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Gleichgültige Schimpansen?

Ethologie. – Sehr schnell stößt die Verhaltensforschung auf die Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Eine solche Kontroverse entzündet sich auch an einem Experiment über Nächstenliebe bei Schimpansen, das in der aktuellen "Nature" veröffentlicht ist.

Von Michael Stang |
    "Wir wollten herausfinden, ob Schimpansen gegenüber Gruppenmitgliedern, die sie sehr gut kennen, so etwas wie Nächstenliebe empfinden."

    Sagt Joan Silk von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Die Anthropologin wollte mit einem einfachen Experiment die Frage beantworten, ob Schimpansen motiviert sind, aus freien Stücken einem anderen Affen etwas Gutes zu tun, ohne dass es für sie eine besondere Anstrengung bedarf. Silk:

    "”Dazu haben wir einen mechanischen Apparat entwickelt, bei dem ein Schimpanse eine Entscheidung zwischen zwei Optionen treffen musste. Entscheidet er sich für Variante eins, bekommt er eine Belohnung und ein zweiter Schimpanse, der im Käfig neben ihm sitzt, bekommt ebenfalls etwas. Option 2: Nur er bekommt eine Belohnung und sein Nebenmann geht leer aus. Während der Versuche konnte der agierende Schimpanse die ganze Zeit den anderen Affen und die Art der Belohnung sehen. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Optionen war, dass im ersten Fall der Nebenmann ohne Zusatzkosten auch etwas bekommt.”"

    Vor den eigentlichen Tests wurden alle nicht miteinander verwandten 18 Versuchsteilnehmer trainiert. Sie sollten eine der beiden Entscheidungen treffen, indem sie in dem Apparat einen von zwei Hebeln bedienten. Als die Tiere dann tatsächlich getestet wurden, war das Ergebnis eindeutig. Alle Tiere entschieden sich für die zweite Option. Kein einziger Schimpanse wählte die Variante, bei der sein Nebenmann auch eine Belohnung bekam, obwohl diese Entscheidung keine zusätzliche Arbeit oder eine Entbehrung bedeutet hätte. Joan Silk deutet die Ergebnisse vorsichtig:

    "”Über die Gründe können wir nur spekulieren. Es sieht so aus, als ob den Schimpansen das Wohlergehen der anderen gleichgültig ist. Wir wissen nicht, was in ihren Köpfen vorgeht. Wir wissen nicht, warum sie immer die gleiche Entscheidung getroffen haben. Aber es sieht so aus, als ob die Anwesenheit des anderen Affen kein entscheidender Faktor war.”"

    Vor voreiligen Interpretationen warnt William Hopkins. Der Verhaltensbiologe vom Nationalen Primatenforschungszentrum in Georgia stellt das ganze Experiment in Frage. Es kann die Behauptung, dass Schimpansen das Wohlergehen von Gruppenmitgliedern gleichgültig ist, seiner Meinung nach nicht stützen:

    "”Wenn sie wirklich die Frage beantworten wollten, ob Schimpansen so etwas wie Nächstenliebe empfinden können, dann hätten sie auch miteinander verwandte Individuen testen müssen. Denn bei Verwandten sind die Entscheidungen meist anders und sie hätten auch nicht nur eine "Entweder-oder-Entscheidung" testen, sondern den Apparat um eine dritte Option erweitern müssen, damit sie mit der Verwandtenselektion die Ergebnisse direkt hätten überprüfen können.""

    William Hopkins meint, dass sich die Schimpansen bei einer dritten Option wohlmöglich anders entscheiden würden. Bei einer solchen Wahlalternative könnte etwa der Nebenmann eine kleinere Portion bekommen. Das Experiment in der Form, in der es von Joan Silk durchgeführt wurde, akzeptiert William Hopkins nicht als Basis für neue Hypothesen. Die größte Schwierigkeit für die beiden Forscher liegt aber unabhängig von diesem Experiment in der Tatsache, wie solche - in diesem Falle negative - Ergebnisse überhaupt interpretiert werden können. Eine andere Affengruppe oder Affenart bei einem veränderten Experiment liefert möglicherweise wieder ganz andere Ergebnisse.