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Glitter, Glamour, Suchtstoffe aller Art

Witz- und Werbebildchen, Rembrandt und Rubens haben dem Künstler Sigmar Polke bei seinem Gemäldezyklus "Original und Fälschung" als Vorlage gedient: Der in den siebziger Jahren entstandene poppige Bilderkosmos begründete den Ruhm Polkes. Die Kunsthalle Tübingen zeigt nun seinen Gemäldezyklus noch einmal.

Von Christian Gampert |
    Sigmar Polke hat schon immer gern Kunstgeschichte durcheinander gequirlt. Wer einen ganzen Gemälde-Zyklus "Original und Fälschung" nennt, der signalisiert sehr lautstark, dass er sich aus dem bereits vorhandenen Bildervorrat und Zitatenschatz zu bedienen weiß und ihn neu zu montieren gedenkt. So war die Situation 1973, als Polke für den Westfälischen Kunstverein Münster zunächst nur die zwölf meistgesuchten gestohlenen Kunstwerke dieser Erde paraphrasieren wollte.

    Diese polemischen Neu-Erfindungen hängen nun zwar auch in der Kunsthalle Tübingen, ein schemenhaft angedeuteter Gainsborough, ein ironisch kalkweißer Rubens, ein Fontana-artig aufgeschlitzter Corregio – aber ein solches Konzept war Polke schon damals zu eng. Für den Rest des Zyklus nutzte er im Anschluss an die Pop-Art Werbeanzeigen, Zeitschriften-Fotos oder Film-Stills und collagierte daraus eine bunte, surreale Welt.

    Wer das selbstmystifikatorische Spätwerk des Meisters kennt, der sich mittlerweile ja zum Magier gereift sieht, also die großformatigen, vielfach oszillierenden Farb- und Lackflächen mit Titeln wie "Hermes Trismegistos", dem Gott der Alchimisten, der wird überrascht sein, wie frisch und neu dieses selbstironische Frühwerk dagegen wirkt. Kein Wunder, dass gerade dieser "Fälschungs"-Zyklus Polke den Durchbruch brachte; ein Irrgarten aus populären Motiven, die in Tübingen allerdings übersichtlich gehängt sind: die aus Pixeln und Rastern bestehenden "Variationen eines Gesichts", die Reprisen der Kunstgeschichte, die surrealen Kompositionen wie "Das Schlangenleibige auf der Weltkugel" und die kabarettistischen Etüden wie "Der bayerische Landtag", auf dem jedes namentlich aufgeführte Landtagsmitglied durch ein Hirschgeweih ersetzt ist und unten Zinnteller und Maßkrüge stehen; der Bildrahmen besteht aus Fell.

    Unter jedem Einzel-Thema des Zyklus hängt ein "Kommentar-Bild" mit Skizzen und Zeitungsausschnitten, und zwar so tief, dass der Besucher sich hinknien muss wie in der Kirche. Dort liest man dann sinnfreie Texte von Polkes Mitstreiter Achim Duchow oder vermischte Meldungen über Rentner, die den Führerschein wiederbekommen möchten.

    Zwei in weißem Nebel, in Plakatfarbe und Spachtelmasse sich verlierende Bilder handeln von der Trunksucht und vom Marihuana-Rauchen, und das gibt doch recht unverblümt über den damaligen Produktionsprozess Auskunft: Unter der Anleitung von Polke waren damals diverse Künstler an diesen Werken beteiligt und im Jargon der Zeit könnte man sagen: Es war eine Kiffer-WG, die da Kunst machte und sich wahrscheinlich köstlich amüsierte, dass die Bilder tatsächlich gekauft wurden.

    Passend dazu hat der Kunsthallen-Kurator Martin Hellmold ein Polke-Großformat aus eigenem Besitz dazugehängt - kein Mensch weiß, dass die Kunsthalle Tübingen eine kleine, aber exquisite Sammlung hat: "Die Fahrt auf der Unendlichkeits-Acht" umkreist und fragmentiert die dynamischen Bewegungsformen des Motorradfahrens, ein kubistisches oder jedenfalls multiperspektivisch aufgesprengtes Werk mit einem schwarzen Loch als Mittelpunkt; selbst da war offenbar die ganze Easy-Rider-bewegte Künstler-WG zugange.

    Aber auch der ganze Rest des "Fälschungs"-Zyklus zeigt sehr instruktiv, mit welchen Mitteln sich hier jemand auf den Weg zum Weltstar machte: diese unsäglichen, hippiesken Blümchen-Muster auf Gardinen, Tischdecken und Dekorationsstoffen, die als Malgrund dienten, korrespondieren in ihrem Trash-Gestus sehr schön mit den Medien-Zitaten in den Kommentarbildern.

    Sigmar Polke leistete sich den Luxus, die Welt nicht ernstzunehmen – und das mitten in jenen politikbewegten siebziger Jahren, als man Marxismus studierte und manche sogar Bomben warfen. Polke dagegen zeigt uns Affen als Motorradfahrer im Porzellanladen, Clowns und Musiker, Ankerketten und Boote, die aus Würstchen bestehen, Glitter, Glamour, Suchtstoffe aller Art. Und immer wieder Spiegel: Aas Publikum, das in diese Bilder sah, es durfte, es sollte auch sich selber sehen.