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Gilles Kepel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus.

Gilles Kepel ist weltweit anerkannt als der Islamexperte. Nach seinen Büchern "Allah im Westen", "Der Prophet und der Pharao" und die "Rache Gottes" hat der französische Soziologe jetzt auch in deutscher Sprache eine Gesamtschau des islamischen Fundamentalismus vorgelegt. "Das Schwarzbuch des Dschihad – Aufstieg und Niedergang des Islamismus" stellt Andreas Ufen vor:

Gilles Kepel: |
    Gilles Kepel ist weltweit anerkannt als der Islamexperte. Nach seinen Büchern "Allah im Westen", "Der Prophet und der Pharao" und die "Rache Gottes" hat der französische Soziologe jetzt auch in deutscher Sprache eine Gesamtschau des islamischen Fundamentalismus vorgelegt. "Das Schwarzbuch des Dschihad – Aufstieg und Niedergang des Islamismus" stellt Andreas Ufen vor:

    Die Hauptthese des Buches von Gilles Kepel, einem französischen Soziologen und Islamexperten, dürfte viele überraschen. Er ist nämlich der Meinung, dass der Islamismus seinen Zenith schon lange überschritten hat und seit 1989 im Niedergang begriffen ist. Zu bedenken ist allerdings, dass sein Buch in Frankreich im Jahr 2000 erschien, also lange vor den Terroranschlägen vom 11. September vergangenen Jahres.

    Ist seine These also überholt? Kepel bestreitet das entschieden in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe, die erst seit einigen Tagen auf dem Markt ist. Er sieht sich sogar bestätigt, weil doch die "apokalyptische Provokation" gerade ein Zeichen der Schwäche sei, ein letzter Versuch, den Niedergang aufzuhalten.

    Der Autor unterscheidet drei Phasen in der Geschichte des Islamismus. In der ersten, der Umschwungphase, die mit der islamischen Revolution im Iran im Jahre 1979 endet, kommt es zu einer "Wahhabitisierung" des Weltislam – das heißt hin zu einer konservativen, puritanischen Reformbewegung. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe saudi-arabischer Ölgelder eine weltumspannende ideelle Gemeinschaft der Muslime zu begründen, den Islam international zu einem bedeutenden Akteur zu machen und den besiegten Nationalismus durch einen konservativ interpretierten Islam zu ersetzen, durch Saudi-Arabien.

    Die zweite Phase ist eine der rasanten Expansion:

    Anfang der achtziger Jahre breitet sich der Islamismus überall in der islamischen Welt aus, wo er zum Hauptbezugspunkt der Debatten über die Zukunft der Gesellschaft wird: Die Zweideutigkeit seiner Botschaft, in der sich sowohl der bärtige Kapitalist als auch der Bewohner von Elendsquartieren wiederfinden kann, erleichtert seine Ausbreitung.

    International entwickelt sich aber bereits ein Dualismus zwischen dem Iran, der die Revolution zu exportieren sucht, und Saudi-Arabien, das die schiitische Eigenart der Mullah-Herrschaft im Iran herausstellt und den kriegführenden Irak unterstützt.

    1989 ist die islamistische Bewegung auf ihrem Höhepunkt. Die Hamas drängt die PLO aus ihrer Vormachtstellung, der FIS gewinnt die Wahlen in Algerien, im Sudan putscht Hassan Turabi und in Afghanistan tritt die Rote Armee den Rückzug an. Mit dem Untergang des osteuropäischen Sozialismus dehnt sich die islamische Zivilisation bis nach Zentralasien aus.

    Für Kepel zeigt sich aber bereits der Beginn des Niederganges: Das Bündnis zwischen armer städtischer Jugend und frommer Mittelschicht wird in vielen Ländern unter dem Druck der staatlichen Repressions- und Kooptierungspolitik zerrieben.

    Etwa mit dem Ende des Kalten Krieges beginnt die dritte Phase, die Phase des Niederganges. Sie wird durch die irakische Besetzung Kuweits im August 1990 ausgelöst. Die daraus folgende erzwungene Stationierung "ungläubiger" Truppenverbände zerstört den Anspruch der saudischen Eliten, Hüter der heiligsten Stätten des Islam zu sein. Der Irak agitiert gegen die proamerikanischen Saudis, es kommt zur Spaltung des islamistischen Lagers.

    Auch auf saudi-arabischem Boden entwickelt sich ein oppositioneller Islamismus gegen das saudische Herrscherhaus. Die "Dschihadisten" spalten sich ab, gehen seit dem April 1992, nachdem Kabul in die Hände von Mudschahiddin-Gruppen gefallen war, nach Afghanistan. Während sich dieser "afghanische Dschihad" radikalisiert und zu einer terroristischen Bewegung transformiert, zerfallen islamistische Bewegungen in anderen Ländern.

    In Algerien und Ägypten erschöpft sich der Islamismus im Terror, im Sudan und in Afghanistan versagt er politisch und wirtschaftlich bald nach der Machtübernahme, in Malaysia und Indonesien wird er kooptiert, und in der Türkei scheitert die Regierung Erbakan. Die Revolution im Iran schließlich degeneriert, und die Mullahs werden zunehmend von einer neuen, desillusionierten Generation unter Druck gesetzt. Kepel schreibt über den allgemeinen Niedergang des Islamismus:

    Der moralische Kredit, den eine Bewegung genoss, die mit den korrupten und gewalttätigen politischen Sitten brechen wollte, hat keine dreißig Jahre vorgehalten. In dieser Zeit folgten nacheinander: Knüppeleinsatz gegen Linke an den Universitäten, Kopftuchzwang, der Schwindel 'islamischer' Geldanlagen, die Zensur laizistischer Schriften und der Terror gegen ihre Verfasser, die Massaker an Zivilisten und Touristen.

    Aus diesem Niedergang haben "die hellsten Köpfe unter den Islamisten" - so Kepel - bereits ihre Lehre gezogen. Sie orientieren sich neu, berufen sich auf Demokratie und Menschenrechte und bemühen sich um eine Verständigung mit den säkularisierten Teilen der Mittelschicht. Am besten lässt sich dies zur Zeit im postislamistischen Iran beobachten. Der Ausgang dieses Reformprozesses ist offen:

    Die islamische Welt wird zweifellos geradewegs in die Moderne eintreten und dabei mit einer unerhörten Wucht mit der westlichen Welt verschmelzen - insbesondere durch die Emigrationsbewegungen und ihre Folgen sowie durch die Revolution der Kommunikations- und Informationstechnologie.

    Das Buch hat ein paar Schwächen: Kepel verzichtet auf eine Definition der Grundbegriffe, und die soziale Basis der islamistischen Bewegung ist zu undifferenziert benannt. Länderexperten werden sich an einigen Verkürzungen stoßen.

    Trotzdem besticht das Werk durch seine Detailfülle und durch die insgesamt beeindruckende Aufarbeitung einer außergewöhnlich heterogenen und wandelbaren Bewegung. Nach der Lektüre wird man die Geschehnisse in den muslimischen Ländern seit Anfang der 70er Jahre mit anderen Augen sehen.

    Andreas Ufen rezensierte Gilles Kepels "Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus". Piper-Verlag München. 532 Seiten. 29 Euro 90.