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"Glaube Liebe Hoffnung" am Berliner Maxim Gorki Theater
Einsame Menschen

"Glaube Liebe Hoffnung" - so, sagte Ödön von Horváth, könnten eigentlich alle seine Stücke heißen, denn danach sehnen sich diese kleinen Leute in seinen Geschichten. Regisseur Hakan Savaş Mican hat Horváth beim Wort genommen und das Stück als tragische Liebesgeschichte inszeniert.

Von Barbara Behrendt | 14.01.2018
    Die Schauspieler Mehmet Atesci (als Präparator) (l-r), Sesede Terziyan (als Elisabeth) und Daniel Kahn (als Musiker) stehen am 10.01.2018 in Berlin bei der Fotoprobe zu dem Stück "Glaube Liebe Hoffnung" im Maxim Gorki Theater auf der Bühne
    Elisabeth hat sich zurecht gemacht: Die Schauspieler Mehmet Atesci (als Präparator) (l-r), Sesede Terziyan (als Elisabeth) und Daniel Kahn (als Musiker) (picture alliance / Britta Pedersen/dpa)
    Elisabeth hat sich zurechtgemacht. Das weinrote Kleid passt wunderbar zu ihrem aufgesteckten schwarzen Haar. Hohe Schuhe, Handtäschchen, von ihrem letzten Geld hat sie sich Kosmetika gekauft, um bessere Chancen auf eine neue Anstellung zu haben, erzählt sie. Leuchtende Augen und ein gewinnendes Lächeln bringen sie mit dem Musiker Daniel Kahn ins Gespräch, der am Bühnenrand Klavier spielt.
    "Im Oktober werden es acht Monate, dass ich abgebaut worden bin - und da hab ich aus meinem Zimmer heraus müssen und hab hernach meine Brosch versetzen müssen - und hab bei einer Freundin gewohnt, mit der ich mich nicht vertragen habe, aber ich habe den Kopf nicht hängen lassen."
    Nein, den Kopf hat Elisabeth nicht hängen lassen. Noch hat sie Kraft, diese junge Frau, die Sesede Terziyan so temperamentvoll und optimistisch spielt. Noch hat sie aber auch nicht die Eiseskälte der Bürokratie und der Menschen kennengelernt, die sie am Ende in den Selbstmord treiben wird. Es ist ein trauriges Märchen, das Horváth in seinem Stationendrama "Glaube Liebe Hoffnung" erzählt: Die gute, doch arbeitslose Elisabeth geht auf ihrem Leidensweg tapfer durch die böse Welt, ihrem Unheil entgegen.
    Zunächst scheint Elisabeth Glück zu haben
    Sylvia Riegers Bühne lässt schon beim heiteren Beginn das schlimme Ende erahnen: In diesem pechschwarzen Kasten, aus dem die expressionistisch schrägen Hochhäuser heraus ragen wie düstere Stelen, kann sich einfach kein Happy-End zutragen.
    Doch zunächst scheint Elisabeth Glück zu haben. Der Präparator, dem sie im Anatomischen Institut zu Lebzeiten ihre Leiche verkaufen will, um an Geld zu kommen, leiht ihr den Betrag für den dringend benötigten Gewerbeschein und singt ein so sehnsuchtsvolles wie komisches Duett mit ihr.
    Mehmet Ateşçi spielt diesen aschfahlen Leichenzersäger, der an seinen blutigen Nägeln kaut und sich nach den Bergen von Tibet sehnt, als selbstmitleidigen Freak. Aus verletzter Eitelkeit bringt er Elisabeth schließlich wegen einer Kleinigkeit ins Gefängnis.
    Nur Taner Şahintürk in der Rolle des Polizisten, der Elisabeth heiraten möchte, ist bei aller verblendeter Egozentrik ein erstaunlich zartfühlender Mann, der sich von seiner neuen Braut schrecklich verraten fühlt, als er ihrer Vorstrafe auf die Schliche kommt:
    "Da stellst dich hin und machst alles für so ein Menschenkind, zahlst ihr das Leben, schenkst ihr deine intimsten Gefühle, deine freie Zeit, dein gutes Geld - und das Resultat? Du bist der Lackierte."
    "Undank ist der Welt Lohn."
    "Manchmal fang ich schon zum Grübeln an. Schau, zum Beispiel meine erste Braut, mit der ich sehr harmonisiert habe, die ist mir weggestorben. Die eine stirbt, die andere lügt. Lauter blutige Enttäuschungen. Ich finde keinen Menschen, dessen Liebe mir etwas gibt."
    Der Regisseur setzt aufs große Gefühl
    Zwar reichert der Hakan Savaş Mican den Abend mit Texten aus den politischeren Horváth-Stücken an, lässt dumpfe Klischee-Bürger über Juden und Mongolen schimpfen und das Nationale beschwören. Im Kern aber setzt er auf die Beziehung der Hauptfiguren und damit aufs große Gefühl. Horváths bitteres Gesellschaftsstück erzählt er als zeitlos tragische Liebesgeschichte zwischen Polizist Alfons und Elisabeth. Allein die Gesellschaft, die sie umgibt, erstarrt in greller Überzeichnung. Weichgespült wirkt das nur deshalb nicht, weil die Verzweiflung des Liebespaars durchaus eindringlich ist.
    Am Ende steht Sesede Terziyan mit tropfnassem Kleid auf der Bühne, gerade hat man Elisabeth aus dem eiskalten Wasser gefischt. Verbittert brüllt sie Alfons an, ein Schatten ihrer selbst, und stirbt einen einsamen Tod. Frei von Sentimentalität ist das, zusammen mit Daniel Kahns gefühlvollen Songs, freilich nicht - aber es ist ja nicht so, als hätte das Theater in Deutschland derzeit unter einem "zu viel" an Emotionen zu leiden.