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Gipfel zur Atomsicherheit
Den Haag ist zur Festung ausgebaut

In Erwartung von 53 Regierungs- und Staatschefs zum Atom-Gipfel über den Schutz von Nuklearmaterial vor Terroristen wappnet sich Den Haag gegen etwaige Anschläge. Das Image der Stadt als Weltstadt des Friedens könnte den Einzelhandel teuer zu stehen kommen.

Von Kerstin Schweighöfer | 24.03.2014
    Fahrzeuge der royalen Militärpolizei fahren im Konvoi auf einer gesperrten Straße in Den Haag, Niederlanden.
    Fahrzeuge der royalen Militärpolizei auf einer gesperrten Straße in Den Haag, Niederlanden. (ANP/Valerie Kuypers)
    Blumenhändler Cor Coper versteht die Welt nicht mehr. Schon seit 30 Jahren hat er sein Blumengeschäft an der Frederik Hendrik-Laan in Den Haag, einer schicken Ladenstraße im Statenkwartier, jenem Viertel unweit vom Nordseestrand, wo viele ausländische Beamte und Diplomatenleben, wo sich internationale Institutionen und Behörden wie Europol und das Jugoslawientribunal befinden. Hier liegt auch das Haager Kongresszentrum: Mehr als 50 Staats- und Regierungsschefs aus aller Welt treffen sich dort zum Atomsicherheitsgipfel, außerdem werden 8000 Delegationsmitglieder erwartet - für die Niederländer der größte Gipfel aller Zeiten. So etwas hat das Land noch nie erlebt. Auch der alte Cor nicht: Absurd sei das, schimpft er, völlig absurd. Was das alles koste!
    "Wir stecken immer noch in der Wirtschaftskrise!", wettert der Blumenhändler. "Warum findet der Gipfel nicht auf einer unserer Inseln statt - auf Texel oder Vlieland? Kriegsschiffe drumherum, Flugzeuge obendrüber - fertig! Das ist nicht nur sicherer, das ist auch billiger. Aber nein, der Gipfel muss hier stattfinden, mitten in der Stadt! Ich komme mir vor wie in einer Festung!"
    Freiluftgefängnis mitten in Den Haag
    Einer Festung mit 13.000 Polizisten. Mit Kriegsschiffen vor der Küste und Kampfflugzeugen, die den Luftraum rund um die Uhr überwachen. Mit abgeriegelten Autobahnen, sodass Städte wie Amsterdam oder Leiden mit dem PKW nicht mehr erreichbar sind.
    Das Gebiet rund um das Kongresszentrum gleicht einem riesigen Freiluftgefängnis: Schon vor gut zwei Wochen wurde es mit einem dreieinhalb Meter hohen, von Kameras gesäumten Gitter umgeben. Was die Sicherheit kostet, wird aus Sicherheitsgründen ebenso geheim gehalten wie der Ort, wo US-Präsident Obama übernachtet, erklärt der Haager Oberbürgermeister Jozias van Aartsen:
    "Es ist die größte Konferenz in Den Haag seit der Friedenskonferenz von 1907. Sie ist nicht nur wirtschaftlich wichtig für die Stadt. Damit stärken wir auch unseren Ruf als Welthauptstadt des Friedens und der Gerechtigkeit. Denn Ziel des Gipfels ist es ja, die Welt sicherer zu machen."
    Die Krimkrise und auch die Abwesenheit des russischen Präsidenten Putin, so der Bürgermeister, gefährde den Erfolg des Gipfels nicht. Immerhin habe Putin seinen Außenminister Lawrow geschickt. Dass er Putin vertreten wird, habe nichts mit dem Krim-Konflikt zu tun:
    "Putin war unzufrieden darüber, wie sein Staatsbesuch im letzten Jahr hier bei uns verlaufen ist. In Amsterdam kam es zu Demonstrationen. Deshalb hat er sich gedacht: Diesmal komm' ich nicht."
    "Nuklearer Urlaub"
    Den meisten Haager Geschäftsleuten ist es ziemlich egal, ob Putin mit dabei ist oder nicht. Sie fürchten Umsatzverluste. Viele Läden und Restaurants müssen für zweieinhalb Tage schließen. "Wir machen nuklearen Urlaub!", witzelt der Wirt eines Cafés am Nordseeboulevard.
    Die schicke Frederik Hendrik-Laan bleibt zwar erreichbar, aber, so fürchten die Geschäftsleute dort, das wissen die wenigsten: Deshalb haben sie schon vor Wochen große Plakate in die Schaufenster geklebt: "Wir öffnen während des Gipfels und sind erreichbar!", prangt in großen Lettern darauf. Eines hängt auch bei Blumenhändler Coper. Und im Schuhladen nebenan:
    "Aber es wird trotzdem mit Sicherheit ruhiger werden als sonst!", meint eine der Verkäuferinnen. Metzgermeister Ruud de Ruijter, der ein paar Meter weiter unter seiner Marquise in der Sonne steht, sieht das alles ganz gelassen. Der Gipfel koste nicht nur Geld, er bringe auch Geld ein.
    Man dürfe eines nicht vergessen: Die wichtigsten Politiker der Welt an einem Ort, das mache Den Haag für Terroristen zu einer idealen Zielscheibe. Kein Wunder also, dass die Stadt sich wappne.
    Nun schlage die Stunde der Wahrheit: Das Programm stehe, die Sicherheitsvorkehrungen auch - "bleibt zu hoffen", so der Metzgermeister, "dass nach dem Gipfel auch Den Haag noch steht!"