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Glaubensbekenntnis zum Verein

England gilt als das Mutterland des Fußballs. Nirgendwo hat der Kampf um das runde Leder eine größere Bedeutung. Die Fans sind besonders besessen. Für einige von ihnen ist der Besuch im Stadion gleichbedeutend mit einem Gottesdienst.Ruth Rach berichtet.

    Graham Gordon ist Webdesigner. Salopp gekleidet, wortgewandt, selbstsicher. Jeden Freitag trinkt er mit seinen Freunden im Well, ein verrauchter Arbeiterpub in Luton, nördlich von London. Die Männer verbindet eine Leidenschaft: Fußball.

    Gordon kommt aus einfachen Verhältnissen. Er ist in einem Dorf aufgewachsen. Es gab keine Sporthalle, keine Einrichtungen, keinen Sportlehrer, der ihnen Cricket oder Rugby beigebracht hätte:

    "Wir Jungs hatten einen Fußball und ein Stück Wiese. Sonst nichts. Da gab’s praktisch nur eine Möglichkeit: Fußball."

    In diesen "grassroots" hat der englische Fußball seine Wurzeln, sagt Gordon. Mit "grassroots" meint er die Arbeiterklasse. Gordon holt sich noch ein Bier. Fußball macht durstig. Dann fängt er an zu schimpfen:

    "Die Mittelschicht versucht, uns den Fußball wegzunehmen. Sie drängt sich rein und drückt die Preise hoch. Eine Katastrophe. Wenn das so weitergeht, wird sich vielleicht ein ganz anderes Spiel entwickeln."

    Gordon ist Liverpool-Fan. Seine Leidenschaft war, so glaubt Gordon, vom Schicksal vorbestimmt. Gordon hatte zwei ältere Bruder. Der eine unterstützte Tottenham Hotspur, der andere Leeds United. Und weil sie ihn oft verprügelten, setzte Gordon auf ein Team, das stärker war als ihre Vereine. Das verschaffte ihm ein Gefühl von Überlegenheit.

    Gordon hat mehrere Ehen hinter sich. Aber seinem Fußballteam hält er die Treue. Er würde lieber nackt durch die Oxford Street gehen, als zu einem anderen Verein überzulaufen. Sich von Liverpool abzuwenden, wäre Hochverrat. Gordon würde geächtet. Er könnte sich nie mehr in seiner Stammkneipe sehen lassen. Schon der Gedanke macht ihn nervös. Gordon holt sich zwei Biere auf einmal.

    "Fußball ist wie ein Kirchengottesdienst: Du singst Hymnen, du legst ein Glaubensbekenntnis ab, du betest. Natürlich nicht zum Allmächtigen, sondern zu deinem Team."

    Gordon hat seine Kinder nach Liverpoolstars benannt: Robbie, Jamie... Aber als er seiner Tochter auch noch einen Fußballnamen verpassen wollte, wurde die Frau sauer. Glücklicherweise hätten seine Kinder das Fußballfieber geerbt. Auch die Tochter: Sie spielt in einem Mädchenteam.

    "Wenn du als Vater mit deinen Kindern zum ersten Mal ins Fußballstadion gehst, und du siehst auf ihren Gesichter dasselbe Gefühl von Erstaunen und Überwältigung, das du aus deiner eigenen Kindheit kennst, dann weißt du: Sie sind Anhänger."

    Am liebsten geht Gordon zu Liverpool-Spielen in Europa. Wenn feindliche Teams in England aufeinandertreffen, wird die Atmosphäre oft hässlich. Das seien historische Rivalitäten, manche Anhänger hassten einander bis aufs Blut. Aber Gordon findet nicht, dass es zwischen Deutschland und England in punkto Fußball besondere Feindseligkeiten gibt.

    "Letztes Jahr ging ich mit 14 Freunden nach Leverkusen. Wir bekamen keine Karten mehr und mussten uns das Spiel in einer Bar anschauen. Der Besitzer gab uns eine eigene Ecke, wir sangen während des ganzen Spiels unsere Lieder. Das war eine ziemlich feine Bar. Um uns lauter Deutsche, aber keiner verlor ein Wort. Und als Liverpool gewann, kamen die sogar zu uns her und gratulierten. So etwas wäre in London nie passiert."