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Global Player der Medienbranche

Broadcasting is a development with which the future must reckon and reckon seriously. Here is an instrument of almost incalculable importance in the social and political life of the community, in affairs national and international. (John Reith, Dezember 1922)

Von Ingo Kottkamp | 30.09.2004
    Lord John Reith, der erste Leiter der BBC, war bekannt für seinen hohen Ton. Das Radio steckte in den Anfängen, Fernsehen war noch Zukunftsmusik, da formulierte er schon den moralischen Impetus, mit dem er die BBC zur Instanz von Bildung, Erbauung und kultureller Selbstreflexion des Landes formen wollte. Den wenigen tausend "Lookers" - so wurden sie damals anstelle des heute gebräuchlichen "Viewers" genannt - die am 30. September 1929 im Besitz eines mechanischen "Televisors" waren, ging es aber zunächst um den schlichten Empfang.

    In dieser Pionierzeit, die bereits Patente für Farbfernsehen und Videoaufzeichnung, aber noch längst keine massentauglichen Systeme hatte, erhielt der schottische Tüftler John Logie Baird von der jungen BBC den Auftrag für eine halbstündige Ausstrahlung - Montags bis Freitags um elf Uhr. Ein Ungetüm aus rotierenden Scheiben war auf den Ansager Sydney Moseley und ein Artistenduo gerichtet. Die per Mittelwelle übertragenen Bild- und Tonsignale konnten aber nicht gleichzeitig empfangen werden. Die "Lookers" zuhause mussten sich also entscheiden, ob sie lieber geisterhafte Schemen durch eine Linse betrachten oder sich den scheppernden Ton im Widerstreit mit dem Lärm der Rotationsscheiben ihrer Empfangsgeräte anhören wollten.

    Spätere Sendungen brachten zwar interessante dramaturgische Inventionen wie ein Theaterstück, bei dem wegen des kleinen Beleuchtungssauschnitts jeweils nur ein Darsteller gezeigt werden konnte, aber keine wirkliche Konsumentenfreundlichkeit, sodass nach einem halben Jahr das Experiment wieder eingestellt wurde.

    Ein zweiter, etwas weiter entwickelter Anlauf in den späten dreißiger Jahren brachte schon halbwegs funktionierende Sportübertragungen - wie hier ein Bootsrennen - zustande. Dennoch blieb das Fernsehen lange Zeit ein Exot unter den Medien. 1939 waren erst 23 000 Empfangsgeräte verkauft worden, und die blieben während des gesamten Zweiten Weltkriegs stumm.

    Nach der Wiederaufnahme des Fernsehbetriebs aber bewog 1953 die Übertragung der Krönung von Queen Elizabeth etliche monarchiebegeisterte Briten zur Anschaffung eines Fernsehgeräts. Nun wurde endlich eine vollwertige, politisch orientierte Nachrichtensendung eingeführt, gegen die sich die Kollegen vom BBC Radio lange gewehrt hatten.

    Here is an illustrated summary of the news. It'll be followed by the latest film of events and happenings at home and abroad.

    Damit war die Mattscheibe vom flimmernden Experimentiergerät zum Ort der täglichen Verlautbarung geworden. Lange Zeit hatte die BBC etwas Staatstragendes. In Zeiten der Auflösung des British Empire wurde sie gerne als dessen mediale Nachfolgerin betrachtet. Wer früher nach dem Abschluss einer Eliteuniversität eine Karriere im Kolonialdienst einschlug, ging jetzt zur BBC. Auch deswegen hielt sich lange ihr Ruf als elitäre Institution mit Hang zur Belehrung.

    Als in den fünfziger Jahren ein einziger privater Kanal, ITV (für Independent Television) eingeführt wurde, gab es eine kurze Phase der Irritation, in der die Einschaltquoten einbrachen. Doch die BBC richtete sich schnell in dem Duopol ein und sendete jahrzehntelang in einer wohligen, der bundesdeutschen Rundfunklandschaft vor Einführung des Privatfernsehens nicht unähnlichen Sicherheit. Auch die Thatcherregierung, die erstmals die Fernsehgebühren in Frage stellte, konnte Status von "Auntie" BBC nicht ernsthaft gefährden. Von Yes Minister bis Miss Marple, von Monthy Python's Flying Circus bis zu den Teletubbies bringt sie bis heute Serien heraus, die in der ganzen Welt für britisches Fernsehen stehen.

    Heute ist die Bedeutung der BBC vielleicht noch größer: Mit dem in allen fünf Kontinenten operierenden Nachrichtenkanal BBC World, mehreren Pay-TV-Kanälen, Ablegern wie BBC USA und einem florierenden Handel mit Bild- und Tonträgern ist sie zum Global Player geworden. Die Prophezeiung von ihrem ersten Leiter John Reith ist also eingetroffen, aber anders, als er sich das vorgestellt hat. Rechnen muss man mit dem Fernsehen und der BBC noch immer - aber sie ist längst nicht mehr der Hausaltar der britischen Familie, sondern ein weltweit verzweigtes, im steten Wandel begriffenes Gebrauchsmedium.