Donnerstag, 28. März 2024

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"Glaube und Heimat" am Berliner Ensemble
Gott spaltet und versöhnt

Will Regisseur Michael Thalheimer mit seiner Inszenierung von „Glaube und Heimat“ am Berliner Ensemble den Autor Karl Schönherr rehabilitieren? Der hatte 1938 den so genannten „Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich“ begrüßt. Aber im Zentrum der Inszenierung steht das spaltende Potential von Religion.

Von Eberhard Spreng | 06.12.2019
Eine Szene aus Karl Schönherrs "Glaube und Heimat" am Berliner Ensemble in der Regie von Michael Thalheimer
Eine Szene aus Karl Schönherrs "Glaube und Heimat" am Berliner Ensemble (Berliner Ensemble / Matthias Horn)
Ein hoch aufragender, matt schimmernder Kubus, halb Bauwerk, halb Felsen. Düsteres Licht, dunkel pulsende Grooves aus den Lautsprechern. Wie erdrückt von einer unwirtlichen Umgebung haust die Bauernfamilie Rott am Fuße des Blocks, in Angst versetzt und erschüttert von gesellschaftlichem Verfall. Wenn man das bisschen Nachbarschaft mit anderen Bauernfamilien, die die Höfe in der Nähe bewirtschaften, überhaupt Gesellschaft nennen kann. Ein kaiserlicher Schreckensbefehl wird vollstreckt: Wer dem protestantischen Glauben nicht abschwört, muss das Land verlassen. "Wer sich bekennt zum andern Glauben und schwört nit ab, muss wandern! Fehlgläubige Männer mit ihren Frauen sind auszutreiben; die gutgläubigen Weiber dürfen auf den Häusern bleiben!"
Volksstück mit griffigen Bildern
Familie Rott zerreißt der Religionskrieg. Der alte Rott, wassersüchtig und dem Tode nah, hofft auf den baldigen Tod, um in der Heimat begraben zu werden und der Vertreibung zu entgehen. Der Sohn Christoph hofft, indem er den Glauben heimlich praktiziert, den Nachstellungen zu entkommen. Seine Frau erklärt gerne öffentlich, dem rechten, katholischen Glauben anzugehören. Ihr Sohn Spatz kann es gar nicht erwarten, auf Wanderschaft zu gehen und der düsteren Bergwelt zu entkommen. Als wäre es eine holzschnitzartige Mär im Stil barocker Hell-Dunkel Malerei, fasst Michael Thalheimer Schönherrs Volksstück in griffige Bilder: Eine Studie namenlosen Elends entsteht, wenn er die protestantische Sandpergerin, verkörpert von Kathrin Wehlisch, zusammen mit ihrem Mann in einer stummen Pose der Verzweiflung auf die Vorderbühne stellt, wenn der von Ingo Hülsmann amüsiert sadistisch gespielte Vollstrecker des Vertreibungsbefehls den Bauern das Messer an die Kehle legt. Ober wenn es ihm nicht gelingt, der hingemordeten Protestantin die Lutherbibel aus den Bauernhänden zu entreißen. Deren Tod ist für den verschwiegene Christoph Rott Anlass zum öffentlichen Bekenntnis: "Aus der Unruh meines Gewissens heraus, vor Gott und Menschen bekenn mich laut und offen zum reinen Evangel und unverfälschten Gotteswort, und will darin verbleiben, so wahr mir Gott helf! So! Jetzt ist's draußen!"
Eine Welt von kalkuliertem Lug und Trug, pfiffiger List und Bauernschläue
Andreas Döhler braucht eigentlich, wenn er nicht gerade das lutherische "Ich-kann-nicht-anders" verkündet, nur leicht verbogen dazustehen, mit hilflos verkrampften Händen, um deutlich zu machen, dass seine Bauernfigur so gar nicht passt in eine Welt von kalkuliertem Lug und Trug, pfiffiger List und Bauernschläue. Auch sein Hof wird, wie all die anderen Höfe der vertriebenen Protestanten, von einem miesen katholischen Profiteur für einen Spottpreis gekauft. Der Englbauer hat eine große Nachkommenschaft und will auch seinem noch gar nicht geborenen neunten Sohn die zukünftige Existenz sichern. Karl Schönherr skizziert im von Tilo Nest verkörperten Englbauer ein griffiges, ökonomisches Motiv für die Vertreibung Andersgläubiger, der die Religionskriege auch schon vor der Austreibung der Zillerthaler Protstanten 1837 begleitete: "Warum hast uns so ins Elend bracht? Warum? Warum? - I weiß nit warum"
Zeitgenössiche Religionskriege nur ein "Apropos"
Bis auf Stefanie Reinsperger, die hier Christophs Rotts verzweifelte Frau spielt und der naturgemäß der österreichische Dialekt leicht von den Lippen geht, spricht das Ensemble die Texte in Schönherrs mundartlich eingefärbter Volkstragödie wie eine kunstwollende Stilübung. Thalheimer inszeniert in großartiger Einhelligkeit von Form, Spiel und Erzählung geradezu kongenial ein wirkungsmächtig straight auf sein Ende zusteuerndes Stück. Schönherrs alpiner Naturalismus wird zur expressionistischen Moritat. Das Stück passt allzu gut in Thalheimers monochrome Theaterwelt: Ein von dem Musiker Bert Wrede intoniertes, von einem einzigen Mood getragenes Theatergemälde. Soll hier ein deutsch-nationaler Autor, der 28 Jahre später den sogenannten Anschluss Österreichs feiern sollte, für das Theater rehabilitiert werden? Jedenfalls spielt der Regisseur auch das dramaturgisch mutwillige Ende ganz texttreu: Der gläubige Protestant würgt den katholischen Häscher erst fast zu Tode und reicht ihm dann, Gottes Gebot zuliebe, die Hand. Natürlich denken theaterfremde Hirnregionen der Zuschauer während dieser wunderschönen Aufführung auch einmal an zeitgenössische Religionskriege zum Beispiel zwischen Sunniten und Schiiten, aber das ist ein reines "Apropos", ein purer Gedanke, der seinen Auslöser nicht in diesem Theater findet.