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Giftmüll in Untertagedeponien

Allein in Deutschland fallen jährlich über 18 Millionen Tonnen Giftmüll an. Wohin mit dem gefährlichen Abfall? Ganz tief verbuddeln, ist der gängige Ansatz, zum Beispiel unter Tage in Salzbergwerken, wo er hoffentlich für immer isoliert bleibt. Doch was, wenn doch einmal Wasser zu den Abfällen vordringt?

Von Dagmar Röhrlich | 12.01.2011
    Fünf Giftmüll-Untertagedeponien gibt es in Deutschland. Die sind in verlassenen Bereichen von Salzbergwerken, und dort landen Stoffe aus ganz Europa, die so stark mit Cyaniden, Quecksilber, Arsen oder Dioxinen belastet sind, dass sie tief unter der Erde begraben werden sollen. Weil Chemieabfälle so gefährlich bleiben wie am ersten Tag, soll das Salz den Abfall für immer von der Umwelt fernhalten. Aber während beim Atommüll für diesen Langzeitsicherheitsnachweis Szenarien erdacht und Simulationen berechnet werden müssen, fordert der Gesetzgeber das für Untertagedeponien nicht. Der Sicherheitsnachweis läuft anders, erklärt Stefan Alt vom Ökoinstitut Darmstadt:
    "Szenarien werden betrachtet, werden allerdings auf eine Art und Weise betrachtet, die man verbal-argumentativ nennt, also man sucht Argumente zusammen, man beschreibt die Situation und man gewinnt einen Eindruck davon, wie sich qualitativ das System gegenüber diesem Einfluss verhält, sei es jetzt 1.000.000 Kubikmeter Grundwasser kommen in Kontakt mit der Deponie, was geschieht dann?"
    Aufwendige Simulationen gibt es nicht. Aber es gibt verschiedene Laboruntersuchungen. Sven Hagemann von Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS in Braunschweig:

    "Im Abfallrecht werden verschiedene Untersuchungsmethoden vorgeschrieben, und eine Methode, die man üblicherweise verwendet, um das Auslaugverhalten von Abfällen zu untersuchen, ist ein Verfahren, bei dem man zehn Teile destilliertes Wasser bei einem Teil Abfall einsetzt. Das Auslaugverhalten ist interessant anzuschauen, aber es hat wenig damit zu tun, wie das Auslaugverhalten wäre, wenn diese Abfälle in Kontakt mit Salzlösungen kommen."

    Wenn jedoch Wasser in die Deponie eindringt, wird das kein destilliertes Wasser sein. Im Gegenteil, es wäre eine Salzlauge. Thomas Brasser:
    "Es sind dann extreme geochemische Bedingungen, die herrschen und die dann auch andere Reaktionen des Abfalls oder der Abfallinhaltsstoffe verursachen könnten. Es geht beispielsweise um Fragen der Löslichkeit. Ganz viele Daten, die heute verfügbar sind, die beziehen sich auf Laborbedingungen und sind nicht ohne Weiteres übertragbar auf Verhältnisse, wie man sie in einer Untertagedeponie hätte, wenn denn dort ein Zutritt von Flüssigkeiten stattfindet."

    Sobald die Lauge auf die Abfallstoffe trifft, laufen andere Reaktionen ab als beim destillierten Wasser:

    "Ein gutes Beispiel wäre Blei. Blei ist ja in sehr vielen gefährlichen Abfällen enthalten und wir haben festgestellt, dass die Löslichkeit von Blei in Salzlösungen bis zu 100-mal höher sein kann als die in Wasser. Und das sind dann ziemlich große Konzentrationen, die man erreichen kann. Wir hatten einen Versuch, den ich heute vorgestellt hatte, eine Löslichkeit von bis zu 200 Milligramm pro Liter, das ist ziemlich viel."
    Die Abfälle in den Untertagedeponien sind außerdem ein Sammelsurium von Schadstoffen mit einer komplexen Zusammensetzung. Inzwischen sei durch Laborversuche auch klar, dass sich diese Gemische in der Deponie anders verhalten als die Einzelkomponenten:

    "Es gibt durchaus Ergebnisse, die zeigen, dass die Analyse von einzelnen Komponenten eines Abfalls, also beispielsweise Blei oder Cadmium, Zink, jeder für sich unterhalb zulässiger Grenzwerte liegen, aber in ihrer Gesamtwirkung dann durchaus doch toxische Eigenschaften zeigen können."
    In der Deponie werden die Schadstoffe zwar in Gruppen unterteilt und räumlich getrennt, was miteinander reagieren könnte - aber im Ernstfall fände das Wasser doch seinen Weg. Eines ist jedoch auch klar: Die Laborwerte, die beim direkten Kontakt zwischen Lauge und Abfallstoff entstehen, sagen noch nichts darüber aus, was davon wirklich in der Biosphäre ankommt. Sven Hagemann:

    "Das ist ja nicht eine Lösung, die dann so teleportiert wird und dann im Grundwasser landet, sondern dazwischen sind noch eine ganze Reihe von Prozessen, die zu einer Verringerung der Bleikonzentration führen. Also zum Teil wird das Blei zurückgehalten im Deckgebirge oder es wird verdünnt durch das Grundwasser oder es wird festgehalten durch Huminstoffe."

    Aber für belastbare Aussagen, wie der Transport in Umwelt ablaufen würde, fehlen auch noch die Daten.