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Glanzpunkt der iranischen Kulturszene

Das Zelt als Schutz vor den Blicken anderer, als vertraute Umgebung, als Heimat im Ungewissen, so hätten die iranischen Kontrolleure die Choreografie von Helena Waldmann gern gedeutet.

Von Susanne Lettenbauer | 25.01.2005
    Keine Spur von Eingrenzung, Unterdrückung oder gar Willkür unterm Tschador, dem zeltähnlichen schwarzen Schleier persischer Frauen.
    Stattdessen ein sinnfreier neuer Titel: Occupied territory, Besetztes Gebiet.
    Nicht Letters from Tentland oder die ursprüngliche Hannoveraner Fassung - Letters from Teheran. Die ursprüngliche Idee, Briefe aus der iranischen Hauptstadt auf der Bühne darzustellen, Berichte aus dem Alltag der Frauen, verschwand damit völlig aus dem Programm. Was blieb, war die Umdeutung der Choreografie zugunsten der islamistischen Doktrin - ein Vorgehen, das bei etlichen Aufführungen der ersten Tage offensichtlich wurde. Denn ein Eklat wie bei einer kurz zuvor unerhört freizügig aufgeführten armenischen Tanzperformance im Süden des Iran, durfte sich nicht wiederholen.

    Die zwei Aufführungen der deutsch-iranischen Koproduktion von Helena Waldmann litten merklich unter den kurzfristigen Zensurauflagen. Doch ein Grossteil des Publikums verstand die Andeutungen, war beeindruckt von den tanzenden Zelten, die Kritiker sprachen zurückhaltend von "Theatersport".

    Das Lesen zwischen den Zeilen, das Deuten kleinster Brüche auf der Bühne ist die spannendste Aufgabe während des iranischen Fadjr-Festivals. Grenzen auszuloten, traditionelle Inhalte neu zu verpacken – das wird in den 10 Tagen vom 20. bis 29. Januar versucht. Auffallend etwa ist, dass Shakespeare gleich mehrfach vertreten ist, der "Mittsommernachtsttraum" z.B. von zwei verschiedenen iranischen Companys unter Saeed Behnam und Alighnagi Asaghi. Die Klassiker der Theaterliteratur geraten dabei jedoch leicht zu Marionetten politischer Manifeste: Büchners Woyzeck, Samuel Becketts Warten auf Godot, Max Frischs Santacruze und Arthur Millers View over the Bridge. Die Hamlet-Arbeit des kuwaitischen Regisseurs Sulayman Al Bassam erregte etliches Aufsehen:

    In Edinburgh 2002 noch Sieger des Fringe-Festivals, wirkten Hamlets Vergeltungsphantasien in Teheran anbiedernd, antiamerikanisch auf Kosten der konturlosen Charaktere. Drohworte gegenüber den UN, Allmachtsphantasien des bewaffneten rasenden Dänen – auch hier eine Umdeutung der eigentlich ironischen Aussage der Inszenierung. Das Publikum stimmte mit den Füßen ab und ging. Die King Lear-Fassung des Iraners Saeed Aghai überraschte hingegen mit charakterschwachen Männerfiguren inmitten starker Frauenpersönlichkeiten. Leider hat Festivalleiter Khorsow Neshan, seit 8 Monaten im Amt, den früher üblichen Wettbewerb voll Stolz gestrichen – der Reiz des Festivals liegt jetzt vor allem im Networking, in der Präsentation iranischer Produktionen vor Programmchefs westlicher Festivals. Dazu passt auch der in diesem Jahr forcierte, weil modern-westlich daherkommende, zumeist deplacierte Einsatz von Videoclips in zahlreichen iranischen Produktionen.

    Ein Hauptaugenmerk des jungen Publikums – 70 Prozent der Iraner sind unter 30! - gilt natürlich den ausländischen Produktionen, die in diesem Jahr aus Japan, Schottland, Palästina, Kuwait und Polen kommen. Trotz der vollmundigen Ankündigung der Festivalleitung, auf dem diesjährigen Festival unter dem Motto "Theater für alle" den heimischen Produktionen mehr Platz einzuräumen als in den vergangenen Jahren.

    Der iranische Choreograf Moshen Hosseini zeigt z.B. seine Sheherazade und ihre sieben Geschichten. Aufgrund seiner langjährigen Arbeit an deutschen Bühnen u.a. für William Forsythe empfindet er das diesjährige Fadjr-Festival als eines der schlechtesten:

    Das Theater im Iran basiert auf konzentrierter Sprache - ein potentielles Handicap für ausländische Zuhörer. Doch der notorische Geldmangel iranischer Theatergruppen zaubert trotz allem Inszenierungen hervor, die ohne Bühnenbild auskommen, ohne Requisiten. Was in Europa oft überdeutlich präsentiert wird, übernimmt eine komplexe Körpersprache. Nicht von ungefähr gehört deshalb eine ausländische, die zweite deutsche Produktion, zum Top-Favoriten der Festivalhalbzeit: Vor 2 Jahren bereits mit Tankred Dorsts Parzival im Iran, sind die Schauspieler und Puppen des Freiburger Theaters am Marienbad wieder in Teheran. Der Andrang an den Kassen, das Mitfiebern des Publikums mit Michel Tourniers Pero oder die Geheimnisse der Nacht im Commedia dell arte-Stil überraschte selbst die Freiburger. Das Fadjr-Festival, das noch immer unter die zahlreichen Events zum Jahrestag des Sieges der Revolution von 1979 veranstaltet wird, soll eben vor allem der Unterhaltung dienen.

    Dass man von Seiten des Dramatic Arts Centres als Veranstalter an Behördenauflagen gebunden, nimmt dem Festival einen Grossteil seiner progressiven Ideen. Denn für die iranische Kulturszene und deren jährlichen Höhepunkt, das Fadjr-Festival, gibt es kein Raster auf das man sich einstellen kann, um nicht hindurchzufallen. Und wenn der diesjährige Leiter Khorsow Neshan ziemlich genau weiss, dass er nach den Präsidentschaftswahlen im Juni ebenso seine Posten verliert wie sein Vorgänger im vergangenen Frühjahr, dann trügt auch nicht der Eindruck vom Fadjr-Festival. Man ist froh, wenn es überhaupt über die 18 Bühnen geht.