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Gil Yaron zum Verhältnis Juden und Christen
Kreuzzug oder Versöhnung?

Die Beziehungen zum Christentum stünden für die meisten Israelis nicht im Mittelpunkt ihrer Wahrnehmung, sagte Gil Yaron, Israel-Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt", im DLF. Immer deutlicher bildeten sich zwei Lager heraus: Die säkularen Israelis hätten ein eher entspanntes Verhältnis zum Christentum, die Religiösen ein sehr gespanntes.

Gil Yaron im Gespräch mit Monika Dittrich | 13.01.2016
    Papst Franziskus in Rom bei einer Audienz, im Hintergrund eine Flagge Israels.
    Papst Franziskus in Rom bei einer Audienz, im Hintergrund eine Flagge Israels. (dpa / picture alliance / Fabio Frustaci )
    Monika Dittrich: Welcher der beiden Männer ist eher prototypisch für die israelische Wirklichkeit: ein Versöhner wir David Rosen oder ein Extremist wie Benzi Gopstein?
    Gil Yaron: Ich würde sagen, weder noch. Die Beziehungen zum Christentum stehen nicht im Mittelpunkt auf Seiten der meisten Israelis. Ich glaube, die machen sich viel mehr Gedanken über die Beziehung zu muslimischen Bürgern. Aber wenn es schon um das Verhältnis zum Christentum geht, ich glaube: Die Wahrheit ist irgendwo in der Mitte. Also nicht das Aufeinander-Zugehen mit offenen Armen – ich glaube da haben die meisten Juden, die in Israel leben, eher ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Christentum per se und der katholischen Kirche besonders. Aber das ist sehr weit entfernt von der Feindseligkeit, die von Gopstein zum Ausdruck gebracht wird. Zumal sich auch hier im Land sehr viel ändert. Wir haben eine Entwicklung, die an den Rändern stattfindet. Auf der einen Seite ein großer Teil von Israelis, die immer säkularer werden, auf der anderen Seite ein wachsender Teil der Bevölkerung, der sehr religiös ist. Bei den Säkularen sehen Sie ein entspanntes Verhältnis zum Christentum, bei den religiösen eher ein gespanntes, und es geht auseinander. Das heißt, man kann immer weniger von den Israelis sprechen, sondern muss von den einzelnen Lagern im Land sprechen.
    Dittrich: Dann lassen Sie uns mal auf das Gopstein-Lager gucken. Was treibt diese Leute an, was sind ihre Motive?
    Yaron: Nun zum einen ist das eine sehr insuläre Weltanschauung, die im Prinzip die jüdische Geschichte durch ein sehr schmales Brennglas betrachtet und 2000 Jahre der Verfolgung sieht und die aktuellen politischen Ereignisse einfach nur als Fortführung von dem, was in den letzten 2000 Jahre Diaspora den Juden widerfahren ist. Und da diese Menschen auch wenig in Kontakt treten mit Menschen von außen, sie auch den Wandel, der in der christlichen Welt stattgefunden hat – und vor allem im Vatikan – überhaupt nicht wahrnehmen. Sondern sie nehmen einen Alltag wahr, in dem sie sich im Westjordanland befinden, aus ihrer Sicht her völlig zu Recht, weil das seit Jahrtausenden angeblich von Gott den Juden versprochen wurde. Und dieser Anspruch wird in Frage gestellt von den Palästinensern. Und die Palästinenser erhalten dabei Schützenhilfe aus dem christlichen Europa, und somit werden dann die Christen schlichtweg eingebettet gemeinsam mit den Feinden Israels. Und dann ist die Weltanschauung komplett.
    Dittrich: Wie reagiert die israelische Politik auf solche anti-christlichen Apelle, Aufrufe? Teilweise sind es ja auch Anschläge.
    Yaron: Also die israelische Politik ist eigentlich sehr eindeutig dagegen und versucht da sehr klare Signale zu setzen. Es gab Besuche hochrangiger Politiker und auch des Präsidenten in Kirchen, auf die es Anschläge gab. Auch die Zivilbevölkerung solidarisiert sich mit Kirchen. Ich kann mich erinnern, dass zum Beispiel vor eineinhalb Jahren, als ein christlicher Friedhof in Jerusalem geschändet wurde, da kamen ganz viele Jerusalemer Bürger zur Kirche und sagten, wir wollen euch helfen wieder aufzubauen, weil das nicht für das steht, an was wir glauben. Die israelische Politik verurteilt das einhellig. Nur wegen der Vielfalt der anderen Probleme hat man diese spezifische Sache bislang nicht als so große Bedrohung wahrgenommen. Ich glaube, das erste Mal, dass man diese Bedrohung durch diesen ultraradikalen schmalen Rand von jüdischen Extremisten wahrgenommen hat, war, als ein Brandanschlag auf eine palästinensischen Familie im Sommer verübt wurde und drei Menschen ums Leben kamen, was natürlich die Spannung hier im Land sehr weit angestachelt hat und man gesehen hat, diese Leute verüben nicht nur Sachschaden, sondern sie töten auch Menschen. Gegen die müssen wir immer massiver vorgehen. Inzwischen tut das ja der israelische Staat – und zwar mit den Mitteln, die bislang nur gegen palästinensische Terroristen eingesetzt wurden, die werden jetzt auch gegen jüdische Terroristen angewandt.
    Dittrich: Sie haben den Wandel im Vatikan eben schon angesprochen. Vor einigen Wochen hat der Vatikan eine Denkschrift veröffentlicht, in der es heißt, dass Juden nicht mehr bekehrt werden sollten. Papst Franziskus wird mit den Worten zitiert, es sei unmöglich Christ und gleichzeitig Antisemit zu sein. Wie wichtig ist dieses Dokument?
    Yaron: Aus historischer Sicht ist das natürlich ein völliger Wandel. Wenn man sich überlegt, erst noch vor hundert Jahren traf der Gründer der zionistischen Bewegung Theodor Herzl den damaligen Papst und sagte, gibt mir doch Unterstützung für den Judenstaat - und der Papst lehnte das ab mit der Begründung, er hoffe ja immer noch, dass die Juden eines Tages das Licht sehen und zum Christentum übertreten. Wenn jetzt die Kirche und der Papst offiziell sagen, wir erkennen an, dass das Judentum auch ein richtiger Glaube ist und dass man die Leute nicht bekehren sollte, weil sie einen wichtigen Beitrag leisten an der Arbeit, die man Gott darbringt, dann ist das ein historischer Wandel, der 2000 Jahre Verfolgung, 2000 Jahre Judenhass aus der Kirche beenden soll. Das wird natürlich auch innerhalb der Kirche noch lange dauern, bis das universal anerkannt wird. Aber diese Entscheidung ist ja auch in Randgruppen des Christentums umstritten gewesen, auch bei manchen hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche. Aber es ist ein Wandel, der begonnen hat in den 1960er Jahren nach dem Holocaust mit "Nostra Aetate", der damals schon im Prinzip begann, den Brückenschlag zum jüdischen Volk zu vollziehen. Das geht jetzt weiter und hat jetzt ein sehr fortgeschrittenes Stadium erreicht. Etwas, das sehr Niederschlag findet in den Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan, zwischen Vertretern des jüdischen Glaubens, also hochrangigen Rabbinern und Vertretern der katholischen Kirche. Da ist ein historischer Wandel im Gange.
    Dittrich: Und wie wurde das in Israel kommentiert und wahrgenommen?
    Yaron: Sehr am Rande. Man muss verstehen, dass die katholische Kirche im Augenblick nicht mehr als die zentrale Bedrohung Israels wahrgenommen wird. Bei der Vielzahl der Probleme, denen sich die Israelis gegenüber sehen, von der iranischen Atombombe über tägliche Terrorattacken von Palästinensern: Da wird eine Verlautbarung aus dem Vatikan im Hintergrund wahrgenommen, das steht nicht im Vordergrund. Aber für Menschen, die sich damit beschäftigen – das ist ein kleiner Teil der israelischen Bevölkerung, für diejenigen, die sich mit interreligiösen Beziehungen beschäftigen, war das definitiv ein Meilenstein, der hier universal begrüßt wurde.
    Dittrich: In den kommenden Tagen wird Papst Franziskus die Synagoge in Rom besuchen. Welche Bedeutung hat eine solche Geste in Israel?
    Yaron: In den Nachrichten wird das vielleicht das fünfte oder sechste Item sein nach dem täglichen Attentat, nach irgendeinem Sexskandal in der Regierung und anderen Politikern, die verhaftet werden. Dann wird wahrscheinlich auch irgendwann erwähnt werden, dass der Papst in einer Synagoge in Rom war. Aber wenn man sich an die Geschichte erinnert. Die Ghettos in Europa wurden ja zerstört von Napoleon im 19. Jahrhundert in seinen Eroberungsfeldzügen durch Europa. Da befreite er die Juden aus den Ghettos. Und die einzige Stadt, die nach dem Sieg von Napoleon darauf bestand, die Ghettomauer wieder zu errichten, das war Rom auf Anweisung des Papstes. Dass ausgerechnet in dieser Stadt der Papst jetzt eine Synagoge besucht, das zeigt, wie groß der Fortschritt doch war im letzten Jahrhundert.