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Giftmüll aus Pinochets Zeiten

Die Stichwahl am Sonntag entscheidet, ob der neue Präsident Chiles Sebastián Piñera oder Eduardo Frei heißen wird. 20 Jahre nach Ende der Miliärdiktatur kommt auf den neuen Präsidenten eine Fülle an Aufgaben zu. Eines der schlimmsten Dramen aus der Zeit unter Augusto Pinochet wirkt bis heute fort und spielte sich im Norden des Landes ab, wo Sozialwohnungen neben Giftmüllanlagen gebaut wurden.

Von Tini von Poser |
    "Es waren riesige Müllberge, wo die Kinder spielten. Bald bekamen sie große weiße Flecken. Diesen Hautkrankheiten folgten später Krebs, Missbildungen bei Kindern, Fehlgeburten. Kinder kamen mit halben Köpfen zur Welt, es gibt Kinder die keine Geschlechtsorgane haben, kleine Mädchen mit zusammengewachsener Vagina."

    Miriam Aguirre ist der Kopf einer Bürgerinitiative: Menschen, die durch Giftmüll krank geworden sind. Sie treffen sich seit einigen Wochen täglich auf dem zentralen Platz in Arica. Es ist die nördlichste Stadt Chiles, kurz vor der Grenze zu Peru. Die Stadt am Meer wird wegen ihres immer warmen Klimas im Volksmund auch "Stadt des ewigen Frühlings" genannt.

    Während der chilenischen Militärdiktatur hat das schwedische Bergbauunternehmen Boliden hier Giftmüll hergeschifft und am Stadtrand abgelagert. Unmittelbar neben den Müllbergen wurden später Sozialwohnungen errichtet. Die Menschen hatten keine Ahnung, wo sie sich niederließen.

    Auch Luisa Vascos Körper ist vergiftet. Das Gesicht der 59-Jährigen ist entstellt durch lauter schwarze Flecken.

    "Als ich mein Haus bezog, hatte ich noch eine gesunde Haut. 98 war sie bereits verseucht. Also nachdem ich vier Jahre dort gewohnt hatte. Alle meine Kinder sind vergiftet: die Haut, die Arme, die Beine. Meine Tochter hat ein Baby verloren, das kleine Mädchen war ein einziger Klumpen, die Ärmchen klebten am Körper."

    Wie viele andere wartet Luisa Vasco bis heute auf eine Entschädigung.

    Mitte der 80er-Jahre: Die chilenische Firma Promel bekommt viel Geld, um rund 20.000 Tonnen schwedischen Giftmüll zu entsorgen. Der gefährliche Cocktail aus Arsen, Quecksilber und Blei soll angeblich recycelt werden. Marcela Sylvander, Sprecherin der schwedischen Firma Boliden, die den Giftmüll geliefert hatte:

    "1998 fanden wir heraus, dass das Material nicht weiter verarbeitet wurde. Aus unserer Sicht ist das, was in Arica passiert ist, sehr tragisch und was das für Folgen für die Opfer hat. Aber wir finden, dass das Material nicht richtig behandelt wurde – weder von Promel noch den dortigen Behörden."

    Die Verantwortung der Schweden habe in dem Moment geendet, als das Material der chilenischen Firma übergeben wurde. So lautet die offizielle Erklärung. Rolf Svedberg war damals damit betraut, den Giftmüll nach Chile zu verschiffen. Den ehemaligen Umweltmanager von Boliden plagen heute Gewissensbisse:

    "Die ganze Geschichte ist in einer Tragödie geendet. Ich denke, dass beide, Schweden und Chile und Boliden als Firma, moralische Verantwortung übernehmen sollten."

    Rolf Svedberg ist einer der Protagonisten eines Films, der versucht, Licht in die Geschichte zu bringen. Der Dokumentarfilm "Verseuchtes Spielfeld" der schwedischen Filmemacher William Johansson und Lars Edman sorgte erstmals für Wirbel in der Presse beider Länder.
    Der Protest der Betroffenen hat sich zugespitzt. Sogar einen Hungerstreik haben sie gerade hinter sich, sagt die Miriam Aguirre von der Bürgerinitiative:

    "Es gibt weder Schuldige noch Verantwortliche noch Verurteilte. Wir brauchen vor allem, vor allem Gesundheit, und dann brauchen wir Bildung für unsere Kinder. Unsere Kinder haben geschädigte Gehirne. Deshalb brauchen wir eine spezielle Erziehung, denn unsere Kinder haben nicht dieselben Voraussetzungen wie normale Kinder."

    Miriam Aguirre hat aufgehört, davon zu träumen, die Verantwortlichen hinter Gittern zu sehen. Heute fordert sie nur noch eine minimale Entschädigung.