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"Gilgamesh“ in Düsseldorf
Ein Ur-Drama als trashiges Musical

Der neue Intendant des Düsseldorfer Schauspielhaus, Winfried Schulz, eröffnete die neue Spielzeit mit einer "Gilgamesh"-Inszenierung des neuen Hausregisseurs Roger Vontobel. Das älteste erhaltene Schriftdrama der Menschheit trifft dabei auch auf den Hip-Hop. Was nicht immer überzeugt.

Von Dorothea Marcus | 16.09.2016
    Der designierte Intendant des Schauspielhauses Düsseldorf, Wilfried Schulz für die Fotografen.
    Der Intendant des Schauspielhauses Düsseldorf, Wilfried Schulz, startet die Saison mit einer "Gilgamesh"-Inszenierung. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Mitten auf der Königsallee steht nun ein großes Zirkus-Theaterzelt. Auf Schaumstoffkissen und harten Holzbänken nimmt das illustre Düsseldorfer Publikum Platz rund um eine Arena. Dort harkt schon das Volk von Uruk in goldenen Sporthosen den Sand. Hinter ihnen ragen riesige Buchstaben halb verschüttet hervor- und künden vom Untergang der ersten Großstadt, im heutigen Irak gelegen, im sumerischen Zweistromland. 40.000 Einwohner hatte Uruk einst, Handel, Viehzucht, Reichtum waren an der Tagesordnung – die Wiege der Menschheit. Nichts weniger also als ihr Ur-Drama hat sich der neue Intendant Wilfried Schulz zum Auftakt seiner neuen Intendanz ausgesucht, ein großes Statement: Mehr Neuanfang auf altem Grund geht nicht. Das 5.000 Jahre alte "Gilgamesh-Epos" wurde 1853 auf Tontafeln gefunden, der Autor und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott hat es lyrisch ergänzt. Doch Regisseur Roger Vontobel macht die Geschichte des tyrannischen Königs Gilgamesh zu einem recht trashigen Musical.
    Schauspieler Christian Erdmann als Gilgamesh rekelt sich auf den Buchstaben, thront rauchend und selbstherrlich in Satin-Jackett über seinem Volk. Doch das leidet, während es zum bassigen Sound der Band Murena-Murena kraftstrotzende Hip-Hop-Choreografien vollführt. Die sind im Übrigen, da durch den Düsseldorfer Hip-Hopper Takao Baba angeführt und mit professionellen Tänzern ergänzt, äußerst virtuos und artistisch. An rhythmischer Dramaturgie mangelt es nicht an diesem Abend, ebenso wenig wie an lautstarkem Pathos. Um den Alleinherrscher zu bändigen, soll ein Gefährte her, das findet auch Ninsun, Gilgameshs Mutter, die von Michaela Steiger als blondierte, glitzernde Show-Masterin gespielt wird. Aus Erde geschaffen wird also das Tierwesen Enkidu, eine Art unwissende Parsifal-Figur, der durch die Hure Shamhat verführt und verwirrt wurde. In Düsseldorf sind es gleich zwei Enkidus, der stets erschreckt guckende Schauspieler André Kaczmarczyk wird vom Salto schlagenden Takao Baba gedoppelt. Der Zweikampf von Gilgamesh und Rivale Enkidu wandelt sich alsbald in eine liebende Umarmung, dann ziehen sie friedlich zusammen auf Weltreise durch Wüsten und Zedernwälder, kauern unter einer provisorischen Zeltplane, töten den Riesen Humbaba, begegnen allerlei zornigen Göttern sowie dem mit weißer und grüner Farbe bespritzten Chor, der die Himmelsstiere verkörpert.
    "Die Tage des Menschen, sie sind doch gezählt!- Was immer er unternimmt, es ist nichts als Wind! Aber doch nicht für uns, mein Freund… Ich hab die Macht, und ich hab außerdem den Willen… Oh hört mich an Ihr Rat der Alten von Uruk… bezähmt ihn, dass er nicht zum Zedernwald geht…"
    Vieles an diesem Abend wirkt behauptet, künstlich deklamiert, die brachiale Archaik aufgesetzt, manches sogar unfreiwillig komisch – etwa, wenn Gilgamesh auf seiner Wüstenwanderung beginnt, Sandburgen zu bauen und Enkidu Mehlkreise ums Zelt zieht. Wie dieser Haufen grölender Schlammgestalten die Wiege der Menschheit repräsentieren soll, bleibt ein Rätsel. Schließlich töten die Götter den Gefährten Enkidu, und nun ist die Trauer von Gilgamesh groß, einsam stapft er durch den Bühnennebel und sucht nach dem Sinn des Lebens.
    "… seit Enkidus Tod roch ich nichts mehr, auch den Geschmack hatte ich verloren…"
    Den Sinn des Lebens findet er, ganz zum Schluss, bei der Heimkehr nach Uruk: Auf einmal werden die Buchstaben ganz sichtbar und leuchten auf: Letztlich sind es Schrift, Literatur – und natürlich die Kunst, die eine Sublimierung des entleerten Lebens möglich machen. Die Zirkuswände rollen sich auf, der Blick zur Düsseldorfer Königsallee wird frei. Halbnackt und aufmunternd rufend läuft Hauptdarsteller Christian Erdmann den erstaunten Passanten entgegen. Ein schönes Schlussbild, eine programmatische Öffnung zur Stadt, die an dieser Stelle sonst nur eine besonders exklusive Shopping-Meile ist. Die altbackene, pathetisch hochgeschraubte Inszenierung rettet das leider nicht.