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Glaube
"Hölle? Nicht das zentrale Ding"

Björn Bicker hat für sein Theaterstück "Urban Prayers" mit Gläubigen verschiedener Religionsgemeinschaft gesprochen. Von einem Ort ewiger Verdammnis sprachen sie nur, wenn er gezielt danach fragte. Ist die Hölle etwa abgeschafft? Nein, sie ist nur ins Diesseits gewandert, sagt der Künstler.

09.08.2016
    Der deutsche Autor Björn Bicker.
    Der deutsche Autor Björn Bicker (Stephanie Füssenich)
    Susanne Fritz: Herr Bicker, Ihr Theaterstück "Urban Prayers" ist unter dem Titel "Was glaubt ihr denn?" als Buch erschienen. Darin sprechen Gläubige der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Es kommt eine vieilstimmige Religiosität zum Ausdruck, aber es kommen auch diejenigen zu Wort, die eben nicht glauben. Sie haben für das Buch und das Theaterstück intensiv recherchiert. Spielt die Hölle im Glauben der Menschen heute noch eine Rolle?
    Björn Bicker: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt in nahezu allen Religionen eine Vorstellung davon, was eine Hölle sein kann und das begegnet einem dann auch. Je mehr man an die fundamentalistischen Ränder der Religionen kommt, seien es christliche Gemeinschaften, seien es muslimische Gemeinschaften, umso mehr spielt eine Vorstellung von Hölle eine Rolle, weil man den Eindruck hat, dass es da immer auch um so eine Art Disziplinierungsystem geht, was dann auf der Erde sozusagen wirksam werden soll.
    Fritz: Welche Vorstellungen haben Sie da angetroffen?
    Bicker: Das geht los mit ganz naiven christlichen Vorstellungen von ‚Es gibt eine Hölle, in der die Menschen gebraten werden und bestraft werden für ihre Verfehlungen‘. Bei muslimischen Gläubigen gibt es die Vorstellungen davon, dass es eine andere Welt gibt als das Paradies, auch eine andere Welt als unsere irdische Welt und zwar eine Welt der Bestrafung. Und dann ist interessant dass die Hölle aber auch als Metapher benutzt wird für einen irdischen Zustand, also für das, was man auf der Erde erleben kann an Greuel, an Krieg, an Gottesferne und all diese Dinge.
    Fritz: Darauf möchte ich gerne später noch eingehen. Jetzt würde mich vor allen Dingen interessieren: Wenn man mal einen Blick in die Geschichte wirft - die Hölle kommt ja zu allen Zeiten und in vielen Religionen vor; in der griechischen Mythologie sogar als Tartaros, in anderen antiken Religionen als Reich der Finsternis, im Christentum als Ort der ewigen Verdammnis, im Islam, Sie haben ihn gerade schon erwähnt - was haben all diese Höllenbilder gemeinsam?
    Bicker: Tatsächlich das Bild des Feuers, was immer wieder überall vorkommt. Aber und das find ich am wichtigsten, eigentlich, mir scheint doch die Gemeinsamkeit zu sein, dass Bilder von Hölle benutzt werden, um Leute auf die Spur zu bringen, um Leute einzuschüchtern, zu warnen, um ihnen ein Bild davon zu geben, was passiert, wenn man sich im irdischen Leben nicht recht benimmt sozusagen. Ich habe wirklich viele Gläubige vieler verschiedener Religionen getroffen und ich habe mit den Menschen sehr viel über ihr Verhältnis zu dieser Welt zu dieser Gesellschaft, zu ihrem Leben hier auf dieser Erde gesprochen. Was ist wirklich interessant fand bei meiner Recherche: Das Reden über die Hölle kommt erst auf Nachfrage. Das ist nicht das zentrale Ding, womit die Leute beschäftigt sind, sondern viel mehr: Wie kommen sie hier auf Erden zurecht und aber auch Klagen darüber, dass die Hölle eigentlich auf Erden schon stattfindet. Das hat natürlich damit zu tun, dass ich viele Religionsgemeinschaften getroffen habe, die hier sind, weil sie durch Migration, durch Globalisierung ihre Gemeinden hier bei uns gegründet haben und oft zum Beispiel Leute dabei sind die ganz konkret aus Gebieten kommen, in denen Krieg herrscht. Wenn jemand, mal ganz zugespitzt formuliert, aus Aleppo stammt und über die Hölle spricht, dann spricht er über das, was dort den Menschen geschieht und nicht darüber, was vielleicht nach seinem Tod geschieht.
    Fritz: Sie selber sind in einer evangelischen Familie aufgewachsen, was ist Ihnen denn über die Hölle erzählt worden?
    Bicker: Mir ist gar nichts über die Hölle erzählt worden, weil in meiner religiösen Sozialisation eine Kategorie wie Hölle keine Rolle gespielt hat. Bei uns wurde eher in so einer klassisch protestantischen Tradition über Vergebung gesprochen, über Gnade, über Erlösung. Das ist ja etwas sehr Protestantisches und was sehr Befreiendes, also insofern sind mir persönlich immer Vorstellungen von Hölle und von Fegefeuer und Bestrafung und solche Dinge immer sehr fremd.
    Fritz: In der katholischen Theologie ist die Hölle der Ort der ewigen Verdammnis. Wer schmort denn in der Hölle?
    Bicker: Wenn es die Hölle gibt, dann wahrscheinlich doch die, die sich hier auf Erden nicht richtig benehmen, oder? Also diejenigen, die Gottes Gebote nicht befolgen, die Verbrecher sind, die töten. Das wird doch wohl der Fall sein. Diejenigen, die immer gut sind und nach den Vorstellungen der Mächtigen leben, die werden dann sicher in dieser Hölle nicht braten. Das ist interessant, Sie merken ja auch an meiner Antwort, das provoziert natürlich sofort den kritischen Geist eines aufgeklärten Menschen, weil man dahinter sofort dieses Machtinstrument spürt, weil hinter einer Vorstellung von Hölle immer derjenige steckt, der dieses Bild entwirft und der damit Politik macht und zwar hier auf dieser Erde. In allen Religionen, sowohl im Islam als auch in christlichen Religionen und auch in anderen, habe ich die Vorstellung getroffen zu sagen: "Gottes Weisheit ist viel größer als unsere menschliche Vorstellung. Was weiß ich denn, ob es so eine Hölle gibt, wie die aussieht, mein Gott, das sind alles Bilder von Menschen geschaffen". Das finde ich ist eigentlich eine sehr kluge Haltung auch religiöser Menschen solchen Vorstellungen gegenüber.
    Fritz: Die Hölle ist auch in der westlichen Welt nach der Aufklärung als Folterort mit Teufel aus der Mode gekommen. Sie wurde als Machtinstrument kritisiert, Höllenvorstellungen dienen dazu den Menschen Angst einzujagen und die Gläubigen zu unterwerfen. Aber kann denn eine Religion überhaupt auf die Hölle, den Teufel und die ewige strafe verzichten? Braucht das Gute nicht das Böse als Gegenstück?
    Bicker: Ja, das Böse erleben die Menschen tagtäglich. Das Böse kann man ja in seinem Alltag erleben, das kann man, wenn man die Nachrichten anschaltet, erleben und wenn ich Bilder aus Aleppo sehe oder mit Menschen spreche, die aus Syrien beispielsweise aus Kriegsgebieten geflohen sind, dann braucht man kein künstliches Bild von Hölle mehr.
    Fritz: Und was ist mit Strafe für das schlechte Handeln?
    Bicker: Ich habe bei sehr vielen religiösen Menschen eine insofern sehr vernünftige Haltung erlebt, als die einfach sagen: "Für die Strafe ist das Gericht zuständig und zwar erstmal das weltliche Gericht und die Strafe, die Gott vielleicht ausspricht das ist eben Gottes Sache."
    Fritz: Wenn Sie davon sprechen, dass es moderne Vorstellungen von Hölle gibt, im Sinne von Krieg und Unheil schon hier auf der Erde, gibt es dieses Bild von religiösen Menschen: Wir steuern auf einen Abgrund zu?
    Bicker: Ja, das gibt es in verschiedenen Religionen. Das hab ich zum Beispiel bei bestimmten christlichen Gemeinschaften erlebt, also dass da Unzucht getrieben wird, dass man nicht mehr nach den Geboten Gottes lebt, dass sowieso die säkulare Gesellschaft eine gottlose Gesellschaft ist und dass die natürlich auf den Abgrund zusteuert. Man muss dagegen steuern oder man muss zu den Auserwählten gehören, die ein richtiges gottesfürchtiges Leben leben. Die werden dann vielleicht verschont, wenn es so weit ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Björn Bicker: "Was glaubt ihr denn? Urban Prayers", Antje Kunstmann Verlag 2016, 232 Seiten, 24,95 Euro