Wir starten von Süden aus - vom Arturhaus, das auf 1500 Metern liegt. Vorbei geht es an lieblichen Weideflächen. Schon nach 40 Gehminuten lädt die hübsche Mitterfeldalm mit ihren bunten Schlagläden zum Verweilen ein. Eine kurze Rast - unter Laubbäumen. Etwas überraschend, dass man auf 1600 Meter Höhe Birke, Bergahorn und Eberesche findet. Ein Ort, der im Kontrast zu den eisigen Höhen des Hochkönigs steht. Womöglich ein Grund, warum Wanderer beim Aufstieg leichtsinnig werden. Hüttenwirt Hans Holzmann:
"Das Problem ist immer, 80 Prozent überschätzen sich. Wenn fünf Stunden angeschrieben stehen, denken viele: Das macht man locker. Der Durchschnitt geht fünf bis sechs Stunden."
Weil wir keine hochalpinen Supermänner sind, kalkulieren wir sechs Stunden ein. Es ist kurz nach 13 Uhr. An sich kein Problem, lange vor Einbruch der Dunkelheit am Gipfel anzukommen. Bald entdecken wir vier Gemsen, die auf Geröllfeldern steil bergauf springen. Wir dagegen gewinnen nur langsam an Höhe. Kurz hinter der Mitterfeldalm führt der Weg sogar leicht bergab. Fast zehn Kilometer liegen vor uns. Nach zwei Stunden reißen die Wolken etwas auf. Ein gut 200 Meter hoher steil aufragender Felsdaumen direkt neben der Strecke: die Torsäule - ein echter Hingucker. Außerdem hat uns Hüttenwirt Holzmann neugierig auf Wildtiere gemacht.
"Wir haben Rehwild und Murmeltiere und den kleinen Hahn: Das ist der Birkhahn. Massenhaft – im Frühjahr sind 15 bis 20 Stück da."
Doch keine der drei Tierarten lässt sich heute blicken. Auf etwa 2300 Meter Höhe passieren wir erste Schneefelder. Vereinzelt rinnt Schmelzwasser hinab. Der Weg wird steiler. Mit lang gezogenem Schritt überwinden wir ein paar Felsstufen. Zu Recht heißt die anstrengende Passage "Kniebeißer". Immer dichter werden die Wolken. Keine Hütte in Sicht! Nach fünf Stunden sind wir erst am Beginn des stark abgeschmolzenen Gletschers, der sogenannten "Übergossenen Alm", die einst zehn Quadratkilometer umfasste. Die Hochkönigtour ist eine Art Geduldsspiel, meint unsere Begleiterin Andrea, die schon sechsmal oben war:
"Mit jeder Tour, die ich dahin gemacht habe, wurde der Weg immer weiter, weil der Gletscher immer weiter zurückging. Und darunter sich die von uns sogenannten "Mugel" verbargen. Das sind inzwischen 12 bis 15 Felshügel, die erklommen und wieder abgestiegen werden müssen, was unheimlich frustrierend ist auf dem Weg zum Gipfel. Dass man immer wieder runter und wieder rauf muss und das Haus gar nicht sieht - zumindest bei schlechtem Wetter."
Der Wind nimmt zu, auch die Wolkendichte. Unsere Hände sind eiskalt. Wann endlich kommt das Matrashaus? Nach gut sieben Stunden öffnen wir – bei Schneegestöber vor Kälte schlotternd – die Tür zur ersehnten Hütte. Ernst schaut Hüttenwirt Roman Kurz uns Spätankömmlinge an. Schon in einer halben Stunde wird es dunkel!
"Es ist kein schwieriger Weg, aber keine Wanderung, sondern ein hochalpiner Weg. Da spielen das Wetter und die Verhältnisse eine große Rolle. Und da kommt irgendwo ein bissel Nebel auf, man verliert die Stangen. Und wenn man dann keine Zeitreserven hat, wird man leicht nervös. Und das Zweite ist, dass man nicht mehr umdreht. Die meisten gehen am Berg mit der Vorstellung: 'Ich gehe, solange es geht, und wenn es nicht mehr geht, brauche ich nur noch runter zu gehen.' Kein Mensch käme auf die Idee: Ich schwimme jetzt im Königssee. Und wenn es nicht mehr geht, dann drehe ich halt um."
Die Lektion des Wirts hat gesessenen. Roman Kurz bewirtschaftet das 2941 Meter hoch gelegene Haus seit zwölf Jahren. Er kennt den Leichtsinn der Touristen zur Genüge - und auch die lange Geschichte der Hütte:
"Die Hütte hat ja früher geheißen Kaiser-Jubiläums-Schutzhaus. Der österreichische Thronfolger wollte eigentlich die Hütte abreißen lassen, weil sie in seinem Jagdgebiet war. Der wollte einfach keine Touristen hier haben. Und der damalige Präsident des Österreichischen Touristenklubs hat natürlich nicht gegen den Thronfolger opponieren können, und er ist zurückgetreten. Und es hat einen neuen Präsidenten gegeben, Eduard Matras. Der hat bei Kaiser Franz Josef vorgesprochen – und hat erreicht, dass die Hütte nicht abgerissen wird."
Daher wurde die Hütte in den 30er-Jahren in Franz-Eduard-Matras-Haus umbenannt. Das damalige Haus wurde mit Stahlseilen gehalten, um dem Wind zu trotzen.
"Ein alter Wirt hat mir mal gesagt: Wenn hier oben ein Gewitter war, hat er sich mit seiner Kasse runter in den Bierkeller verzogen, weil er Angst hatte, dass es ihm das Haus wegreißt."
Nicht der Sturm wurde dem Haus zum Verhängnis, sondern das Feuer. 1982 brannte das alte Matrashaus ab. Während beim Neubau rund 2500 Helikopterflüge das komplette Baumaterial nach oben schafften, mussten Touristen übergangsweise mit einer kleinen Baracke vorlieb nehmen. Dort schlief auch unsere Begleiterin Andrea 1983 für eine Nacht.
"Die ganze Tour war eigentlich begleitet von einem Wettlauf, wer nun, welche Gruppe nun am schnellsten oben sein würde, um sich noch einen Schlafplatz zu sichern. Denn diese Baracke war eine Art Container von vielleicht dreimal sechs Metern Größe. Sechs Matratzen lagen an der einen Seite und wurden als zwölf Schlafplätze gezählt. Und am Ende waren wir - meiner Erinnerung nach - 18 Leute! Der damalige Hüttenwirt Hermann Hinterhölzl hatte sich selbst schon eine Art Iglu in den Gletscher gebuddelt, damit er diese nächtlichen Umstände nicht teilen musste. Das ist einmalig. Das war eine schöne Erinnerung, auch wenn wir Mädchen, wir waren Teenager, unter der Höhenluft litten und unheimliches Herzklopfen hatten."
Egal ob es Bergwanderer nach Bier, Wurst oder Schokolade gelüstet hat: Alles musste in der Pionierzeit der Hütte von Lastenträgern hoch geschleppt werden. Später fielen die Lebensmittel förmlich vom Himmel, erzählt Roman Kurz:
"In den 50er-Jahren hat man vom Flugzeug Dosen auf den Gletscher abgeworfen. Man hat gut die Hälfte Dosen mehr gekauft, weil viele beim Aufschlagen auf den Gletscher kaputtgegangen sind."
Heute wird das Matrashaus jede Woche mit dem Helikopter versorgt. Das Steinhaus steht mit festem Fundament im gewachsen Fels - geschützt vor dem zunehmenden Permafrost - wie uns Roman Kurz versichert. Seine Hütte hat mehr als 100 Schlafplätze. An schönen Wochenenden drängeln sich bis zu 180 Bergwanderer in dem gemütlichen Haus. Keiner wird zurück ins Tal geschickt! Kein Wunder: Jeder der Anstiege zum Hochkönig erfordert viel Ausdauer und lange Gehzeiten:
"''Die beiden Normalwege sind einmal vom Arthurhaus über die Mitterfeldalm aus. Und der andere von der Diehlalm aus über die Ostpreußenhütte. Von der Schwierigkeit ist er ähnlich, nur etwas länger, weil man bis zur Ostpreußenhütte schon eineinhalb bis zwei Stunden braucht, also eher sieben bis acht Stunden. Es geht seit zehn Jahren herauf ein Klettersteig, der "Königsjodler" - der längste Klettersteig Österreichs. Dadurch, dass da viel Schotter ist und Stein, ist viel Steinschlag von Leuten, die vom Klettersteig absteigen.""
Wenn es stürmt und schneit – was auch im Hochsommer passieren kann - lebt der Hüttenwirt mit seiner Frau schon mal drei Wochen allein. Zeit zum Nachdenken über die wechselvolle Geschichte des Matrashauses. Übrigens hat der größte Gegner der Hütte – der österreichische Thronfolger Ferdinand – 1914 ein unseliges Ende gefunden:
"Der Thronfolger hat im Blümbachtal - im angrenzenden Tal zum Hagengebirge – eine weiße Gams geschossen. Im Volkesglauben ist es so, dass wer eine weiße Gams schießt, innerhalb eines Jahres ein Unglück erfährt oder zu Tode kommt. Und der ist ja innerhalb eines Jahres in Sarajewo erschossen worden, was damals der Auslöser des Ersten Weltkrieges war."
"Das Problem ist immer, 80 Prozent überschätzen sich. Wenn fünf Stunden angeschrieben stehen, denken viele: Das macht man locker. Der Durchschnitt geht fünf bis sechs Stunden."
Weil wir keine hochalpinen Supermänner sind, kalkulieren wir sechs Stunden ein. Es ist kurz nach 13 Uhr. An sich kein Problem, lange vor Einbruch der Dunkelheit am Gipfel anzukommen. Bald entdecken wir vier Gemsen, die auf Geröllfeldern steil bergauf springen. Wir dagegen gewinnen nur langsam an Höhe. Kurz hinter der Mitterfeldalm führt der Weg sogar leicht bergab. Fast zehn Kilometer liegen vor uns. Nach zwei Stunden reißen die Wolken etwas auf. Ein gut 200 Meter hoher steil aufragender Felsdaumen direkt neben der Strecke: die Torsäule - ein echter Hingucker. Außerdem hat uns Hüttenwirt Holzmann neugierig auf Wildtiere gemacht.
"Wir haben Rehwild und Murmeltiere und den kleinen Hahn: Das ist der Birkhahn. Massenhaft – im Frühjahr sind 15 bis 20 Stück da."
Doch keine der drei Tierarten lässt sich heute blicken. Auf etwa 2300 Meter Höhe passieren wir erste Schneefelder. Vereinzelt rinnt Schmelzwasser hinab. Der Weg wird steiler. Mit lang gezogenem Schritt überwinden wir ein paar Felsstufen. Zu Recht heißt die anstrengende Passage "Kniebeißer". Immer dichter werden die Wolken. Keine Hütte in Sicht! Nach fünf Stunden sind wir erst am Beginn des stark abgeschmolzenen Gletschers, der sogenannten "Übergossenen Alm", die einst zehn Quadratkilometer umfasste. Die Hochkönigtour ist eine Art Geduldsspiel, meint unsere Begleiterin Andrea, die schon sechsmal oben war:
"Mit jeder Tour, die ich dahin gemacht habe, wurde der Weg immer weiter, weil der Gletscher immer weiter zurückging. Und darunter sich die von uns sogenannten "Mugel" verbargen. Das sind inzwischen 12 bis 15 Felshügel, die erklommen und wieder abgestiegen werden müssen, was unheimlich frustrierend ist auf dem Weg zum Gipfel. Dass man immer wieder runter und wieder rauf muss und das Haus gar nicht sieht - zumindest bei schlechtem Wetter."
Der Wind nimmt zu, auch die Wolkendichte. Unsere Hände sind eiskalt. Wann endlich kommt das Matrashaus? Nach gut sieben Stunden öffnen wir – bei Schneegestöber vor Kälte schlotternd – die Tür zur ersehnten Hütte. Ernst schaut Hüttenwirt Roman Kurz uns Spätankömmlinge an. Schon in einer halben Stunde wird es dunkel!
"Es ist kein schwieriger Weg, aber keine Wanderung, sondern ein hochalpiner Weg. Da spielen das Wetter und die Verhältnisse eine große Rolle. Und da kommt irgendwo ein bissel Nebel auf, man verliert die Stangen. Und wenn man dann keine Zeitreserven hat, wird man leicht nervös. Und das Zweite ist, dass man nicht mehr umdreht. Die meisten gehen am Berg mit der Vorstellung: 'Ich gehe, solange es geht, und wenn es nicht mehr geht, brauche ich nur noch runter zu gehen.' Kein Mensch käme auf die Idee: Ich schwimme jetzt im Königssee. Und wenn es nicht mehr geht, dann drehe ich halt um."
Die Lektion des Wirts hat gesessenen. Roman Kurz bewirtschaftet das 2941 Meter hoch gelegene Haus seit zwölf Jahren. Er kennt den Leichtsinn der Touristen zur Genüge - und auch die lange Geschichte der Hütte:
"Die Hütte hat ja früher geheißen Kaiser-Jubiläums-Schutzhaus. Der österreichische Thronfolger wollte eigentlich die Hütte abreißen lassen, weil sie in seinem Jagdgebiet war. Der wollte einfach keine Touristen hier haben. Und der damalige Präsident des Österreichischen Touristenklubs hat natürlich nicht gegen den Thronfolger opponieren können, und er ist zurückgetreten. Und es hat einen neuen Präsidenten gegeben, Eduard Matras. Der hat bei Kaiser Franz Josef vorgesprochen – und hat erreicht, dass die Hütte nicht abgerissen wird."
Daher wurde die Hütte in den 30er-Jahren in Franz-Eduard-Matras-Haus umbenannt. Das damalige Haus wurde mit Stahlseilen gehalten, um dem Wind zu trotzen.
"Ein alter Wirt hat mir mal gesagt: Wenn hier oben ein Gewitter war, hat er sich mit seiner Kasse runter in den Bierkeller verzogen, weil er Angst hatte, dass es ihm das Haus wegreißt."
Nicht der Sturm wurde dem Haus zum Verhängnis, sondern das Feuer. 1982 brannte das alte Matrashaus ab. Während beim Neubau rund 2500 Helikopterflüge das komplette Baumaterial nach oben schafften, mussten Touristen übergangsweise mit einer kleinen Baracke vorlieb nehmen. Dort schlief auch unsere Begleiterin Andrea 1983 für eine Nacht.
"Die ganze Tour war eigentlich begleitet von einem Wettlauf, wer nun, welche Gruppe nun am schnellsten oben sein würde, um sich noch einen Schlafplatz zu sichern. Denn diese Baracke war eine Art Container von vielleicht dreimal sechs Metern Größe. Sechs Matratzen lagen an der einen Seite und wurden als zwölf Schlafplätze gezählt. Und am Ende waren wir - meiner Erinnerung nach - 18 Leute! Der damalige Hüttenwirt Hermann Hinterhölzl hatte sich selbst schon eine Art Iglu in den Gletscher gebuddelt, damit er diese nächtlichen Umstände nicht teilen musste. Das ist einmalig. Das war eine schöne Erinnerung, auch wenn wir Mädchen, wir waren Teenager, unter der Höhenluft litten und unheimliches Herzklopfen hatten."
Egal ob es Bergwanderer nach Bier, Wurst oder Schokolade gelüstet hat: Alles musste in der Pionierzeit der Hütte von Lastenträgern hoch geschleppt werden. Später fielen die Lebensmittel förmlich vom Himmel, erzählt Roman Kurz:
"In den 50er-Jahren hat man vom Flugzeug Dosen auf den Gletscher abgeworfen. Man hat gut die Hälfte Dosen mehr gekauft, weil viele beim Aufschlagen auf den Gletscher kaputtgegangen sind."
Heute wird das Matrashaus jede Woche mit dem Helikopter versorgt. Das Steinhaus steht mit festem Fundament im gewachsen Fels - geschützt vor dem zunehmenden Permafrost - wie uns Roman Kurz versichert. Seine Hütte hat mehr als 100 Schlafplätze. An schönen Wochenenden drängeln sich bis zu 180 Bergwanderer in dem gemütlichen Haus. Keiner wird zurück ins Tal geschickt! Kein Wunder: Jeder der Anstiege zum Hochkönig erfordert viel Ausdauer und lange Gehzeiten:
"''Die beiden Normalwege sind einmal vom Arthurhaus über die Mitterfeldalm aus. Und der andere von der Diehlalm aus über die Ostpreußenhütte. Von der Schwierigkeit ist er ähnlich, nur etwas länger, weil man bis zur Ostpreußenhütte schon eineinhalb bis zwei Stunden braucht, also eher sieben bis acht Stunden. Es geht seit zehn Jahren herauf ein Klettersteig, der "Königsjodler" - der längste Klettersteig Österreichs. Dadurch, dass da viel Schotter ist und Stein, ist viel Steinschlag von Leuten, die vom Klettersteig absteigen.""
Wenn es stürmt und schneit – was auch im Hochsommer passieren kann - lebt der Hüttenwirt mit seiner Frau schon mal drei Wochen allein. Zeit zum Nachdenken über die wechselvolle Geschichte des Matrashauses. Übrigens hat der größte Gegner der Hütte – der österreichische Thronfolger Ferdinand – 1914 ein unseliges Ende gefunden:
"Der Thronfolger hat im Blümbachtal - im angrenzenden Tal zum Hagengebirge – eine weiße Gams geschossen. Im Volkesglauben ist es so, dass wer eine weiße Gams schießt, innerhalb eines Jahres ein Unglück erfährt oder zu Tode kommt. Und der ist ja innerhalb eines Jahres in Sarajewo erschossen worden, was damals der Auslöser des Ersten Weltkrieges war."