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Gleichmut in Europa

Die gescheiterte Regierungstätigkeit des linken Ministerpräsidenten Romano Prodi hat die Italiener erneut ernüchtert. Und auch die Europäischen Nachbarstaaten reagieren eher resigniert als aufgeregt. Warum der Gründungsstaat der Montanunion und der Europäischen Union inzwischen eine derart kleine Rolle auf der europäischen Bühne spielt überlegt Alois Berger aus Brüssel in der Europakolumne.

    Italien steckt wieder mal in der Krise - und die Europäische Union zuckt mit den Schultern. Wenn Frankreich oder Deutschland auch nur hüsteln, bekommt Brüssel Panik-Attacken. Doch wenn der dritte große Gründerstaat der Europäischen Union ins Koma fällt, dann ist das in Brüssel kaum noch der Rede wert. Das ist nicht nur ein Gewöhnungseffekt. Italien hat seit den Römischen Verträgen vor 50 Jahren mehr Regierungskrisen produziert als alle anderen EU-Gründerstaaten zusammen. Doch die Gelassenheit in Brüssel hängt auch damit zusammen, dass von Italien selbst in normalen Zeiten kaum Impulse ausgehen. Italien hat in etwa genauso viele Einwohner wie Frankreich, aber während Frankreich die Europäische Union zu jeder Zeit mitgestaltet, spielt Italien schon lange keine aktive Rolle mehr. Rom ist immer mit sich selbst beschäftigt.

    Dabei sind die meisten Italiener treue Europäer. In der deutschen Regierung gilt Italien traditionell sogar als ausgesprochen dankbarer Partner. Italien will nichts Besonderes von Europa, Italien fordert selten etwas, und wenn die Regierung in Berlin der Meinung ist, sie müsse in Brüssel mal mal eine Initiative starten, etwa zur Bildungspolitik oder zu Flüchtlingslagern in Afrika, dann macht Rom normalerweise immer gerne mit. Es bringt nur nicht viel.

    Wenn ein Vorschlag in Brüssel Gewicht haben soll, dann muss man Paris ins Boot holen. Das ist dann zwar anstrengend, weil zwischen Berlin und Paris stets um jedes Komma gefeilscht wird, weil hunderte von E-mails hin- und hergeschickt werden, weil Beamte wochenlang damit beschäftigt sind, die Wünsche der französischen Regierung einzuarbeiten. Aber am Ende steht ein deutsch-französischer Kompromiss, der gute Chancen hat, auch von den übrigen EU-Mitgliedern akzeptiert zu werden.

    Eine deutsch-italienische Initiative dagegen hat kaum Gewicht. Aber wenn es nur darum geht, wieder mal eine Duftmarke zu setzen, dann ist die Zusammenarbeit mit Italien viel netter. Man muss nicht viel verhandeln, einfach nur den Text zur Unterschrift nach Rom schicken. Jede italienische Regierung freut sich, wenn sie mal wieder gefragt wird.

    Als europäischer Akteur wird Italien kaum noch ernst genommen. Und was noch schlimmer ist: Seit der schillernde Medienfürst Silvio Berlusconi vor 14 Jahren zum ersten Mal Premierminister wurde, seitdem ist Italien das Phantombild für mögliche Gefahren, vor der sich Europa wappnen muss. Was kann die EU tun, so war damals die Frage, wenn eine Regierung jegliches Verantwortungsgefühl vermissen läßt.

    Im Amsterdamer Vertrag von 1997 wurde deshalb eiligst verankert, dass die Europäische Union einem Land vorübergehend die Stimmrechte entziehen kann, wenn es anhaltend gegen die Grundprinzipien der EU verstößt. Berlusconi ist der Pate, an den die Regierungschefs gedacht haben, als sie den Passus beschlossen. Auch der Euro-Stabilitätspakt trägt zwar nicht die Handschrift, aber doch die Fingerabdrücke von Silvio Berlusconi. Der Pakt soll den gemeinsamen Euro schützen, damit jemand wie Berlusconi für seine Wahlversprechen nicht einfach die Staatskasse plündern kann.

    Für viele Italiener hat das den Wert der Europäischen Union noch gesteigert. Die EU wird als eine Art Absicherung gesehen, damit Italien nicht von seinen eigenen Politikern kaputt gemacht werden kann. Das Problem ist nur, dass viele italienische Wähler das nach allen Umfragen offensichtlich als Einladung verstehen, die eigene Verantwortung für ihr Land den Europäern zu überlassen. Warum soll man sich mit den anstrengenden Reformen eines Romano Prodi herumschlagen, wenn die Konkurrenz verspricht, die Steuern zu senken und den Staat in die Schranken zu weisen? Dass diese Konkurrenz Berlusconi heißt und - um es vorsichtig auszudrücken - etwas zwielichtig ist, was soll´s? Die Europäische Union wird schon aufpassen, dass nichts Schlimmeres passiert.