amerika ist die Macht so groß geworden, dass wir als europäische Juden für einen gerechten Frieden zwar eine Minderheit sind, aber immer stärker werden in der ganzen Welt. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe mir das Lebensmotto meines Vaters zu Eigen gemacht: Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.
Simon: Ihr Vater, das muss man vielleicht noch mal erwähnen, war Heinz Galinski, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Und wenn Sie von Ihrer Organisation Europäische Juden für einen gerechten Frieden sprechen, und Sie sagen schon, Sie sind in der Minderheit, wie fühlen Sie sich denn innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland?
Hecht-Galinski: Ich fühle mich in der Hinsicht nicht mehr dazugehörig zu der normalen Mehrheit, weil diese Mehrheit also absolut nur die israelische Politik unterstützt, und ich bin deutsche Jüdin und möchte nicht missbraucht werden für - das habe ich schon mal gesagt - eine israelische Politik, die auf keinem Boden des Rechts und auf keinem demokratischen Verständnis mehr steht.
Simon: Ihre Kritiker werfen Ihnen Selbsthass vor.
Hecht-Galinski: Ja, ich sage ja gerade, das ist ein gängiger Begriff in jüdischen Beschimpfungen. Da kann ich also wirklich nur müde darüber lächeln.
Simon: Was für Auswirkungen wird denn die scharfe Kritik jetzt an der Kritik der Bischöfe sowohl aus Deutschland vom Zentralrat als auch aus Israel haben? Im April reist ja eine hochkarätige Delegation der Evangelischen Kirche Deutschland nach Israel.
Hecht-Galinski: Ja, das wird wohl die Auswirkung haben, dass die Evangelische Kirche sich gar nicht mehr zu Wort melden wird beziehungsweise eine Tourismusreise unternehmen wird und die schönen israelischen Gebiete sieht und wahrscheinlich nichts mehr sagen wird. Und ich finde sogar, es besteht eine Fürsorgepflicht für die Christen, die sich so einsetzen, die unter schwersten Bedingungen nach Israel fahren, um dann in die besetzten Gebiete zu kommen, was ja eigentlich verboten ist, um den Palästinensern dort zu helfen oder den zwei Prozent noch verbliebenen Christen, und die zwei Prozent von 20 Prozent ehemalig verbliebenen Christen, die sind nicht wegen der Moslems gegangen, im Gegenteil, die hoffen sehr, dass die Christen noch bleiben, sondern die sind wegen der israelischen Schikanen gegangen.
Simon: Das heißt, Sie gehen letztlich davon aus, dass die ganze Auseinandersetzung jetzt Israel und allen Menschen, die dort leben, eher schadet als nutzt?
Hecht-Galinski: Ja, selbstverständlich. Im Endeffekt wird diese ganze israelische Politik auch dem Staat Israel nur schaden, auch wenn das heute noch nicht so gesehen wird von vielen Leuten. Aber es kann nur in ein absolutes Unglück führen, was dort passiert, weil man kann nicht ewig ein ganzes Volk unterdrücken und sich wirklich - ich muss diese Vergleiche wagen -, wir haben ja gerade erlebt, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und was heute passiert. Das kann man nicht einfach beschönigen, und man muss schon gewisse Vergleiche ziehen, leider muss man sagen, auch wenn das in Deutschland nicht politisch korrekt ist.
Simon: Und da gibt es keine Tabus für Sie?
Hecht-Galinski: Es gibt in der Hinsicht keine Tabus. Wissen Sie, wenn jüdische Siedler Gegner als Nazis bezeichnen, sich also auch mit dem Holocaust bedienen, dann kann ich sagen, es gibt, wenn Sie israelische Medien lesen, es gibt überhaupt gar kein Tabuthema mehr. Das wird zwar immer so dargestellt, aber gerade Deutschland hat die Verpflichtung, nicht in dieser Freundschaftsfalle zu enden und zu landen, sondern den Mund aufzumachen. Und das vermisse ich völlig, weil die deutsche Politik beziehungsweise die Regierung, egal welche Partei, sich immer voll auf die israelische Seite stellt, kritiklos.
Simon: Die Debatte um bischöfliche Ghettoworte, das war Evelyn Hecht-Galinski, Mitglied der Europäischen Juden für einen gerechten Frieden.