Archiv


Glaube Liebe Hoffnung

In kaum 1 1/2 Stunden spielt sich der unaufhaltsame Abstieg der jungen Elisabeth ab: von der Arbeitslosigkeit über den mißlingenden Versuch, an einen "Wandergewerbeschein" zu gelangen, den mißlingenden Versuch, eine damit verbundene kleine Vorstrafe zu kaschieren, den mißlingenden Versuch, sich mit einem Polizisten zu verloben - bis hin zum, wenn auch mit Verzögerung, gelungenen Versuch, sich das Leben zu nehmen. Sie scheitert an den kleinen Dingen und an der ehrsamen kleinbürgerlichen Kleinherzigkeit ihrer Verfolger und Beschützer, ihrer Berater und Benützer: der väterliche Ober-Präparator wird zum Tier, als er sich und seinen Traum von einer letzten Romanze von Elisabeth torpediert sieht, die geschäftstüchtige Mieder-Warenverkäuferin ruft die Polizei, als ihr 150 Mark wegzuschwimmen drohen, der Polizist fürchtet, die Verbindung mit einer Vorbestraften würde seiner Karriere schaden.

Von Cornelie Ueding |
    Und so dreht sich dieser Liebes-Entzugs-Reigen weiter und weiter: würstelmampfender Richter, seine vertraulich-betulich-gemeine, knatsch-pinkfarbene, vor Aggressionen berstende Gattin, schäbige Geschäftsleute, aalglatte Bürokraten, feige Ordnungsfanatiker. Daraus ließe sich leicht ein schrecklich pathetisches, sentimentales Melodram à la das arme anständige Mädel und die böse böse Welt zusammenbrauen. Aber Kimmig vermeidet selbst die ach so schöne leise Wehmut, in die Horváth-Stücke allzu oft getaucht sind.

    Dafür sind viele Szenen von einer aberwitzigen, knappen Komik. Keine der Figuren ist ein "Juxspiegelbild", Horváths Wort für Karikaturen und denunziatorische Zerrbilder von Menschen, sondern ein präzises Spiegelbild ihrer Ambitionen und Träume, ihrer forcierten Rechtschaffenheit - und auch der Kitschigkeit. Kimmig interpunktiert Horváths Abbreviaturenstil mit knallharten Schnitten. Statt Sentiment oder umständliches sozialkritisches Gesülze - in einen Gang, eine Drehung des Kopfes hinein: black out. Immer dann, wenn eine szenische, gestische, sprachliche Andeutung genügt, um ein Klischee, einen Affektimpuls zu erkennen. Mit dieser Technik modelliert er die Szenen auch, setzt sie aus vielen sozialen déjà vus, blitzartigen Erkenntnissen wieder zusammen, die dadurch von grotesker Komik sind, ohne dass die Figuren beschädigt werden: die in mehreren Anläufen buchstäblich schrittweise Annäherung des Polizisten Alfons an Elisabeth; das in Etappen streitende Amtsgerichtsratsehepaar, wobei sie sich immer öfter, um den despektierlichen Giftschwall zu stoppen, das Taschentuch in den Mund stopfen muss; zwei Zechkumpane zwischen Häme, Weltschmerz und Verbrüderung, die nur abgehen, um nach dem Szenenschnitt gleich wieder dazustehen, ein klein wenig unsicherer auf den Beinen, die Köpfe etwas näher zusammen - und mit einem frisch gefüllten Bierglas in der Hand.

    Martin Zehetgruber hat den Bühnenraum statt mit Kulissen mit transparenten Baufolien ausgehängt und ihn in eine kalte, glatte, glitschige Wasserspiegelwelt aus Plastikbahnen verwandelt, in der alle irgendwie ortlos sind. Und in der sie sich behaupten müssen, denn der Spielraum schrumpft: Ganz allmählich werden aus kleinen, bisweilen aufspritzenden Pfützen auf dem Folien-Boden - große Wasserlachen. Kein Raum zum Leben - und kaum einer zum Sterben. Am Ende wird Elisabeth, gerade schon einmal aus dem Wasser gezogen, gerettet und hierher getragen, versuchen, sich in dieser anschwellenden Pfütze zu ertränken. Ihr einstiger Verlobter und ein Polizistenkollege schauen regungslos zu. Kein black out. Das muss man sehen. Da muss man hinsehen. Darüber senkt sich nach einer langen Weile der Vorhang. Ein ganz und gar außergewöhnlicher, auf das Stück, die Sprache, das Thema konzentrierter Theaterabend mit grandiosen Menschendarstellern. Wollte man ein zwei, drei oder auch vier Namen nennen und hervorheben, täte man allen anderen Unrecht.