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Giordano Bruno. Nachtfalter des Geistes

Vor 2400 Jahren mußte Sokrates den Schirlingsbecher trinken. Seine Heimatstadt Athen hatte ihn wegen angeblicher Einführung neuer Götter und Verführung der Jugend zum Tode verurteilt. Fast genau 2000 Jahre später wurde vor 400 Jahren am 17. Februar 1600 - also vor gar nicht so langer Zeit - der italienische Philosoph Giordano Bruno auf dem Campo dei fiori in Rom als Ketzer auf dem Scheiterhaufen der Inquisition bei lebendigem Leibe verbrannt. Vor knapp 60 Jahren, am 27. September 1940 treiben die spanischen Behörden den deutschen Neomarxisten Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis in den Selbstmord. Im anderen Fall wäre die gesamte Flüchtlingsgruppe den Nazis ausgeliefert worden.

Hans-Martin Schönherr-Mann |
    In der Tat reiht sich die katholische Kirche mit den Inquisitionsbehörden hier in eine Reihe ein mit chaotischen Zuständen im antiken Athen nach dem verlorenen peloponnesichen Krieg und der faschistischen Barbarei. Daß sich die katholische Kirche bis heute nicht für die Inquisition als solche entschuldigt hat, daß sie damit ihre eigene Grausamkeit nicht verurteilt hat, daß ihre Würdenträger im Fall Giordano Brunos sogar noch im 20. Jahrhundert das Inquisitionsurteil unter dem Großinquisitor, dem Kardinal Bellarmin verteidigen, dergleichen trieb den italienischen Publizisten Anacleto Verrecchia zu einer neuen einfühlsamen Bruno-Biographie unter dem Titel Nachtfalter des Geistes an. Er schreibt: "Dieses Buch will auch zeigen, mit welchem Ausmaß kriminellen Wahnsinns sich religiöser Fanatismus verbinden kann. Wenn die Welt ein Kondominium der Grausamkeit und Narretei ist, in dem diese herrscht und jene befiehlt, so hat die Religion sehr oft demonstriert, wie sie beides zugleich sein kann."

    Verrechia kritisiert dabei auch vehement die offizielle Philosophie, die zu philologisch und wissenschaftlich dem Menschen Bruno nicht gerecht werde. Für eine ausgewogene Sichtweise plädiert allerdings Stephan Otto, emeritierter Professor für Philosophie in München und ehemaliger Leiter des einzigen Universitätsinstituts für Philosophie der Renaissance in Deutschland, das seit Ottos Ausscheiden auch noch aufgelöst wird. Stephan Otto stellt fest:

    "Bruno ist ohne Frage in den Augen des römischen Dogmas ein Ketzer. Ob er subjektiv ein Ketzer ist, das wäre zu berücksichtigen. Wenn die Inquisition zur damaligen Zeit imstande gewesen wäre, zwischen Theologumena und Philosophumena zu unterscheiden, dann hätte sie Bruno eigentlich nicht verbrennen dürfen. Andererseits hat Bruno sozusagen seiner Verbrennung zugestimmt, denn, wie berichtet wird, habe er auf dem Scheiterhaufen das ihm vorgehaltene Kruzifix nicht anblicken wollen und den Kopf abgewandt. Wenn ich das als bewußte Haltung interpretieren darf, dann heißt das: Ich, Giordano Bruno, bin nicht einverstanden mit der Religionsidee eines in menschlicher Person erscheinenden Gottes. Das ist einerseits wieder ein ketzerisches Verhalten, Leugnung der Inkarnation, des Leibhaftigen Todes der Person Jesu Christi, in der sich also Gott inkarniert hat. Auf der anderen Seite ist es ein Moment der Aufklärung. Jeder Ketzer ist ein Aufklärer. Und die Frage ist in der Tat wie sich über verschiedene Phasen der Dogmengeschichte hinweg die katholische Kirche zur Aufklärung verhält. Unter dem Aspekt betrachtet ist sicherlich eine Rehabilitation von Giordano Bruno von Seiten der katholischen Kirche nicht zu erwarten. Sie wäre gerade von dieser Seite gesehen geradezu unsinnig. Vielleicht sogar unbegründet. Nur wenn man bedenkt, daß Bruno ausdrücklich erklärt hat: ich argumentiere hier und habe immer nur als Philosoph argumentiert, dann muß man die katholische Kirche fragen, wie gerade zu diesem aufklärerischen Moment in Figur und im Denken Brunos sie heute sich verhalten will."

    Zweifellos ist Giordano Bruno von Nola, einem kleien Ort nordöstlich des Vesuv, das prominenteste unter den unzähligen Opfern der Inquisition. Bruno wurde 1548 geboren und trat früh in den Dominikanerorden ein, wo er selbst als Hexenrichter der Inquisition diente. Nach seinem Ausscheiden aus dem Orden führte er ein unstetes Wanderleben auf der Suche nach einem Ort, an dem er dauerhaft bleiben könnte. Er lehrte unter anderem in Genf, Löwen, Helmstedt, Wittenberg, Paris und London. Dabei wandte er sich auch dem Protestantismus zu. In Venedig wurde er verhaftet und war sieben Jahre inhaftiert, bevor er hingerichtet wurde.

    Giordano Bruno schrieb unter anderem Satiren, Lehrgedichte und Dialoge und vollendete dabei das Denken der Renaissance, das sich von der christlich scholastischen Philosophie des Mittelalters verabschiedet hatte und das sich nicht mehr theologisch bevormunden lassen wollte.

    "Vor dem Inquisitionstribunal hat Giordano Bruno mehrfach betont, ich habe mich über alle diese Dinge, die ihr mir vorwerft, nämlich Leugnung der Transsubstantiation, Leugnung der Inkarnation Gottes in eine menschliche Natur, Leugnung der Personalität Gottes nie als Theologie, sondern immer nur als Philosoph geäußert und als Philosoph erklärt Giordano Bruno vor der Inquisition: den Personbegriff kann ich auf Gott nicht übertragen. Wie also definiere ich Gott? Die Antwort Giordano Bruno in allen seinen Schriften schon vorher, war: das Einfachste - Semplicissimo. Und zwar das in einer Ewigkeit einfachste. Anders kann ich das Absolute nicht definieren, denn sonst belege ich es mit Anthropomorphismen."

    Damit klingt bei Bruno allerdings ein hochaktuelles Motiv an, obwohl die Renaissance-Philosophie heute gerade in Deutschland wenig Beachtung findet. So lautet eines der großen Themen Brunos: Was ist überhaupt eine menschliche Person, wenn ich sie nicht mehr einfach in Analogie zu einer bestimmten Gottesvorstellung definieren kann?

    "Bruno ist ein ganz raffinierter Denker. Er spricht von dem Wechsel der Bilder und Zeichen, die von der Welt als Schatten geworfen wir in unserem Bewußtsein tragen. Dieser dauernde Wechsel der Weltbilder in unserem Geist, der Weltfiguren in unserem Geist läßt uns zu einer Identität des Geistes und damit gerade auch zu einer Personalität nicht kommen. Aber was macht Giordano Bruno? Er sagt: Dieser Fluß der Weltfiguren, der Zeichen und Bilder von der Welt in unserem Bewußtsein, wodurch können wir den hemmen? Woran können wir uns in diesem Fluß halten? Und er sagt ausdrücklich: Wenn du dich in deinem Denken soweit ausstreckst, daß du wenigstens die Idee eines idem eternum, einer ewigen Identität denken kannst, dann hast du einen Punkt gefunden, an dem du in diesem Wechsel der Bilder in deinem Bewußtsein noch einen Halt findest."

    Der bekannteste Zug des brunonischen Denkens ist sein Pantheismus, daß Gott mit der Natur bzw. dem Kosmos identisch sei, ein Gedanke, der bei Spinoza, Hegel und Schelling auftaucht und zuletzt im ökologischen Denken des letzten Jahrhunderts. Das hält der bedeutendste deutsche Kenner der Renaissancephilosophie eher für ein Mißverständnis:

    So pantheistische Züge das System Brunos auch hat, Giordano Bruno betont immer wieder - und das stellt die Rede vom brunonischen Pantheismus sehr in Frage - gerade in seiner Schrift über die heroischen Leidenschaften, daß Gott für den endlichen Intellekt und auch für den endlichen Willen ein oggetto inoggettabile bleibt, ein nicht zu vergegenständlichender Gegenstand, den wir auch in unserem Denken nie umgreifen können, sondern nur berühren können. Und gerade dieses Zurückgestoßenwerden vom Kulminationspunkt alles metaphysischen Denkens, von Gott oder vom Absoluten zeigt, daß in Giordano Bruno erstens metaphysikkritische Züge zu entdecken sind und zeigt zweitens, daß man von einem reinen Pantheismus nicht reden kann. Denn ein nicht erreichbarer Gott ist eigentlich ein fundamentaler Widerspruch für einen Pantheismus.

    Auch wenn man Bruno vornehmlich als Gegner der katholischen Kirche beschreibt, wird man ihm, so Stephan Otto nicht gerecht. Diese Interpretation, die durch seine Hinrichtung bestätigt erscheint, stützt sich auf Brunos Schrift Die Vertreibung der triumphierenden Bestie:

    Auf diese Schrift haben sich die Freimauerer in England berufen, haben sich die Libertiner berufen, haben sich dann alle Säkularisierer berufen und die große Frage ist: Was ist denn nun eigentlich die triumphierende Bestie. Man hat dann gemeint, ja das ist der Papst, das ist die römische Kirche. Wenn man sich die Schrift anschaut, dann ist die Schrift eher ein Protest gegen die protestantische Rechtfertigungslehre. Bruno hat ja sozusagen alle Stadien der Konfessionalität durchmessen, als Katholik, als Calviner, als Lutheraner und er ist jeweils von allen den dreien Konfessionen exorziert worden.

    Insofern taucht bei Bruno schließlich ein anderes, auch heute aktuelles Thema auf, wie man jenseits der verschiedenen Glaubensrichtungen zu gemeinsamen ethischen Handlungsorientierungen kommt - ein brisantes Thema im Zeitalter der Reformation wie heute im Zeitalter der Globalisierung und des religiösen Fundamentalismus.

    So wie Bruno - überhaupt sich als Akademiker keiner Akademie zugehörig bezeichnet - zurückgreift auf die vorsokratische Philosophie, Parmenides und Heraklit, (. . .) so will er alle Konfessionen, auch das Judentum, auch das Mohammedanertum genauso wie die katholische, evangelische, kalvinische und christliche Konfession angreifen, um zu einer wahren, wie der meint, Zivilethik des Handelns zurückzukommen.

    Nicht nur der Jahrestag seines Todes läßt an Bruno denken. Vor allem ist das Denken der Renaissance der Moderne nicht so fern, als daß man nicht von ihm lernen könnte. Stephan Otto plädiert allerdings für Ausgewogenheit:

    "Ich denke in Sachen Giordano Bruno muß man eine kritische Mitte finden. Denn es gibt auf der einen Seite eine Brunomanie, die z.B. darin besteht, daß in jeder italienischen Kleinstadt irgendwo und sei es in einer Nebengasse Sie totsicher auf eine Tür stoßen mit einer Tafel, auf der steht: Società Giordano Bruno. Und wenn Sie dann durch die Tür gehen, dann finden Sie alte Männer, die Karten spielen und Rotwein trinken und sich an das Risorgimento erinnern, also an die Befreiung des italienischen Staates von der vatikanischen Vorherrschaft. Und dieser Kampf ging ja weiter bis hin zu Mussolini. Gentile war eingetreten für das Denkmal Giordano Brunos auf dem Campo dei fiori. Mussolini hat erklärt, dieses Denkmal muß als Freiheitszeugnis bestehen bleiben. Daraufhin hat die katholische Kirche sofort den Kardinal Bellarmin heilig gesprochen und Kardinal Bellarmin war Mitglied des Inquisitionsgerichtshofes. Brunomanie und Brunophobie, das sind fast irrationale Figuren. Und Giordano Bruno aus dem Schatten dieser Irrationalismen herauszubringen, das wäre für die Philosophie eine zu leistende Aufgabe. Aber die Rezeptionsgeschichte Giordano Brunos auch in der Philosophie ist eine Katastrophengeschichte."

    Bleibt nur noch zu empfehlen, bei der nächsten Romvisite Brunos Denkmal auf dem Campo dei fiori zu besuchen! Dabei stößt man unweigerllich auf das malerische Viertel von Trastevere.