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Glaube in der Politik
Religion spielt eine wichtige Rolle im Parteien-Wettbewerb

Politiker müssten im Gegensatz zum Staat nicht religionsneutral sein, sagte die Politologin Dorothée de Nève im Dlf. Dass der Glaube eine wichtige Rolle spiele, sei auch bei den drei Spitzenkandidaten für den CDU-Vorsitz zu beobachten. Bei den Themen Wirtschaft und Migration ließen diese jedoch das "C" vermissen.

Dorothée de Nève im Gespräch mit Christiane Florin | 03.12.2018
    Die drei Kandidaten für den CDU-Bundesvorsitz, Friedrich Merz (CDU, links), früherer Unions-Fraktionschef, Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Generalsekretärin, und Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, bekommen bei der CDU-Regionalkonferenz Berlin/Brandenburg Bären als Geschenk.
    Die drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
    Christiane Florin: Ende der Woche trifft sich die CDU zum Parteitag in Hamburg. Am Freitag um 8.30 Uhr stimmt ein ökumenischer Gottesdienst in der Michaeliskirche die Delegierten ein, danach tagen sie auf dem Hamburger Messegelände. Der wichtigste Tagesordnungspunkt dürfte die Wahl einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sein. Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn haben sich in acht Regionalkonferenzen der Basis gestellt. Ein Frage-Klassiker tauchte immer mal wieder auf: Was bedeutet das C für die Partei und was bedeutet es der Bewerberin und den Bewerbern persönlich?
    Am Telefon in Berlin ist nun die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève. Sie lehrt an der Universität Gießen und befasst sich in ihrer Forschung mit dem Verhältnis von Politik und Religion. Guten Morgen, Frau de Nève.
    Dorothée de Nève: Guten Morgen Frau Florin.
    Christiane Florin: Der Staat soll in Deutschland religionsneutral sein. Warum aber ist Religion für Politikerinnen und Politiker keine Privatsache?
    Dorothée de Nève: In Ihrer Frage mischen sich schon verschiedene Ebenen. Aus der Tatsache, dass der Staat religionsneutral sein soll – ganz abgesehen davon, dass man hinterfragen kann, ob das in der Praxis so ist – leitet sich nicht automatisch ab, dass politisch Handelnde, seien das nun Personen oder Institutionen wie Parteien dann auch neutral sein sollen.
    Ganz im Gegenteil, ich denke, dass Religion ganz wesentlich dazu beiträgt, bestimmte Haltungen von politischen Akteuren zu definieren und auch eine wichtige Rolle spielt im Parteien-Wettbewerb. Also, es wäre nicht zu empfehlen, dass politische Konkurrenten sich neutral verhalten in dieser Frage.
    Christiane Florin: Ist dieses "sich nicht neutral verhalten", vielleicht kann man sogar von Bekenntnis sprechen, für die CDU wichtiger als für Parteien, die das C nicht im Namen tragen?
    Dorothée de Nève: Ja, das würde ich schon so sehen - nicht unbedingt wegen der Namensgebung. Es ist klar, dass man als außenstehende Beobachterin oder Beobachter immer wieder darauf Bezug nimmt und erwartet, dass das Label einer Partei auch etwas zu tun hat mit den Inhalten und Positionen, die die Parteien vertreten. Aber was eine wichtige Rolle spielt, ist, dass bei den Wählerinnen und Wählern der CDU ungefähr 80 Prozent tatsächlich eine konfessionelle Bindung haben, also der evangelischen Kirche angehören oder der katholischen Kirche. Das ist natürliche eine wichtige Wählerklientel, die von der Partei bedient wird.
    Sexulelle Orientierung, Abtreibungsfrage, Sterbehilfe religiös überformt
    Christiane Florin: Auf der Regionalkonferenz in Böblingen haben die drei potenziellen Vorsitzenden dargelegt, woran Sie das christliche Menschenbild in der Politik festmachen. Jens Spahn hat erklärt, er setze sich für Lebensschutz am Anfang und am Ende des Lebens ein. Frau Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz haben bekundet, dass sie am Werbeverbot für Abtreibung nichts ändern wollen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat angesichts der Meldungen über genmanipulierte Babys aus China vor Tabubrüchen gewarnt. Sterbehilfe, Abtreibung, Bioethik: Welches Verständnis von Christentum steckt dahinter?
    Dorothée de Nève: Das ist natürlich für mich als Politikwissenschaftlerin besonders interessant das zu beobachten, welche Bereiche der Politik letztlich religiös überformt werden. Das sind eben immer wieder dieselben Fragen, die Sie eben gerade genannt haben, nicht nur in Bezug auf die Kandidaten und Kandidatin, sondern auch in Bezug auf andere Parteien, sind immer wieder diese Fragen der sexuellen Orientierung, Abtreibungsfrage, Sterbehilfe. Diese Fragen sind religiös überformt – und andere Bereiche der Politik, die man durchaus auch erwarten könnte, dass die in diesem Kontext genannt werden, die spielen offensichtlich keine Rolle.
    Christiane Florin: Welche Bereiche meinen Sie?
    Dorothée de Nève: Zum Beispiel Umweltschutz. Man könnte sich ja durchaus vorstellen, dass die Frage der Bewahrung der Schöpfung eine wichtige Rolle spielen könnte – in diesem Kontext wird Religion überhaupt nicht diskutiert. Was ich aber vor allem vermisse, ist eine Thematisierung der sozialen Frage.
    Christiane Florin: Hat nicht Annegret Kramp-Karrenbauer zumindest mal auf die katholische Soziallehre abgehoben, auch in Abgrenzung zum eher wirtschaftsliberalen Friedrich Merz?
    Dorothée de Nève: Ja das ist richtig. Frau Kramp-Karrenbauer hat sicherlich im Vergleich zu den anderen beiden noch stärker ein sozialpolitisches Profil. Nichts desto trotz wird es eben nicht im Kontext der Religion besprochen und nicht als Frage der Solidarität, der Gemeinwohlorientierung im Sinne der katholischen Soziallehre. Hier fehlt dieser explizite Bezug und er fehlt dann insbesondere, wenn es um die Frage der Migration geht.
    Abgrenzung in der Migrationsfrage nicht religös untermauert
    Christiane Florin: Angela Merkel hat die Entscheidung vom September 2015, die Grenzen nicht zu schließen, auch mit christlicher Nächstenliebe begründet. Dieses Verständnis des C, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, den Fremden aufnehmen, den Nackten bekleiden – warum hat das keine Konjunktur mehr in der CDU?
    Dorothée de Nève: Das ist eine gute Frage. Offensichtlich geht es hier um eine Abgrenzung von dieser Linie von Frau Angela Merkel und ihren Positionen. Die drei jetzt zur Wahl stehenden Personen sind in der Migrationsfrage deutlich restriktiver aufgestellt als dass bei Frau Merkel der Fall ist. Das wird dann aber auch nicht religiös untermauert.
    Christiane Florin: Markus Söder hat vor der bayerischen Landtagswahl Kreuze für bayerische Behörden verordnet, als Bekenntnis zu den jüdisch-christlichen Werten den dreien, die sich um den CDU-Vorsitz bewerben, macht das niemand nach. Warum nicht?
    Dorothée de Nève: Da muss man auch schon sagen, dass das eben nicht allgemeine christliche Werte sind – das wäre ja auch ein problematischer Begriff –, sondern hier wird eine ganz spezifische Position vertreten, die innerhalb der Groß-Kirchen in Deutschland auch nicht unbedingt so viel Rückhalt hat. Es geht um ein sehr, sehr konservatives Bild, was Christentum bedeutet, was an der Kruzifix-, an der Kreuzfrage diskutiert wird. Da ist schon die Frage, wie konservativ die Positionen letztlich sind, die von den Kandidaten und der Kandidatin vertreten werden. Insgesamt ist mein Eindruck, dass mit der Frage der Abtreibung – da hätte man ja denken können, dass das Thema längst vom Tisch ist – es ist offensichtlich nicht vom Tisch. Da kann man auch sehen wie Demokratie funktioniert: Ein Thema wird mal diskutiert, damit ist es nicht endgültig abgeschlossen, sondern es kehrt immer wieder. Demokratie ist eben ein Prozess und nicht ein Zustand.
    Positionen des konservativen Flügels der katholischen Kirche
    Christiane Florin: Haben Sie Indizien dafür, dass sich diese Gleichsetzung von christlich mit konservativ bei der Wählerschaft lohnen könnte – bei den 80 Prozent, von denen Sie vorhin sprachen?
    Dorothée de Nève: Nein, darüber gibt es meines Wissens auch keine soliden Daten. Aber man könnte aufgrund der Zahlen, die wir haben, Zweifel haben, ob das so mehrheitsfähig ist – also innerhalb der Mitglieder der CDU. Es gibt eine sehr große Gruppe, ungefähr ein Drittel der Mitglieder der CDU gehören der evangelischen Kirche an, und die hat in diesen Fragen, ob es um Homosexualität geht, um Abtreibung oder um Sterbehilfe, deutlich progressivere Positionen als die katholische Kirche. Im Grunde sind die Positionen, die die drei vertreten, dem eher konservativen Flügel der katholischen Kirche anzurechnen.
    Christiane Florin: Alle drei sind katholisch. Frau Kramp-Karrenbauer ist auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Es wurde viel in den vergangenen Jahren, seit Angela Merkel an der Spitze der Partei steht, über die Protestantisierung der CDU geschrieben. Jetzt könnte man von einer Katholisierung sprechen. Wie wichtig sind konfessionelle Unterschiede noch?
    Dorothée de Nève: Ich glaube schon, dass die wichtig sind. Erstmal ist das ein Charakteristikum einer Volkspartei wie die CDU, dass sie es geschafft hat, sich über eine lange Zeit als überkonfessionelle Partei sich zu etablieren. Das ist auch ein Markenzeichen gewesen, dass sie eben nicht nur eine konfessionelle Gruppe vertritt. Und schließlich geht es heute nicht nur um die "Integration von Katholiken und Angehörigen der evangelischen Kirchen", sondern es geht heute natürlich auch um die Integration von Muslimen in der Partei – das ist erstmal ein Markenzeichen gewesen. Wenn jetzt dieser Katholizismus und diese Positionen, über die wir hier gerade sprechen, sehr viel wichtiger werden, dann wird es natürlich an anderer Stelle wieder neue Probleme verursachen. Ich möchte nur daran erinnern, dass in den neuen Bundesländern der Anteil der Menschen, die keine religiöse Bindung haben, recht hoch ist und die CDU da ohnehin schon ein Problem hat, sich zu positionieren, gerade auch in Abgrenzung zur AfD. Das wird diese Situation im Parteienwettbewerb noch etwas verschärfen.
    Christiane Florin: Sagt die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.