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Gläserne Studenten

Wer in den letzten Wochen aufmerksam durch die Straßen ging, hat vielleicht ein hellbraunes Großplakat entdeckt. "Kein Fragebogen wie jeder andere" steht groß geschrieben und meint die neue Umfrage zur 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes.

    ''Wie leben Studierende heute?'' und ''Was lässt sich verbessern?'' das sind die Fragen, die das Deutsche Studentenwerk, der Dachverband der regionalen Studentenwerke, untersucht. Seit 1952 werden die Sozialerhebungen in regelmäßigen Abständen organisiert. Die mit 600.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Studie gibt Auskunft über das Studium im allgemeinen, über die Wohnsituation, die finanziellen Verhältnisse und die Zufriedenheit mit der Verpflegung in den Mensen. 70.000 Fragebögen wurden im Mai dieses Jahres nach dem Zufallsprinzip an Studierende in Deutschland verschickt. Ab Ende Juni erwartet die Hochschul-Informations-System GmbH in Hannover, welches die Umfrage im Auftrag des Deutschen Studentenwerkes durchführt, den Rücklauf der ausgefüllten Fragebögen.

    Gegenüber den vorjährigen Sozialerhebungen gibt es in diesem Jahr auffällige Veränderungen. Der aktuelle Fragebogen glänzt in neuem Design und wurde vollständig überarbeitet. Erstmals gibt es für die ausländischen Studierenden einen extra Fragebogen in Deutsch und Englisch. Andrea Hoops, stellvertretende Generalsekretärin des Deutschen Studentenwerkes, sieht in der fehlenden Motivation der Studierenden den Grund für die Neuerungen.

    Wir haben versucht, diesen Fragebogen etwas attraktiver zu gestalten. Also es gibt ein neues Layout, es ist hoffentlich alles viel ansprechender, übersichtlicher, ... es ist auch von der Methodik etwas einfacher gemacht, also wir haben versucht, die sogenannten Killerfragen da raus zu nehmen, also wo ein ... Studierender sich fragt, was soll ich denn jetzt mit dieser Frage. ... Also wir hoffen, dass das jetzt alles viel ansprechender geworden ist und die Studierenden auch deswegen sich die Zeit nehmen, diesen Fragebogen tatsächlich auszufüllen.

    Von den 77 Fragen früher, die die Studenten freiwillig beantworten sollten, bleiben jetzt noch 48 übrig. Manche Fragen, wie beispielsweise nach dem Einkommen der Eltern oder nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sind ganz entfallen. Andererseits vermisst Reiner Wilkes, Student der Germanistik in Berlin, auch wichtige Fragen.

    Ausgaben, weiß ich nicht für ein Buch, was man vielleicht auch zur eigenen Freude liest, oder Kino, oder Theater, oder Ausgehen kommt überhaupt nicht vor. ... Da hatte ich das Gefühl, dass ein relativ asketisches Bild von den Studenten gezeichnet wird. Nur Ernährung, Kleidung und Lernmittel, was eigentlich nicht so stimmt. Wobei ich auch bei mir sagen muss, dass ein größerer Teil der Sachen meines Geldes für andere Sachen, wie Ausgehen, Kino, Theater draufgeht. Und das wurde da nicht mal berücksichtigt, also ich würde sagen, ein Viertel meiner Ausgaben konnte ich gar nicht anführen bei der Umfrage.

    Auch Michaela Christ aus Bonn, Studentin der Volkswirtschaftslehre, hat einen der Fragebögen erhalten und kritisiert:

    Was nicht ausreichend angesprochen wird ist die Situation allein erziehender Mütter. Da wird zum Beispiel gefragt, ob man Kinder hat, wie viel Kinder man hat, wo die leben, wie die betreut werden, aber wie die Betreuung an den Universitäten selber aussieht, was man da verbessern könnte - wird nicht angesprochen.

    Doch was weiß der Student schon von dem Sinn und Zweck der Befragung? Um die Bedeutung verständlicher zu machen, wurden diesmal eigens Faltblätter veröffentlicht. Einfache Diagramme informieren hier über die wichtigsten Ergebnisse der vorherigen Sozialerhebung. Aber was macht das Deutsche Studentenwerk mit den Angaben, wozu werden diese verwendet? Für Dieter Schäferbarthold, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes, hat die Studie einen Nutzen für alle, ...

    ...die Bildungspolitik gestalten in Deutschland. ... Ich glaube, dass die Studienfinanzierung, ob es damals das Hannover Modell war zwischen 58 und 1970 oder dann das Bafög wäre ohne die Grunddaten der Sozialerhebung wohl nicht zustande gekommen. Also, wir haben diese Daten, die wir erheben, ja nicht in der amtlichen Statistik. Wir müssen einfach feststellen, wie ist der Hochschulzugang, aus welchen Familien rekrutieren sich die Studierenden. Und wenn wir jetzt die große Diskussion haben, wie können wir qualifiziertere Leute in Deutschland selber auch für die Wirtschaft gewinnen, dann müssen wir auch zunächst wissen, wo gibt es Reserven, dass können wir nur durch solche Erhebungen wie wir sie haben, herausfinden.

    Ein neuer Schwerpunkt ist die Internationalisierung, nicht ohne Grund. Im Wettbewerb um international attraktive Studienstandorte stecken die deutschen Hochschulen und die Studentenwerke in einer Zwickmühle. Sie müssen sich um ihre Klientel, die Studentenschaft und insbesondere um die ausländischen Studierenden, mehr bemühen. Es reiche nicht aus, so Andrea Hoops vom Deutschen Studentenwerk, nur viel Geld in die Werbung für deutsche Hochschulen zu stecken.

    ... sondern es geht auch um diese ganz praktischen Fragen, ein ausländischer Studieninteressierter entscheidet sich für das Studienland Deutschland nicht nur deswegen, weil es sich lohnt, hier zu studieren, sondern auch weil es Spaß macht, hier zu studieren. Also der Ruf des Studienlandes ist ganz wichtig und wird ganz entscheidend davon geprägt, was die Studierenden selber an Erfahrungen mit in ihre Heimatländer zurücknehmen. Und dadurch sind diese sozialen Fragen, also wie habe ich mich gefühlt, bin ich sozial integriert worden, habe ich Zugang gefunden zu Kommilitonen, zu den Deutschen, bin ich tatsächlich als Mitglied dieser Community aufgenommen worden, das sind ganz entscheidende Fragen und das ist für das Marketing langfristig eine ganz entscheidende Frage.

    Eine entscheidende Frage stellt sich auch für die aktuelle Sozialerhebung selbst- und zwar die Überlebensfrage. Bei der letzten Studie im Jahr 2000 lag die Rücklaufquote bei etwas über einem Viertel, nicht viel für eine Umfrage mit wissenschaftlichem Anspruch. Gelingt es mit den neuen Fragebögen nicht, den Rücklauf in diesem Jahr erheblich zu steigern, könnte dies das Aus für die längste Sozialstudie unter den deutschen Studierenden bedeuten.

    Links zum Thema:

    Deutsches Studentenwerk