Archiv


Gipfeltreffen der anderen Art

Bis zu 1,4 Milliarden Euro kann die Europäische Union als Bußgeld gegen Deutschland verhängen, falls die Bundesländer nicht schnellstens weitere Naturschutzgebiete nach Brüssel melden. Deutschland ist einer der großen Trödler. Über dieses Thema wurde jetzt auf den Naturschutztagen in Radolfzell am Bodensee gestritten, einem viertägigen Traditionstreffen unter den Landesverbänden von NABU und BUND.

Von Ludger Fittkau |
    "Und meine Bitte ist: Wer sagt, die Kernkraft muss weg, der muss gemeinsam an die Fronten, die bestehen. An die Front der Energie Baden-Württemberg, die Leitungen bauen will, die Kohle importieren will und die mit Sicherheit im nächsten Jahr einen Bauantrag für Kohlekraftwerke in Heilbronn und Karlsruhe stellen wird."

    Um den Import von Atomstrom aus Frankreich durch den Energiekonzern EnBW sowie neue Kohle- oder Gaskraftwerke im Südwesten zu verhindern, will Günter Oettinger die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. Doch diese Position des baden-württembergischen Ministerpräsidenten fand bei den Teilnehmern der Umweltschutztage erwartungsgemäß wenig Verständnis. Die baden-württembergische BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender sprach aus, was die meisten am Wochenende in Radolfzell dachten:

    "Unsere klare Botschaft an Sie von dieser Tagung hier, Herr Ministerpräsident, ist folgende: Die Nutzung der Atomenergie ist kein Beitrag zum Klimaschutz, die Nutzung der Atomenergie verhindert die Entwicklung der Erneuerbaren Energien und den Umbau unseres Energiesystems."

    Schilder mit der Aufschrift "FFH statt AKW" wurden während der Rede des CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg im Saal hochgehalten. Sie sollten daran erinnern, dass die Stuttgarter Landesregierung aus Sicht der Naturschützer noch weit davon entfernt ist, die Vorgaben der EU-Richtlinie "Flora- Fauna-Habitat" umzusetzen und die Naturschutzgebiete im Südwesten auszubauen:

    "Wir haben ausgerechnet, dass, wenn das Tempo der Umsetzung der FFH-Richtlinie so weitergeht, dann werden in circa 70 Jahren für alle FFH-Gebiete Entwicklungspläne vorliegen. Wer weiß, ob es diese FFH-Gebiete dann überhaupt noch gibt und wann, so fragen wir, beginnt die Umsetzung der Pläne in die Praxis, mit welchen Geldern und mit welchem Personal?"

    Die Verschuldung des Landes lasse keinen Spielraum mehr offen für zusätzliche Ausgaben im Naturschutz, so Oettingers Botschaft in Radolfzell.

    "Ich nehme Ihre Kritik, es gäbe zu wenig Mittel auf und ernst und bitte glauben Sie mir: Liebend gern würde ich einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen, damit in der Umsetzung von FFH-Gebieten sehr rasch Ihre Forderungen erfüllbar sind. Aber klar ist und dies sage ich nicht als Kritik zurück, dies sage ich als Selbstkritik: Wir leben in unserer Generation über unsere Verhältnisse."

    Einig sind sich die Umweltverbände und die Regierenden im Südwesten jedoch beim Ziel, das Gelände des alten Truppenübungsplatzes Münsingen auf der Schwäbischen Alb zum ersten Biosphärenreservat Baden-Württembergs zu machen. Bei großen Naturreservaten gäbe es zwischen Donau und Rhein enormen Nachholbedarf, räumte der baden-württembergische Ministerpräsident ein. Für diese Einsicht erhielt der in Radolfzell viel Lob. So vom 19-jährigen Thomas Bär aus Ludwigsburg:

    "Ich denke, es ist auch ganz wichtig für Baden-Württemberg, da wir jetzt hier zum Beispiel keine Nationalparks haben oder so was und da ist es dann schon gut, wenn man da so ein großes Schutzgebiet noch mitten drin hat."

    Unterstützung also von BUND und NABU für Baden-Württembergs Pläne in Sachen Biosphären-Reservat Schwäbische Alb, Kritik aber wegen fehlender Möglichkeiten, durch lokale Bürgerbegehren und Volksentscheide Einfluss auf Bebauungspläne und Flächenversiegelung zu nehmen. An einem Stand bei den Naturschutztagen sammelte Umweltschützer Hans Resch aus Stockach am Bodensee Unterschriften für einen Gesetzentwurf zu Bürgerentscheiden, der für mehr Demokratie in den Gemeinden und Landkreisen Baden-Württembergs sorgen soll:

    "Weil wir im Moment eher ein Bürgerbegehrens-Verhinderungsgesetz haben als eine Erleichterung. Man soll einfach dem Bürger entgegenkommen. Wir sind mündige Bürger, mit uns muss man reden und nicht einfach von oben bestimmen."