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Gift aus dem Wasserhahn

Umwelt.- Dass Blei der Gesundheit schadet, ist schon lange bekannt. Deshalb wurde das Schwermetall bereits vor Jahren aus Autobenzin und Farben entfernt. Doch es gibt noch immer einen Weg, auf dem Verbraucher den Giftstoff aufnehmen: über das Trinkwasser.

Von Volker Mrasek |
    Blei ist ein Nervengift. Mit Sorge sehen Mediziner vor allem, dass das Schwermetall die frühkindliche Entwicklung beeinträchtigt. In verschiedenen Studien ergab sich ein Zusammenhang zwischen erhöhten Blei-Konzentrationen im Blut von Kleinkindern und einem verringerten Intelligenz-Quotienten. In der EU wird der Grenzwert für das Schwermetall im Trinkwasser deshalb verschärft. Ab 2013 darf es nur noch zehn Mikrogramm Blei pro Liter enthalten. Diese Höchstmenge empfiehlt auch die Weltgesundheitsorganisation.

    Doch die meisten Haushalte in Europa werden den Grenzwert nicht einhalten. Zu diesem Schluss kommen jetzt Experten von der Universität von Swansea in Wales. Unter ihnen ist Colin Hayes. Der Biochemiker leitet ein europäisches Forschungsnetzwerk zu metallischen Fremdstoffen im Trinkwasser:

    "In unserer Studie haben wir versucht abzuschätzen, wie viele Häuser in den EU-Mitgliedsstaaten überhaupt Bleirohre in ihrer Trinkwasser-Zuleitung haben. Es ist jedes vierte. Das kann man aus der Altersstruktur der Gebäude einigermaßen zuverlässig ableiten. Unsere eigenen Trinkwasser-Analysen in Wales lassen uns vermuten, dass zwei Drittel aller Haushalte mit Bleirohren den Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation nicht einhalten."

    In Großbritannien, Frankreich, Portugal und Belgien ist der Anteil von verbauten Bleirohren demnach am höchsten. In Deutschland wird er mit rund zehn Prozent angegeben. Insgesamt 120 Millionen Europäer nehmen bis heute ständig Spuren von Blei mit dem Trinkwasser auf, so die Schätzung der Forscher.

    Das Problem wird ihrer Ansicht nach unterschätzt. In den meisten EU-Ländern laufe die Probenentnahme falsch ab, bemängelt Colin Hayes. Deshalb lasse sich gar nicht ermitteln, wie hoch die Blei-Belastung des Trinkwassers tatsächlich sei, wenn es aus dem Hahn komme:

    "Die Mitgliedsstaaten der EU haben es versäumt, einen einheitlichen Standard für die Probenentnahme festzulegen. Deshalb gibt es heute Länder, die überhaupt nicht messen, und andere, die es irgendwo im kommunalen Netz tun. Und selbst wenn Proben direkt im Haushalt genommen werden, geschieht das oft erst, nachdem für eine Weile das Wasser lief. Dann geht auch das Blei den Abfluss runter."

    Zusammen mit anderen Experten hat Hayes eine Richtlinie für die Analyse von Blei im Trinkwasser entwickelt. Sie liegt seit kurzem im Entwurf vor. Darin wird beschrieben, wie Wasserversorger am besten ihre Proben nehmen sollten. Und zwar so wie in Großbritannien. Der niederländische Chemie-Ingenieur Eddo Hoekstra aus dem Forschungszentrum der EU-Kommission im italienischen Ispra:

    "In Großbritannien kommen die Prüfer ins Haus, und das immer wieder mal, zu verschiedenen Tageszeiten. Mit der Einwilligung der Besitzer nehmen sie die Probe direkt in der Küche, ohne das Wasser vorher laufen zu lassen."

    So lassen sich auch erhöhte Blei-Belastungen erfassen, die sich durch die Standzeit des Wassers ergeben – und die schon mal um ein Vielfaches über dem künftigen Höchstwert in der EU liegen.

    Wie könnte eine mögliche Lösung des Gesundheitsproblems aussehen? Die Bleirohre überall auszutauschen, sei zwar im Prinzip wünschenswert, aber zu kostspielig, sagt Colin Hayes. Der Biochemiker empfiehlt dem Rest Europas deshalb, auch hier dem britischen Beispiel zu folgen und Trinkwasser mit geringen Mengen von Phosphat zu versetzen, wie es in jeder Cola vorhanden sei. Dadurch gehe Blei in eine unbedenkliche Form über. Großbritannien habe auf diese Weise das Problem vollständig in den Griff bekommen.

    Allerdings, und das weiß auch Hayes: Für viele EU-Länder sind chemische Zusätze im Trinkwasser ein absolutes Tabu.