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Giftige Schiffe

Der Handel mit Müll und Schrott kann große Gewinne einbringen, das hat das Mülldesaster aus Neapel jüngst noch einmal verdeutlicht. Doch nicht nur innerhalb der EU wird Hausmüll, Giftmüll und Elektkroschrott hin und her geschoben, gerne wird auch billig in Westafrika und Asien entsorgt. Asien ist zudem ein wichtige Abnehmer für ausrangierte Tanker.

Von Thomas Kruchem |
    50 Kilometer außerhalb der pakistanischen Metropole Karachi zerschneiden hohe Mauern den Strand des Indischen Ozeans – in über hundert so genannte Abwrackhöfe. Von der Straße aus sind nur Krangestänge und rostige Dächer zu sehen; die meisten Tore sind verrammelt vor Pakistans Schiffsfriedhof Gadani.

    Nur das Tor von Abwrackhof Nummer 91 steht sperrangelweit auf und gibt den Blick frei auf einen fast 400 Meter langen Gastanker vor dem verölten Strand, die "Gaz Imperial". Zwischen rostigen Metallhaufen und Kränen wuchtet gerade, inmitten Dutzender Arbeiter, ein Radlader den Bug des Schiffes von einer Winde, die ihn an Land gezogen hat. – "Osman Enterprises" heißt das Unternehmen, das die "Gaz Imperial" zerlegt. Der Chef, Mohammed Shahid Patel, hat in 2Spr.: 5 Jahren über 60 Schiffe abgewrackt. Die "Gaz Imperial", sagt Patel, wird weitere 25.000 Tonnen Stahl für Karachis Walzwerke liefern.

    " Mit Kränen und schwerem Schweißgerät lösen wir große Teile vom Schiffskörper und hieven sie an Land, wo rund hundert Arbeiter sie so zerschneiden, dass die Lastwagen der Walzwerke sie transportieren können. Andere Arbeiter füllen das Öl des Schiffes in Fässer: Diesel, Heizöl, Schmieröle – insgesamt gut hunderttausend Liter, für die wir hier jede Menge dankbarer Abnehmer haben. Asbest haben wir an Bord dieses Schiffs nicht gefunden, dafür Zementplatten, die in die Bauindustrie gehen, und Glaswolle, die für Kühlhäuser und Klimaanlagen recycelt wird."

    Keine allzu großen Umweltprobleme – so scheint es auf den ersten Blick. Die pakistanische Zeitung "Business Recorder" stellt es etwas anders dar: Demnach sollte die "Gaz Imperial" erst im indischen Alang abgewrackt werden, musste diesen Hafen aber wieder verlassen, weil sie zuviel hochgefährliches Asbest enthielt. Erst danach sei der Tanker in Gadani eingelaufen, wo pakistanische Behörden die Demontage schließlich erlaubten. – Insgesamt 70.000 Arbeiter würden in den armen Ländern Südasiens Schiffe aus Industrieländern zerlegen – hat im amerikanischen Seattle Jim Puckett erklärt, Chef des "Basel Action Network"; einer Organisation, die Giftmüllexporte in Entwicklungsländer bekämpft. Über tausend Riesentanker, Frachter und Kreuzfahrtschiffe erreichen jedes Jahr das Abwrackalter. Früher wurden solche Schiffe im Meer versenkt, was heute der Umweltschutz verbietet; oder sie wurden in den Werften zerlegt, wo sie gebaut worden waren, was teuer ist – zumal so ein Schiff meist viele giftige Stoffe enthält: in Wänden, Decken und Isolierung bis zu tausend Tonnen Asbest; Dutzende Tonnen Altöl; darin sowie in Plastikteilen und Farben "organische Dauergifte" wie polychlorierte Biphenyle, kurz PCBs. Jim Puckett:

    " Bis heute ignoriert die Schiffsindustrie dies Problem und lässt abzuwrackende Schiffe ganz einfach die Küsten Südasiens anlaufen. Dort, an den Stränden armer Länder wie Indien, Bangladesh und Pakistan, sollen dann die Ärmsten der Armen die Schiffe auseinander nehmen – mit oft nichts in der Hand als ein paar Schneidbrennern und Sägen. Hochgiftige Stoffe gefährden dabei die sensiblen Ökosysteme der Küsten und die Arbeiter, die außerdem überhaupt nicht geschützt sind vor Explosionen und herab fallenden Stahlteilen. Sehr viele kommen denn auch zu Tode auf diesen Schiffsfriedhöfen."

    Schiffsfriedhöfe vor allem in Chittagong, Bangladesh; im indischen Alang, wo alte Schiffe 15 Prozent des indischen Baustahls liefern, und in Gadani – der Baustahlquelle Karachis.

    Am öligen, mit Metallsplittern bedeckten Strand des Abwrackhofs Nummer 91 zerschneiden gerade 60, 70 Arbeiter in schmutzigen Lumpen weinrot gestrichene Stahlstücke mit an Gasflaschen hängenden Schneidbrennern. Ausgemergelte Gestalten wie Muhammad Said und Riaz Miajan, die aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan stammen, wo es keinerlei Jobs gibt. 300 Rupien, vier Euro, verdienen sie jetzt pro Tag; übernachten in schäbigen Betonhütten, kaufen ihr Essen von ambulanten Händlern. Für die mit ihrer Arbeit verbundenen Gefahren haben sie nur ein Achselzucken übrig.

    "Manchmal verletzt man sich halt, wenn man mit so großen Stahlteilen hantiert. Ich hatte bisher nur kleinere Verletzungen wie diesen Riss hier in der Hand. Auf Hof Nummer 45 aber wurde kürzlich ein Arbeiter erschlagen – von einem Maschinenteil, das sich vom Kran gelöst hatte.

    Auch beim Umgang mit den Schneidbrennern haben wir häufig Unfälle. Keiner benutzt ja hier in der Hitze Brillen, Masken oder Schilde. Deshalb erleben wir fast jeden Tag, dass sich einer im Gesicht verbrennt oder am Auge verletzt."

    Keiner der Arbeiter hier ist kranken- oder unfallversichert; wer nach einer Verletzung nicht mehr arbeiten kann, wird in sein Dorf zurück geschickt – ohne jede Abfindung. – Das "Basel Action Network" und seine südasiatischen Mitgliedsorganisationen versuchen derweil, lokale Behörden zu sensibilisieren für durch das Abwracken von Schiffen entstehende soziale wie ökologische Probleme – mit zunehmendem Erfolg. Immer häufiger berufen sich neuerdings südasiatische Behörden auf die so genannte "Baseler Konvention", die den internationalen Verkehr mit Giftmüll regelt; und die Behörden verlangen, dass Schiffe vor dem Abwracken von Umweltgiften befreit werden; manche Schiffe befuhren deshalb schon monatelang als "Geisterschiffe" den Indischen Ozean – zum Beispiel das norwegische Kreuzfahrtschiff "Blue Lady".

    " Eine Weile lag das Schiff vor Malaysia. Dann versuchten sie, es in Bangladesh abwracken zu lassen. Unsere Aktivisten vor Ort aber informierten die Regierung Bangladeshs über die große Menge Asbest an Bord – woraufhin die Behörden die Genehmigung verweigerten. – Das Schiff fuhr dann nach Indien, wo wir uns erneut bemühten, die Anlandung zu verhindern – leider ohne Erfolg. In einem Rechtsstreit, der bis zum Obersten Gerichtshof ging, verwiesen wir auf das viele Asbest und das Fehlen einer Inventarliste, wie sie die "Baseler Konvention" vorschreibt; auf Druck der lokalen Stahlindustrie aber gab Indiens Regierung schließlich grünes Licht für das Abwracken der "Blue Lady". – Mehr Erfolg hatten wir mit einem alten Flugzeugträger, den Frankreichs Regierung zum Abwracken nach Indien exportiert hatte – ein klarer Verstoß gegen die "Baseler Konvention". Vor einem Gericht in Frankreich argumentierte die französische Regierung zwar, dass die Konvention nicht gelte für Kriegsschiffe; trotzdem musste sie das Schiff zurück holen."