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Glaube, Politik und Ideologie von Kendell Geers

Der Südafrikaner Kendell Geers setzt sich in Form von Installationen, Skulpturen und Fotografien mit der Geschichte seines Heimatlandes auseinander. In der Ausstellung im Münchner Haus der Kunst verabreicht er dem Besucher gleich zu Beginn zum Thema Apartheid Schockerlebnisse.

Von Christian Gampert | 05.02.2013
    Wenn jemand in ein quasi heiliggesprochenes Ready-Made wie Marcel Duchamps "Fountain” uriniert, weil es eben - auch im Museum - immer noch ein Urinoir ist, dann zeigt er, dass er die Regeln des Kunstmarkts verstanden hat. Kendell Geers hat dieses Sakrileg 1993 auf der Biennale in Venedig begangen, der Erfolg war überwältigend.

    Geers, damals 25 Jahre alt, ist seitdem weltweit gefragt als Identitätskünstler, der das schlechte Gewissen des Abendlands gegenüber dem geknechteten Afrika ins Bild bringt. Und Geers hat ja auch tatsächlich, als weißer Südafrikaner, am Widerstand gegen die Apartheid teilgenommen, das gibt zumindest seinem Frühwerk die Aura des Authentischen, wenngleich es natürlich durchkalkulierte Konzeptkunst ist.

    Im Münchner "Haus der Kunst", dem ehemaligen Nazi-Tempel, ist Geers also genau richtig, und die Schau verabreicht dem Besucher gleich zu Beginn ein paar Schockerlebnisse: nachdem man eine kleine Abteilung mit Büchern und Dokumenten zur Apartheid durchwandert hat, man sieht zum Beispiel das Foto des bei einer Demonstration sterbenden Schülers Hector Pietersen 1976 in Soweto, steht man vor einer riesigen Sperranlage, einem hohen, rasierklingen-gespickten Gitterzaun. Wer sich durch den schmalen Eingang hereintraut, geht in einen Wald von Ziegelsteinen, die in Kopfhöhe von der Decke hängen.

    Wir nehmen also zunächst die Perspektive der Ein- und Ausgesperrten in den Townships ein (in einer Fotoserie sehen wir die securitygeschützten Wohnhäuser der reichen Weißen), und andererseits hängen uns diese Ziegelsteine vor dem Schädel, die die schwarzen Widerständler Anfang der 1990er-Jahre von Autobahnbrücken baumeln ließen, teilweise mit tödlichem Erfolg.

    Das ist kein besonders schönes Kampfmittel. Aber gleich darauf betreten wir einen Raum mit Monitoren, auf denen die geschundenen Leiber gefolterter Schwarzer zu sehen sind, und aus den Lautsprechern dringt das Stöhnen der Gefangenen.

    Gefangen ist auch Kendell Geers – in der Geschichte seines Heimatlands. Zeitlebens hat er versucht, dagegen anzukämpfen. Sei es durch eine rituelle Wiedergeburt, indem er seinen kahlen Kopf mit Blut beschmierte, sei es, indem er seinen Schädel schwarz färbte und mit weißen Schriftzeichen versah. Das sind die Foto-Arbeiten. Ein anderes Kapitel sind die Readymades: 1993, auf dem Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzungen vor den ersten freien Wahlen in Südafrika, trat Kendell Geers gleichzeitig in alle wichtige Parteien des Landes ein. Seine Mitgliedsausweise zeigte er nebeneinander in Ausstellungen, was naturgemäß für Empörung sorgte. Ein Readymade ist aber auch der abgebrochene Hals einer Heineken-Bierflasche, aus Holland importiert wie die Buren, von denen Geers abstammt, und zerbrochen wie die Macht des Apartheidregimes. Und, nebenbei, auch eine Waffe.

    Manches wirkt aber auch sehr dekorativ: Geers arrangiert etwa Schlagstöcke der südafrikanischen Polizei zu netten Sternenmustern. Und ein ausgestelltes Obduktionsregister, in dem sich auch der Name des umgebrachten Schülers Hector Pietersen befindet, ist nur über viel Vorinformation verständlich.

    Geers hat im Jahr 2000 Südafrika verlassen und lebt seitdem in Europa, auf der Suche nach Spiritualität. Seine Konzeptkunst wird durch diese Wendung viel harmloser: Die Installation "Postpunkpaganpop" von 2008, die uns in den zweiten Ausstellungsteil hineinzieht, ist ein großes Labyrinth aus Sperrzäunen, in dem der Besucher auf spiegelnden Böden wandelt. Im Gegensatz zu den politischen Arbeiten ist das aber eine nur optische Verwirr-Technik und Selbstbeschau, die uns offenbar den Weg zur Erleuchtung weisen soll. Auch Geers‘ Buchstaben-Spielereien wirken eher mystisch, seine Leucht-Schriften banal (aus "Terror" wird "Error"); bemalte Tier- und Menschenschädel wollen an afrikanische Mythen, aber weitläufig wohl auch an Damien Hirst andocken. Und die surreal aus einer Mauer hervorstehenden Hände sind zwar immer noch von Handschellen gefesselt, aber gleichzeitig zum Gebet zusammengelegt wie bei Albrecht Dürer.

    Das Beten hat gegen die Apartheid nicht geholfen, und es hilft auch künstlerisch nicht. Im Gedächtnis bleibt eher der politische Teil der Ausstellung – und das Stöhnen der Gefangenen.