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Gier nach mehr Bandbreite im Äther

In Heidelberg fand in der vergangenen Woche das Jahresgipfeltreffen der europäischen Telekom-Konzerne statt. Eines der intensiv diskutierten Themen waren dabei die WAP-Pleite und der wirklich schnelle und breitbandige Internetzugang mit dem Handy. Die Europäer tun sich noch äußerst schwer und sind schon zufrieden, dass sich der GSM-Standard international etabliert hat. Doch vom mobilen Internet mittels Handy sind sie noch weit entfernt. In Japan ist es bereits seit vier Jahren Wirklichkeit. Die Europäer könnten von Japan lernen, meinte der Entiwckler der japanischen Lösung ''I-Mode'' in Heidelberg.

Klaus Herbst |
    Gibt es für ihn überhaupt einen Konkurrenten? Früher war es mal AOL U.S.A., sagt Doktor Takeshi Natsuno von NTT Docomo in Tokio. Aber jetzt sei er, der Vater von I-Mode als mobiler Internet Service Provider erfolgreicher und größer als jeder andere US-Anbieter.

    Bislang habe ich mich immer mit AOL verglichen. Jetzt bin ich größer als sie.

    Auf seinem sehr handlichen Endgerät zeigt uns der alerte Manager den Bildschirmschoner: ein hoch auflösendes Bild seines kleinen Sohnes. Er zieht die Speicherkarte aus dem Slot: "Zwei Gigabyte", sagt er. Auf seiner Visitenkarte steht "I-Mode-Stratege". In Europa berät der Stratege nun seine Vertragspartner in Deutschland, England und den Niederlanden. Ein harter Job für den agilen Manager, denn hier ticken die Uhren anders: Der langsame GSM-Standard dominiert. GPRS wird kaum genutzt und UMTS lässt auf sich warten. Internet über WAP-Handys gilt europaweit als Pleite. Die Gelehrten diskutieren langatmig, wie die neueste Generation mobiler Breitbandlösungen aussehen soll, und wer dabei im Mittelpunkt des Interesses steht, der Nutzer, der Konsument oder der Mensch. Fragen, die Takeshi Natsuno längst gelöst hat, indem er in I-Mode klassische Internettechnologien integriert.

    Für Anwendungen verwenden wir ausschließlich offene Standards und offene Technologien. Zum Beispiel HTML, MIDI, GIF, JPG oder JAVA. Nur das Netzwerk basiert auf ''PDC''. Das ist eine von uns entwickelte Technologie, die aber der japanischen Regierung gehört. Wir besitzen überhaupt keine eigene Technologie.

    Zweimal im Monat wirbt der Japaner in Europa für das mobile Internet, sagt er uns, mit mäßigem Erfolg. Hier klagen WAP-Nutzer noch über geringe Geschwindigkeit der Internetverbindung, das wenig attraktive Dienstleistungen und Inhalte, die begrenzte Bildschirmgröße und Darstellung sowie fehlenden Gegenwert für ihr Geld. Die Entwicklung schreitet vergleichsweise langsam voran.

    Ich helfe unseren Partnern. Bis jetzt klappt das prima - vor allem wenn man das mit den WAP-Diensten vergleicht, die seit zirca vier Jahren angeboten werden. Aber es ist schwierig, in Europa einen namhaften Hersteller für unsere Open-Source-Technologie zu gewinnen. Im vergleichsweise winzigen Japan konkurrieren zehn Hersteller miteinander. In Europa dagegen beherrschen drei Handyproduzenten achtzig Prozent des Marktes. Daher ist es extrem schwierig, einen geeigneten Industriepartner zu finden.

    Was zuerst da war, die Technologie oder die Anwendung, das Henne oder Ei-Problem, ist für Takeshi Natsuno kein Thema. Wichtig ist die Wertschöpfungskette. Die Nutzer lieben Pokemon, Walt Disney und auch pornographischen Content. Hauptsache, es macht Spaß, ist bezahlbar, und es werden immer mehr attraktive Inhalte bereitgestellt - zum Beispiel von fünfundzwanzigtausend inoffiziellen Webseiten. Alle Komponenten spielen zusammen, das Handset, die Inhalte, die Server und die Netzwerke. In knapp fünf Jahren hat I-Mode einundzwanzig Millionen Abonnenten angezogen.

    In Japan ist ja alles schon technologisch ausgereizt. Da kann ich gar nicht mehr viel kreativ machen. Aber wir kriegen dort demnächst das mobile Internet der neuesten Generation mit noch mehr Spaß und Gewinn für die Nutzer aller Generationen. Diese Migration läuft im kommenden Jahr, das garantiere ich Ihnen.

    Für Europa kann Takeshi Natsuno dies nicht garantieren.

    In Europa hat vergangenes Jahr ein Trendwechsel begonnen. Es bewegt sich etwas. Man verabschiedet sich von der bislang dominierenden Standardisierungsfrage, geht Risiken ein - versucht es mit Nutzerfreundlichkeit. Die Endnutzer haben begonnen, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen.

    Der japanische Vater von I-Mode, des weltweit einzigen breitbandigen Internets, erwartet schon im nächsten Jahr den Durchbruch in Europa. "Zweckoptimismus", könnte man das nennen. Die Vertreter der europäischen Telekoms haben in Heidelberg bereits reagiert: fröhlich, freundlich und mit höflichem Interesse.