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Gleiches mit Gleichem vergleichen?

Die Geschichte der politischen Auseinandersetzungen ist voll von solchen Vergleichen: Heiner Geißler sei der schlimmste Hetzer seit Goebbels, hatte etwa Willy Brandt gewettert. Oskar Lafontaine sagte über Helmut Schmidt, mit dessen Sekundärtugenden könne man auch ein KZ betreiben. Und die neueste Wendung scheint nun wie eine späte Rache auf diesen Angriff. In der Bild am Sonntag hat Schmidt die rhetorischen Fähigkeiten des früheren SPD-Chefs in einem Atemzug mit denen Adolf Hitlers genannt.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Günter Grass hat einen Schnauzbart - so ähnlich wie Stalin einen hatte. Ui! Was hat der Mann im Radio da gerade gesagt? Günter Grass sei mit Stalin zu vergleichen? Das ist ja starker Tobak! Sofort einen Brief an die Intendantin schreiben und sich über den Kommentator beschweren, der Günter Grass und Josef Stalin auf eine Stufe stellt. Oder war es Saddam Hussein? Egal, es geht nicht an, es darf nicht sein, dieses wilde, wirre Gleichsetzen von allem mit allem. Kommunismus und Faschismus, Napoleon und Sarkozy, Lafontaine und Le Pen - wo kommen wir hin, wenn über alles das im selben Atemzug gesprochen wird?

    In Deutschland sind Vergleiche eine heikle Sache, vor allem wenn es um etwas Historisches geht. Vor 22 Jahren entbrannte hier der sogenannte Historikerstreit genau um die Frage der Vergleichbarkeit von Stalins und Hitlers Gewaltherrschaft - ein Streit, den ausländische Historiker mit Achselzucken quittierten, weil sie den Vergleich für selbstverständlich hielten. Bei uns jedoch versperrt das Dogma von der historischen Einzigartigkeit des Holocausts den Blick in die Nebenzimmer der Geschichte.

    Helmut Schmidt freilich foutiert sich in seinem 90. Lebensjahr um solche Denk- und Sprechregeln. Er vergleicht Lafontaine mit Hitler und Le Pen, wobei das "tertium comparationis" ein bisschen dürftig ist: Es lautet "Charisma und Rednertalent". Klar, dass Lafontaines Linkspartei darüber zetert. Schon die Namen Lafontaine und Hitler in irgendeinen Zusammenhang zu setzen, wirkt überrissen. Doch ganz falsch ist Schmidts Argument deswegen nicht. Schmidt sagte nämlich, "dass Charisma für sich genommen noch keinen guten Politiker ausmacht." Er hätte es bei diesem Satz bewenden lassen können, aber wie viele Menschen, die gern dozieren, hängte er sogleich noch ein paar Beispiele dran: Hitler sei ein charismatischer Redner gewesen und - wörtlich! - "Oskar Lafontaine ist es auch."

    Und Schmidt sei es auch, entgegnete Gysi, der es auch ist - und jetzt können alle, die es ebenfalls sind, in diesen Chor der Charismatiker einstimmen und einander ihr Talent vorwerfen. Hat bloß alles keinen Zweck, dieses Zusammenrühren aller möglichen Merkmalsträger in einem großen Entropie-Topf. Politische Kritik - und die war eigentlich beabsichtigt - sieht anders aus. Kritik beruht auf der genau gegensätzlichen Anstrengung: Kritik bedeutet Entmischung. Absondern, trennen, unterscheiden - das sind mögliche Übersetzungen für das altgriechische Wort krinein, von dem sich Kritik ableitet. Vergleiche dagegen gehören zum Stilmittelvorrat der Pädagogik, und wenn man böse ist, nennt man die Demagogie.