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Glanz vergangener Zeiten

Erst zehn Jahre ist es her, dass Jan Ullrich die Tour de France gewann. Doch nach den Dopingenthüllungen der vergangenen Monate erscheint dieser Erfolg bereits heute so blass, als sei er eine Ewigkeit her. Die Zahl derer, die Ullrich trotz aller Indizien, die ihn als Doper entlarven, immer noch als Idol verehren, nimmt ab.

Von Thomas Jädicke | 27.07.2007
    "Ah, es ist schon viele, viele Jahre her. Also, schon als Kind habe ich die Tour de France im Fernsehen verfolgt. Und das waren immer großartige Leistungen. Ich habe damals immer schon Gänsehaut bekommen, wenn Greg Lemond und Fignon sich gegenseitig attackiert haben. Und jetzt stehe ich hier selber als Sieger auf dem Siegerpodest – also, es ist unglaublich."

    Nicht nur für Jan Ullrich erfüllt sich am 27. Juli 1997 ein großer Traum. Auch wenn nach den Dopinggeständnissen der letzten Zeit vielleicht heute weniger Menschen dazu stehen: Im Sommer vor zehn Jahren war fast das ganze Land im Radsportfieber. Mit Jan Ullrich, diesem ungewöhnlich talentierten Sportler, gewann zum ersten Mal in der langen Geschichte der Tour de France ein Deutscher das Rennen.

    Die Vorentscheidung fällt – wie üblich – in den Bergen. Auf dem Schlussanstieg zum Etappenziel nach Andorra-Arcalis in den Pyrenäen lässt der 23-jährige Rostocker auch den Bergspezialisten keine Chance. 19 Jahre nach Klaus-Peter Thaler fährt wieder ein Deutscher im legendären Gelben Trikot.

    "Die ganze Etappe war sehr, sehr hart. Ich habe mich ausgekämpft bis aufs Letzte. Für heute ist alles 'tutti paletti'. Und jetzt warte ich erstmal auf die nächsten Tage. Also es kommen noch sehr, sehr viele harte Etappen."

    Beeindruckt von der Stärke des jungen Deutschen, der im Leistungssportsystem der DDR zu einem nahezu perfekten Rennfahrer geformt worden war, stellt die Telekommannschaft ihre Taktik um. Kapitän und Vorjahressieger Bjarne Riis, diesmal nicht so gut in Form, muss jetzt für den Newcomer fahren. Es geht um den Gesamtsieg. Nach 4000 Kilometern liegt Jan Ullrich in Paris im Gesamtklassement neun Minuten und neun Sekunden vor dem Zweitplatzierten Richard Virenque, kassiert rund 700.000 D-Mark, unterzeichnet drei millionenschwere Werbeverträge und streicht von der Telekom zusätzlich ein Jahresgehalt von etwa 2Millionen Mark ein.

    "Und nun, meine Damen und Herren, nun holen wir sie nach oben die 26 Stufen der Rathaustreppe – die letzte Bergwertung! Zum dritten Mal empfangen wir die Tour-Helden hier in Bonn."

    "Eigentlich traurig, dass diese große, sportliche Karriere so endet. Dass Jan Ullrich große Verdienste um den Radsport in Deutschland und große Erfolge gefeiert hat, das ist völlig unbestritten."

    Der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, Rudolf Scharping, gibt sich überrascht, als Jan Ullrich im Februar 2007, zehn Jahre nach seinem Toursieg, als Profi zurücktritt.

    In der Affäre um das Doping-Netzwerk des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes ist klar geworden, was bisher viele geahnt, manche gewusst, aber nur wenige offen ausgesprochen haben: Im Profisport und besonders im Radsport wird seit Jahrzehnten systematisch mit verbotenen, leistungssteigernden Mitteln betrogen. Sportfunktionäre, Politiker, Journalisten und Sponsoren tun entsetzt, fordern Konsequenzen, neue Gesetze sollen her.

    Scharping: "Genauso ist richtig, dass die Gefahren für den Radsport in den letzten Monaten ebenfalls sehr viel mit dem Namen Jan Ullrich zu tun haben."

    Jan Ullrich ist Teil des korrupten Profisystems. Die dort gültigen Regeln sind für ihn Gesetz. Doch auch innerhalb dieses Systems gelingt es ihm nach 1997 nicht mehr, bei der Tour, die er insgesamt vier Mal als Zweiter beendet, noch einmal zu gewinnen. Sein Dauerrivale, der Texaner Lance Armstrong, ist übermächtig. Immer wieder leidet Ullrich in den kommenden Jahren unter gesundheitlichen Problemen, trainiert im Winter nicht hart genug und hat im Frühjahr mit Übergewicht zu kämpfen. Erste Dopingvorwürfe werden laut. Verbotene Kortikoide werden von den Teamärzten mit einer chronischen Asthmaerkrankung ihres Schützlings gerechtfertigt. 2002 wird Ullrich positiv auf ein verbotenes Amphetamin getestet. Eine Ecstasy-Pille in einer Diskothek sei schuld gewesen, erklärt Ullrich einer immer noch weitgehend gutgläubigen Öffentlichkeit.

    "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe in meiner ganzen Karriere keinen betrogen und auch keinen geschädigt. Und das ist ganz groß."

    Im vergangenen Jahr wird Jan Ullrich noch einmal als Mitfavorit auf den Gesamtsieg bei der Tour de France gehandelt. Doch der 32-jährige kann den Kampf um das Gelbe Trikot nicht mehr aufnehmen. Einen Tag vor dem Start wird er von seinem Rennstall, dem Bonner T-Mobile-Team, suspendiert. Die spanische Polizei hatte eine Liste mit den Namen potenzieller Kunden des Madrider Doping-Doktors gefunden. Unter den insgesamt 58 Verdächtigen Radprofis befindet sich auch der hochtalentierte deutsche Rennfahrer Jan Ullrich. Zudem stellen die Ermittler in Fuentes' Praxis Blutkonserven sicher, die zweifelsfrei vom einzigen deutschen Toursieger stammen.