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Gipfelstürmer in Florenz:

Wenn die EU sagt, sie möchte die stärkste Wirtschaftsmacht sein auf der Welt, dann heißt das, dass sie einiges dafür tun will, um das zu werden. Und das geht in der Regel – zumindest erlebe ich es hier in Deutschland so – zu Lasten von Sozialhilfebeziehern, Erwerbslosen und anderen armen Menschen.

Gerhard Klas | 06.11.2002
    Erika Biehn bezieht Arbeitslosenhilfe. Sie fährt diese Woche nach Florenz. Dort wird das Europäische Sozialforum gegründet.

    Die deutschen Gewerkschaften haben sich am zweiten Weltsozialforum Anfang diesen Jahres in Porto Alegre in Brasilien beteiligt, sind seit längerem schon im Gespräch mit der globalisierungskritischen Sozialen Bewegungen. Von daher ist es nur folgerichtig, dass wir uns an dem Prozess beteiligen, der zur Gründung des Europäischen Sozialforums führen wird.

    Horst Mund arbeitet als Referatsleiter für europäische und internationale Gewerkschaftspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

    Porto Alegre war so etwas wie der Sammelpunkt dieser globalisierungskritischen Opposition. Dieser Ansatz ist für mich hochinteressant. Er entspricht dem, was ich seit Jahrzehnten politisch vertrete und wo ich mich engagiere, im sozialen Bereich, im Umweltbereich, Demokratisierung der Gesellschaft.

    Hermann Dierkes ist Betriebsrat in einem Duisburger Stahlbetrieb.

    In Nordrhein-Westfalen sollen Studiengebühren eingeführt werden. Und das ist erst mal eben nicht nur in Deutschland so, sondern auch schon in anderen Ländern passiert. Also auch von daher, denke ich, ist eine Vernetzung und Gucken, was passiert in anderen europäischen Ländern, sehr wichtig [und] vor allen Dingen ist es aber auch ein Beispiel, was neoliberale Politik eigentlich heißt.

    Sylvia Klemen ist 28 Jahre alt und studiert an der Kölner Universität Romanistik. Nebenbei engagiert sie sich für das Netzwerk Attac, das die stark angewachsenen Finanzströme rund um den Globus besteuern und stärker kontrollieren will.

    Verschieden sind zwar die Beweggründe der Reisenden, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: 20.000 Teilnehmer aus West- und Osteuropa werden in Florenz erwartet. Sie lehnen Kriege ebenso ab wie die neoliberale Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre. Alle, die eine entsprechende Erklärung unterschreiben, können als Delegierte am Europäischen Sozialforum teilnehmen. Diese "Charta der Prinzipien" hat das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre bereits im Januar verabschiedet. Dort hatten sich 60.000 Menschen aus aller Welt getroffen. Ein organisatorischer Kraftakt, deshalb jetzt die kleineren, kontinentalen Sozialforen.

    In Europa scheint Italien wie kein anderes Land für die Ausrichtung eines solchen Mammuttreffens prädestiniert zu sein: Im vergangenen Jahr demonstrierten 300.000 Menschen gegen den G8-Gipfel in Genua. Veranstalter war das Genueser Sozialforum, das mehr als 1000 Organisationen und Gruppen umfasst – angefangen von den "Tute Bianche", den "Weißen Overalls", die mit Bolzenschneidern die Absperrungen der Polizei zerlegten, bis hin zu Ordensleuten, die in einer Kirche an der Uferpromenade für den Frieden beteten. Seitdem sind regionale Sozialforen überall in Italien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Nicht nur in den großen Städten, sondern auch in vielen Dörfern.

    Der Startschuss ist eigentlich durch den G8-Gipfel in Genua gefallen, wo mir so dieser Widerspruch zwischen dem, was ich in der Zeitung gelesen habe, also Krawalle, und dem, was ich von Freunden und Bekannten gehört habe, aufgefallen ist. Also das hat mich doch sehr neugierig gemacht und von daher habe ich mich mit den Themen auseinandergesetzt, die dort eigentlich die erste Rolle gespielt haben - und eben nicht die Gewalt.

    Die Studentin Sylvia Klemen interessiert sich besonders für das internationale Dienstleistungsabkommen GATS. Gegen das General Agreement on Trade in Services demonstrierten im vergangenen Sommer schon Tausende von Studentinnen und Studenten in Genua. Dieses Abkommen der Welthandelsorganisation WTO sieht unter anderem vor, die nationalen und zum größten Teil noch staatlichen Bildungssysteme für privatwirtschaftliche Unternehmen zu öffnen - weltweit.

    Dafür setzt sich mit Vehemenz auch der Handelskommissar der Europäischen Union, der Franzose Pascal Lamy, ein. Die Folgen: Private Schulen und Universitäten erheben in der Regel hohe Gebühren und der Lehrstoff wird weitgehend von privaten Unternehmen bestimmt. Ein Trend, den Sylvia Klemen in anderen Ländern bereits beobachtet hat. Schon im Frühjahr haben deshalb Studenten und auch Schüler aus verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten einen Protesttag organisiert.

    Auch Horst Mund, Leiter der Abteilung internationale und europäische Gewerkschaftspolitik beim DGB in Berlin, sorgt sich wegen des GATS-Abkommens.

    Wir erleben eine Globalisierung, die für viele Menschen, für viele arbeitende Menschen, negative Folgen hat oder zumindest als Bedrohung empfunden wird. Eine Globalisierung, die durch die Schlagworte Deregulierung, Privatisierung, Liberalisierung oft beschrieben wird, gegen die wir uns wenden.

    Der Gewerkschafter befürchtet, dass mit der weltweiten Liberalisierung der öffentlichen Dienste viele Arbeitsplätze verloren gehen und die Löhne sinken. Auch die soziale Absicherung würde sich verschlechtern – ganz zu schweigen von den Konsequenzen für Bürger und Patienten, die öffentliche Dienste wie die Krankenversorgung oder die Müllabfuhr in Anspruch nehmen. Sie müssten sich dann mit schlechteren Leistungen und langen Wartezeiten zufrieden geben, so Mund. Die Deutschen Gewerkschaften setzen sich deshalb dafür ein, dass soziale Standards völkerrechtlich festgeschrieben und Verstöße dagegen sanktioniert werden können.

    Zu diesen Standards gehören die von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgelegten Kernarbeitsrechte: das Recht auf Mindestlohn, das Verbot von Kinderarbeit, die gewerkschaftliche Organisationsfreiheit und das Diskriminierungsverbot am Arbeitsplatz. Doch bisher stehen diese Kernrechte nur auf dem Papier. Auch in vielen europäischen Ländern missachten Unternehmer und Konzerne die Bestimmungen der ILO. Die Arbeitsorganisation darf sie dann zwar verwarnen – bestrafen kann sie die Unternehmen aber nicht.

    Deshalb setzt Horst Mund auf die Welthandelsorganisation mit ihren 144 Mitgliedsstaaten. Die WTO kann Strafzölle verhängen, wenn ein Land gegen die Regeln verstößt. Der Haken: Sie will nicht! Bisher interessiert sich die WTO ausschließlich für den möglichst ungestörten grenzüberschreitenden Handel. Der gewerkschaftliche Appell für verbindliche soziale Rechte fand dort bisher kein Gehör. Die Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit sozialen Bewegungen wie etwa Attac soll nun den Druck auf die Welthandelsorganisation erhöhen, endlich einzulenken. Eine Strategie, die im Europäischen Sozialforum nicht unumstritten sein wird.

    Also es gibt in der Tat bei der Frage: Wie verbessern wir die Art und Weise, wie Globalisierung abläuft, massive Meinungsunterschiede zwischen Gewerkschaften einerseits und einem Teil der globalisierungskritischen sozialen Bewegungen andererseits. Gewerkschaften sind der Meinung, dass das internationale System reformfähig ist, während große Teile der Globalisierungskritiker dafür eintreten, dass manche Institutionen schlicht abgeschafft werden, weil sie eben nicht reformfähig sind. Dazu gehört die WTO, dazu gehören für mache auch der IWF und die Weltbank. Wir glauben, sie sind reformfähig.

    Auf diesen Konflikt zwischen den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften weist Horst Mund vom DGB zu Recht hin. Doch die Gewerkschaften in Europa sind auch unter einander nicht immer einig. Zwar sind sie in ihrem Dachverband, dem Europäischen Gewerkschaftsbund, zusammengeschlossen. Doch dem ist es bisher nicht gelungen, die jeweiligen Interessen der nationalen Gewerkschaftsverbände in Europa effektiv zu bündeln.

    Zu groß sind die Unterschiede. Allein zwischen den Gewerkschaften in Deutschland und Frankreich liegen Welten. Frank Bsirske, der Vorsitzende der weltweit größten Einzelgewerkschaft ver.di, wird am 7. November auf dem Europäischen Sozialforum über "Ökonomie und Solidarität" sprechen. Er verdient 13.800 € im Monat. Sein Kollege Bernard Thibault, Generalsekretär des größten französischen Gewerkschaftsdachverbandes CGT bezieht hingegen nur ein Facharbeitergehalt von 2500 € im Monat. Er spricht einen Tag nach Bsirske in Florenz über den Ausverkauf der öffentlichen Dienste.

    Während in Deutschland fast 30 Prozent der Erwerbstätigen gewerkschaftlich organisiert sind, wird in Frankreich nicht einmal die Zehn-Prozent-Hürde überschritten. Doch Quantität ist nicht gleich Qualität: In Frankreich sind die Gewerkschaftsmitglieder wesentlich streikfreudiger als ihre Kollegen in Deutschland und gehen regelmäßig auch gegen Privatisierungen auf die Straße, zum Beispiel Anfang Oktober gegen den geplanten Verkauf des staatlichen Energieversorgers. Und das, obwohl die französischen Gewerkschaften ihren Mitgliedern nicht einmal Streikgeld zahlen. Auch weitere, wesentliche Unterschiede, meint Hermann Dierkes, Betriebsrat in einem Duisburger Metallbetrieb, werden sich auf das Europäische Sozialforum auswirken.

    Es gibt Länder wie Spanien, Italien, Frankreich, auch Griechenland, da wird die Gewerkschaftsbewegung massiv mobilisieren nach Florenz. In der Bundesrepublik ist das leider noch etwas zurückhaltend, was die DGB-Gewerkschaften da bieten.

    Dierkes arbeitet seit 20 Jahren bei Eisenbahn & Häfen, einer Thyssen-Krupp Tochter, seit zwei Jahren ist er stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Der Mittfünfziger hat sich aktiv an der Vorbereitung zum Europäischen Sozialforum beteiligt. Seit dem Frühjahr haben sich knapp hundert Aktivisten alle sechs Wochen getroffen, um in Deutschland die Werbetrommel für das Europäische Sozialforum zu rühren. Darunter Migranten, Schülerinnen, Franziskanermönche, Arbeiter, Lehrer, junge Anarchisten, Sozialistinnen in und außerhalb der PDS, eine Psychoanalytikerin, Vertreter einiger Gewerkschaftsvorstände, Anthroposophen.

    Beim zweiten Vorbereitungstreffen im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main diskutieren sie bisweilen verbissen-ernst, als ginge es in Florenz um das letzte Gefecht. Doch oft schmunzeln sie auch. Dann zum Beispiel, wenn ein Anthroposoph von seiner Erleuchtung schwärmt und von der positiven Energie auf dem letzten Weltsozialforum in Porto Alegre. Das ist eine Sprache, die Gewerkschafter von ihren Treffen nicht gerade gewohnt sind. Da prallen die Kulturen aufeinander. Auch dann, wenn ein junger Anarchist die Ansicht äußert, nicht nur Parteien sollten am Europäischen Sozialforum nicht teilnehmen dürfen, sondern auch alle anderen großen Organisationen. "Dann würdest Du wohl mit einer handvoll Freunden alleine im Saal sitzen", spötteln die anderen. Ausgeschlossen wird auf den Vorbereitungstreffen niemand, alle schätzen den pluralistischen Ansatz des Sozialforums, der gerade für viele Gewerkschafter eine Herausforderung bedeutet.

    Es ist zunächst mal nicht von Übel, dass verschiedene Ansätze zusammenkommen. Das Entscheidende ist, dass sie sich aufeinander einlassen. Es in der Tat so, dass die Gewerkschaften vielfach auftreten als Organisation von Arbeitsplatzbesitzern, aber es sind ja auch immer mehr nur Arbeitsplatzbesitzer auf Zeit. Wir erleben das ganz konkret im Stahlbereich seit 20 Jahren: Arbeitsplatzabbau ohne Ende, und die Talfahrt ist noch gar nicht zu Ende. Was die Gewerkschaften nun gerade auch in der Bundesrepublik ausbauen müssen, sind die Aktivitäten im Bezug auf die prekär Beschäftigten, auf die Scheinselbstständigen, auf das riesige Potential der Leiharbeiter und auf die Erwerbslosen.

    Gerade das Verhältnis zwischen Erwerbslosen und den Gewerkschaften ist in Deutschland zur Zeit gespannt. Während die Führungsriegen der großen Gewerkschaften den Vorschlägen der Hartz-Kommission zustimmen, sind ihre Erwerbslosenausschüsse, aber auch einige Landesbezirke, nicht damit einverstanden. Auch die unabhängigen Erwerbslosenverbände sind skeptisch.

    Die Kritik richtet sich gegen verschiedene Punkte im Koalitionsvertrag: So will Rot-Grün die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenlegen, einen Niedriglohnsektor einführen und die Zumutbarkeitskriterien erweitern. D.h. ein Erwerbsloser muss künftig unter Umständen auch einen Arbeitsplatz akzeptieren, der den Umzug in eine andere Stadt erfordert. Andernfalls riskiert er, dass das Arbeitsamt oder die geplanten Personal Service Agenturen seine monatlichen Bezüge kürzen oder sogar ganz streichen. Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, unterstützt diese Vorschläge und bezeichnet sie als "gelungenes Gesamtkonzept". Nicht so Erika Biehn, die für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen nach Florenz fährt.

    Die Reichen verdienen immer mehr. Sie bekommen immer mehr dazu. Deshalb sehe ich nicht ein, dass gerade Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger die Zeche bezahlen sollen.

    Etwa so lautete auch der Gründungskonsens des französischen Erwerbslosennetzwerks AC. AC steht für "Agir ensemble contre le Chomage", "Gemeinsam gegen die Erwerbslosigkeit handeln". Die französischen Erwerbslosen gaben entscheidende Anstöße für die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. 1994 gegründet, konzentrierte sich das Netzwerk zunächst auf Frankreich. Zehntausende marschierten aus dem ganzen Land nach Paris, um dort gegen die sinkenden Monatszahlungen für Erwerbslose zu demonstrieren.

    Doch schon bald sahen sie die Grenzen nationaler Aktivitäten. Die Europäische Union rückte ins Zentrum des Interesses: Schließlich sei es die EU, die mit ihren großen wirtschaftspolitischen Leitlinien auch die nationale Beschäftigungspolitik bestimme, so die Aktivisten. Und so trafen sich 1996 erstmals einige hundert Gewerkschafter und Erwerbslose in Florenz und beschlossen die ersten großen Proteste zum Abschlussgipfel der niederländischen Ratspräsidentschaft 1997.

    So tönte es am 14. Juni 1997 in den Straßen von Amsterdam, als die Regierungschefs die Amsterdamer Verträge verabschiedeten. 30.000 Demonstranten waren in die niederländische Metropole gekommen. Schon Wochen zuvor waren viele von ihnen überall in Europa zu den sogenannten "Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit" aufgebrochen.

    Die Marschierer kritisierten die Amsterdamer Verträge: Die Stabilität der neuen Gemeinschaftswährung, des Euro, ginge über alles. Um dieses Ziel zu erreichen wolle man die Haushalte der Mitgliedsstaaten auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme gesund sparen. Doch die Regierungschefs zeigten sich von der Großdemonstration wenig beeindruckt.

    In den darauffolgenden Jahren beteiligten sich immer mehr Gruppen an den Protesten gegen die EU-Gipfel. Zu den größten zählten der Europäische Gewerkschaftsbund und die Confederation Paysanne, der europäische Alternativbauernverband. Im März dieses Jahres schließlich demonstrierte eine halbe Million Menschen in Barcelona gegen einen Europäischen Ministergipfel. Das Rezept der Minister gegen Erwerbslosigkeit: Mehr Jobs für weniger Lohn. Die Forderung der Demonstranten: Arbeitsplätze mit sozialer Absicherung und angemessener Bezahlung. Die Entscheidungsträger der Europäischen Union gingen darauf nicht ein. Der französische Autor Christophe Aguiton, der die neuen Bewegungen seit Mitte der 90er Jahre begleitet, zieht eine vorläufige Bilanz:

    Man könnte den Eindruck haben, dass die Bewegung auf internationaler und europäischer Ebene wenig Einfluss hat. Die offizielle Politik hat sich nicht verändert. Deshalb könnte man diese große Welle der Radikalisierung als nicht effektiv abtun. Aber das wäre ein zu kurzes und ein falsches Verständnis dessen, was tatsächlich passiert. Denn noch 1998 und zu Beginn des Jahres 1999 waren wir in einer Periode, die den Neoliberalismus als Sieger der Geschichte betrachtete. Die Vertreter der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds und auch auf europäischem Level waren absolut von ihrer Politik überzeugt. Für sie war der einzige Weg: Mehr Liberalisierung, Privatisierung der öffentlichen Dienste und die Öffnung der Märkte. Das ist jetzt vorbei.

    Christophe Aguiton ist internationaler Sprecher von attac-Frankreich; er organisiert gemeinsam mit anderen das Europäische Sozialforum in Florenz. Dass die neoliberale Politik in einer tiefen Krise steckt, beweisen seiner Ansicht nach die Schwierigkeiten zahlreicher privater Großunternehmen, die den Wirtschafsexperten einst als Vorbilder galten. Die Bilanzfälschungen des US-Stromriesen Enron, die Krise der Deutschen Telekom oder die tödlichen Unfälle auf den privatisierten britischen Eisenbahnstrecken - das sind nur einige Beispiele, meint Aguiton.

    Wir werden nicht in der Lage sein, in kurzer Zeit ein neues globales System oder eine globale Strategie zu entwerfen. Für mich sind die konkreten Forderungen der Bevölkerung nach wie vor die Schlüsselfragen: bessere Arbeitsbedingungen und gute öffentliche Dienstleistungen für alle. Das sind kleine Dinge. Aber wenn sie der Ausgangspunkt sind, können wir möglicherweise eine neue politische Strategie entwickeln.

    Auf der Versammlung des Europäischen Sozialforums in Florenz soll dafür ein weiterer Grundstein gelegt werden. Das Konferenzzentrum, die Festung da Basso nördlich des Hauptbahnhofs, fasst mehr als 15.000 Besucher. Die Stadt hat das historische Bauwerk zur Verfügung gestellt.

    Der Regierung Berlusconi gefällt das gar nicht. Innenminister Giuseppe Pisanu spricht von mehreren Tausend Gewalttätern, die er zum Europäischen Sozialforum erwartet. Die Berlusconi-freundliche Presse fürchtet sogar um das kulturelle Erbe der Stadt Florenz. Die Sprecher des Europäischen Sozialforums weisen all das als Panikmache zurück. Sie befürchten vielmehr, dass die Regierung Berlusconi die Gründung des Sozialforums behindern will.