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Giacometti in Zürich
Zeichnen und Zweifeln

Alberto Giacometti hat praktisch immer gezeichnet, auf Zeitungspapier, Notizblöcken oder Zigarettenschachteln. Das Kunsthaus Zürich hat den Wust an Material nun für eine Überblicksausstellung aufbereitet - und zeigt den Auserwählten auch als großen Zweifler.

Von Christian Gampert | 01.03.2014
    Er hat praktisch immer gezeichnet, und zwar von klein auf - und bis ans Lebensende. Wenn man die Werke dieser Ausstellung anschaut, fragt man sich natürlich, wie viele Giacometti-Zeichnungen wohl noch auftauchen mögen, auf Zeitungspapier, Notizblöcken oder Zigarettenschachteln. Einstweilen gibt es das Legat, das Vermächtnis von Bruno Giacometti, des jüngeren Bruders, an das Kunsthaus Zürich, das nun so weit aufgearbeitet und, bei kleineren Beschädigungen, auch restauriert ist, dass man sich einen Überblick verschaffen kann. Es ergänzt die ohnehin weltweit größte Giacometti-Sammlung, die in Zürich gehütet wird - und es verrät vieles vor allem über die Kindheit des Alberto Giacometti, der von Anfang an ein Auserwählter, aber auch ein großer Zweifler war.
    Dass der 1901 geborene Alberto eine enorme Begabung hatte, das muss der Familie Giacometti relativ früh klar geworden sein. Der Kleine spielte und malte im Atelier seines Vaters, des Landschaftsmalers Giovanni Giacometti, und sein Bruder Bruno berichtete später, Alberto sei sogar von der Hausarbeit entbunden worden, weil er ja ständig zeichnete. Das muss, unter beharrlicher Förderung des Vater, für ihn ein bisschen wie das Atmen gewesen sein: Man erfaßt die Welt, indem man sie nachzeichnet - nur durch den zeichnerischen Nachvollzug könne man überhaupt etwas erkennen, sagte er später. Alberto nahm die Kunstlexika des Vaters und kopierte, was ihm gefiel – und natürlich zeichnete er, in virtuosen Umrissen, auch die Familie beim Essen oder die Brüder beim Lesen. Kuratorin Monique Meyer:
    "In seinem Frühwerk ist die Familie ganz wichtig, da werden seine Brüder, seine Eltern oft gezeichnet. In Alltagssituationen, aber dann auch in Porträts. Auch gibt es ein wunderbares Selbstbildnis von 1916, in Aquarell, wo der Schüler Alberto sich schon ganz selbstbewusst in frontaler Position darstellt."
    Zwei Jahre später, 1918, fertigt der 17jährige ein Selbstporträt, eine Federzeichnung, die in Ausdruck und Position einem Florentiner Porträt von Michelangelo und auch Dürers "Selbstbildnis im Pelzrock" nachempfunden ist, beides Werke, die der halbwüchsige Giacometti kurz zuvor kopiert hatte. Und das zeigt schon, dass er sich nicht gerade als Dilettanten einordnete…
    Allerdings blieben ständige Selbstzweifel. Was sehe ich? Was kann ich überhaupt erkennen? Wie stehen wir in der Welt, im Raum? Seine Lösung ist einfach: Man muss sich ausschließlich an das Zeichnen halten. Neben einigen farbenfrohen und erstaunlich optimistischen frühen Landschafts-Aquarellen aus den Alpen bei Stampa zeigt die Ausstellung vor allem den Kopierer Giacometti, der sich an den Meistern schult, und zwar an so unterschiedlichen Köpfen wie Dürer und Konrad Witz, Holbein und Mantegna, Matisse, Derain und Ferdinand Hodler, der wie Kuno Amiet bei den Giacomettis ein und aus ging. In seiner Pariser Zeit, nach einer Krise Anfang der Zwanzigerjahre, kopierte Alberto vor allem im Louvre, aber das scheint ihm nicht wichtiger gewesen zu sein als früher die Familie, wo er immer wieder die Brüder zeichnete, die Mutter bei der Hausarbeit, den Vater vor der Staffelei.
    Alberto zeichnete auch in Bücher, notfalls mit dem Kugelschreiber. Und die Beziehung zu den Brüdern blieb ein Leben lang: Diego saß ihm viele Jahre in Paris Modell, und es gibt auch eine ganz dynamische Szene des Bruders Bruno beim Geigespielen. Erstaunlich, dass Giacometti das beständige, ganz traditionelle Portraitieren auch in seiner surrealistischen Phase beibehielt; und auch später noch, als der Bildhauer längst die hohen dünnen Figuren schuf, zeichnete er Akte, Bäume, Intérieurs, Landschaften. Wer will, kann allerdings schon bei dem frühen Erwachsenen, der noch vom ganz zarten zum expressionistisch harten Strich hin –und herwechselt, die Vorboten seines späteren Stils erkennen – jene Umkreisungs-Technik, die immer neu ansetzt, um ein Gesicht, eine Person zu erfassen, sie hinter einem Gitterwerk verschwinden läßt oder gerade dadurch erst sichtbar macht.
    Der Künstler als hochbegabtes Kind und als junger Mann, immer ein bisschen traurig, zweifelnd, misstrauisch gegenüber der eigenen Virtuosität - eine schöne Ausstellung, die Giacometti von einer neuen Seite zeigt.