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Mixed-Wettkämpfe
Potential für mehr als nur Gleichberechtigung

Bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 waren es noch neun, in Tokio dann schon 18: Immer mehr Sportarten bekommen Mixed-Wettbewerbe, in denen Frauen und Männer zusammen antreten. SIe können Athletinnen nicht nur zu mehr Präsenz verhelfen, sondern auch die Inklusion im Sport fördern.

Von Sabine Lerche | 19.12.2021
Atlanta 1996: Die deutsche Frauenstaffel gewinnt über 4x100m Freistil Bronze. 25 Jahre später bei den Olympischen Spielen in Tokio tritt neben den Männer- und Frauenstaffeln auch ein gemischtes Team in der 4x100m-Lagenstaffel an. Eine neue olympische Disziplin. Mit diesen Mixed-Wettkämpfen will das IOC für Spannung und mehr Gleichberechtigung sorgen. Männer und Frauen versuchen als Team Medaillen zu gewinnen.
Sportsoziologin Christiana Schallhorn von der Universität in Mainz glaubt, dass dadurch Athletinnen wirklich mehr Präsenz bekommen: "Wir haben ja nach wie vor das Phänomen: Der Männersport ist eben häufiger präsent in den Medien, speziell im Fernsehen. Und der Frauensport stößt eben oft auf nicht ganz so großes Interesse, weil man vielleicht die Sportlerinnen nicht kennt. Aber diese Mixed-Wettkämpfe machen eben das Ganze noch mal spannender, weil eben sowohl Männer als auch Frauen zusammen antreten können."
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Mehr Aufmerksamkeit könne auch das Interesse von Sponsoren wecken, damit würden die Athletinnen in ihrer Sportart gefördert, so Schallhorn. Insgesamt eröffnen Mixed-Wettbewerbe auch Kindern und Jugendlichen andere Perspektiven, ergänzt sie: "Dass man eben nicht den Eindruck hat: Oh, das ist jetzt eine Sportart, die können nur Männer machen. Sondern dass auch gerade Kinder und Jugendliche weibliche Vorbilder haben und sehen: Ah, das ist etwas, das kann ich auch ausüben. Deswegen finde ich, ist es auch so wichtig, dass man eben schaut, dass auch in der Sportberichterstattung nach Möglichkeit Männer und Frauen in ganz unterschiedlichen Sportarten gezeigt werden."

Keine besonderen Einschaltquoten bei Mixed-Wettkämpfen

Das hat auch der Deutsche Olympische Sportbund im Sommer mit seiner Kampagne "ShowUsEqual" gefordert - eine gleichberechtigte Berichterstattung. Die Mixed-Wettkämpfe könnten dabei helfen, glaubt Sportsoziologin Schallhorn: Anstatt sich für die Männer oder Frauen zu entscheiden, könnten die Sender die Mixed-Wettkämpfe übertragen und so beide Geschlechter zeigen.
Schaut man allerdings auf die Einschaltquoten, stechen die Mixed-Wettkämpfe weder bei der ARD noch beim ZDF heraus. Das Publikumsinteresse an den gemischten Disziplinen ist nicht größer als bei geschlechtergetrennten Wettbewerben. Und das, obwohl laut der ARD-Medienforschung Mannschafts- und Staffelwettbewerbe generell beim Publikum beliebt sind. Sportwissenschaftlerin Petra Gieß-Stüber von der Uni Freiburg hat die Mixed-Disziplinen in Tokio gerne verfolgt. Sie glaubt, "dass Menschen solche Wettbewerbe anschauen, die vielleicht die klassischen Männer- oder Frauen-Wettbewerbe weniger spannend für sich fanden. Weil diese Mixed-Teams, die haben vielleicht auch mehr Analogien zu den Alltagsleben der Menschen, die sich ja auch da überall in geschlechtergemischten Zusammenhängen orientieren und positionieren müssen."
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Medaillenchancen wecken Interesse

Im Team eine Medaille zu holen, ist ein neuer Ansporn für die Athleten und Athletinnen. So wie für das deutsche Judo-Team. Sie haben bei den Sommerspielen in Tokio im Team Bronze gewonnen. Judoka Sebastian Seidl hat danach im Sportschau-Studio gesagt, dass der Mannschaftswettkampf dennoch nicht über allem steht: "Natürlich legen wir vor allem auch großen Wert auf die Einzelwettkämpfe, aber wir wussten, dass wir eine richtig geile Mannschaft haben und dass wir hier eine Medaille holen können. Das wussten wir von Anfang an."
Die Gewinnchancen deutscher Sportler und Sportlerinnen sind neben dem Interesse an einer Sportart und der Sendezeit ausschlaggebend dafür, ob jemand einschaltet, so die ZDF-Medienforschung. Dabei ist es weniger wichtig, ob es sich um einen Mixed-Wettkampf handelt. Weder helfen die Mixed-Wettkämpfe den weniger populären Sportarten, noch schaden sie den populären.
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Mixed-Teams könnten Inklusion im Sport fördern

Sie könnten aber für mehr Inklusion im Sport sorgen, denkt Sportwissenschaftlerin Gieß-Stüber: "Dass es eben nicht nur um die individuelle Maximalleistung geht, sondern dass eine tolle Leistung oder ein Erfolg nur möglich ist, wenn die Kombination von unterschiedlich sportstarken Menschen zusammenkommt. Klassisch ist das natürlich das Thema der Inklusion im Sport. Und wenn das dann auch auf hohem sportlichem Level gelebt und gezeigt wird, hat das, glaube ich, schon eine beachtliche und interessante Strahlkraft in den Breitensport und vielleicht sogar in den Schulsport."
Bei den kommenden Winterspielen in Peking gibt es wieder neue gemischte Wettkämpfe: im Shorttrack, beim Skispringen, im Snowboard Cross und im Ski Freestyle. Petra Gieß-Stüber denkt aber noch ein Stück weiter: "Ich könnte mir vorstellen, dass das perspektivisch auch eine interessante Chance sein könnte und zwar für Menschen, die jetzt nicht diesen geschlechtsstereotypen Körperidealen oder dem idealen Hormonlevel, das Frauen oder Männern zugeschrieben wird, entsprechen. Und dann könnten so Frauen wie Caster Semenya beispielsweise in solchen Teams starten."