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Gläserne Triebwerke

Technik. - Seit zehn Tagen läuft der Flugverkehr über Europa wieder. Um die Flugverbote hatte sich in Deutschland eine Kontroverse zwischen Luftlinien und Aufsichtsbehörden entwickelt. Jetzt wollen Experten klären, wann künftig Alarm gegeben werden muss.

Von Hellmuth Nordwig | 30.04.2010
    Zwei Effekte machen Triebwerken in einer Aschewolke zu schaffen. Zum einen ist es der eines Sandstrahlers: Die Schaufeln in den Turbinen werden nach und nach abgeschliffen. Das passiert auch, wenn ein Flugzeug durch Wüstensand fliegt, der selbst in großen Höhen gelegentlich anzutreffen ist. Doch Ascheteilchen sind gefährlicher, sagt Dr. Erich Steinhardt, Leiter der Technologieabteilung beim Münchner Turbinenhersteller MTU:

    "Vielleicht noch etwas aggressiver, weil sie scharfkantiger sind. Sie sind noch nicht abgerundet. Der zweite Effekt ist, dass diese Aschepartikel große Silikatanteile enthalten. Diese schmelzen bei relativ niedriger Temperatur, bei 1100 Grad Celsius, in der Brennkammer, wo die ganze Luft durchströmt, auch mit diesen Partikeln. Die schmelzen also und schlagen sich auf der Turbinenbeschaufelung nieder."

    Aus Silikat wird dabei eine feste Glasschicht, so ähnlich wie wenn Regen auf der Straße gefriert. Turbinenschaufeln haben Löcher, durch die kühlende Luft strömt. Wenn diese Kühlluft-Bohrungen durch den Glasfilm verstopft werden, kann es kritisch werden – die Turbine wird zu heiß und fällt im Extremfall aus. Das ist die eine Gefahr. Steinhardt:

    "Der eigentlich kritische Effekt ist die Tatsache, dass durch das Auftragen dieses Films sich die Querschnitte in der Turbine verringern. Dadurch muss der Verdichter mehr Druck erzeugen. Und nachdem er möglicherweise auch durch Erosion geschädigt ist, kann er das nicht im nötigen Ausmaß. Und damit kommt es zum so genannten Verdichterpumpen: Die Luft strömt aus dem Triebwerk in der falschen Richtung wieder aus. Das kann dazu führen, dass die Flammen in der Brennkammer ausgehen. Und dann fehlt natürlich der Schub."

    So erklärt der Ingenieur, warum Turbinen in einer Aschewolke sozusagen die Luft ausgehen kann. Es fehlt also nicht an Sauerstoff zur Verbrennung, sondern er wird in den verglasten Turbinen nicht rasch genug nachgeliefert. Kleine Ascheteilchen sind da übrigens gefährlicher als große, weil sie schneller schmelzen – es ist also durchaus richtig, auch in größerer Entfernung zum Vulkan die so genannte Aschewolke zu meiden. Eigentlich handelt es sich ja eher um einen Dunstschleier aus winzigen Teilchen, die nur Bruchteile einer Haaresbreite messen. Sind davon mehr als zwei Milligramm pro Kubikmeter Luft enthalten, soll zukünftig Schluss mit Fliegen sein – so der Plan der britischen Luftfahrtbehörde. Steinhardt:

    "Die Festlegung dieses Wertes ist ein pragmatisches Vorgehen, das man abgeleitet hat aus bekannten Schadensfällen und der Tatsache, dass man in größeren Verdünnungen lange Erfahrungen gesammelt hat. Zudem gibt es am 'pacific rim' viele Fluglinien, dort gibt es ähnliche Vulkane. Und da liegen gewisse Erfahrungen vor."

    Vor allem aus dem Fernen Osten Russlands und aus Japan. Schäden sind bisher erst bei Aschemengen bekannt geworden, die tausendfach höher liegen als der jetzt vorgeschlagene Grenzwert. Dennoch sind noch viele Fragen offen. Weshalb am Donnerstag dieser Woche eine Expertenkommission bei der MTU zusammenkam, um unter der Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt die wichtigsten Forschungsaufgaben zu definieren.

    "Das eine ist die Entwicklung einer Sensorik, so dass man frühzeitig feststellen kann, ob und wie viele Partikel mit welcher Konzentration ins Triebwerk gelangt sind. Ein weiterer Vorschlag war auch, die Erfahrungsbasis mit sehr geringen Aschekonzentrationen zu verbreitern."

    Außerdem sollen neue Möglichkeiten entwickelt werden, um die Triebwerke während des Fluges noch genauer als bisher zu überwachen. Das Ziel: Flugverbote sollen zukünftig nach einem Vulkanausbruch nur verhängt werden, wenn sie technisch begründet sind.